Zusammenfassend lassen sich aus den skizzierten Herausforderungen bzw. der Vielzahl der dargestellten Anforderungen zwei Hauptbestandteile für potenzielle Lösungsansätze ableiten:
1. Virtuelle Steuergeräte können bereits zu einem frühen Zeitpunkt der Entwicklung eines neuen Steuergeräts unabhängig von der Hardware erstellt werden. Im Vergleich zu Steuergeräteprototypen (A-Muster) sind virtuelle Steuergeräte sehr kostengünstig und einfach zu vervielfältigen.
Sie lassen sich nahtlos in bestehende Entwicklungsprozesse integrieren und ermöglichen zudem die Wiederverwendung existierender Methoden und Artefakte der Steuergeräteentwicklung. Lange bevor Hardware-Prototypen verfügbar sind, erlauben virtuelle Steuergeräte im Zusammenspiel mit Umgebungs- und Komponentenmodellen, die Nutzbarkeit der Steuergeräte-Software im Systemkontext sicherzustellen. Dies gewährt einerseits dem Hersteller mehr Zeit für die Entwicklung neuer Funktionen, andererseits erreicht die Steuergeräte-Software einen höheren Reifegrad.
Durch Nutzung eines virtuellen Fahrzeugs und entsprechender Simulationsmodelle ist auch ein virtueller Fahrversuch möglich. Das virtuelle Fahrzeug hat dabei wie ein reales Fahrzeug verschiedene Komponenten wie Motor, Antriebsstrang, Fahrerassistenzsysteme und vieles mehr (Bild 1). Fast jede Komponente verfügt über ein oder mehrere eigene Steuergeräte. Im Rahmen der Validierung von Steuergeräte-Software wird also ein virtuelles Steuergerät als Bestandteil des virtuellen Gesamtsystems in einem virtuellen Verkehrsszenario getestet.
2. Standards spielen im Kontext der frühzeitigen Software-Validierung eine bedeutende Rolle, insbesondere im Rahmen der verteilten Entwicklung zwischen Automobilherstellern und Zulieferern. Hier ermöglichen sie den Austausch von Artefakten bzw. erleichtern diesen signifikant. Zudem wird durch die gezielte Nutzung von Standards bzw. standardisierter Schnittstellen die Problematik heterogener Tool-Landschaften reduziert und somit die Basis für Effizienzsteigerungen geschaffen.
Im Bereich von Automotive Software ist AUTOSAR ein bedeutender Standard. Basierend auf einer einheitlichen Software-Architektur erleichtert AUTOSAR den Austausch von Software auf verschiedenen Steuergeräten. Durch die Definition von Methoden zur Beschreibung von Software im Fahrzeug wird sichergestellt, dass Software-Komponenten wiederverwendet, ausgetauscht und integriert werden können. Als zweiter relevanter Standard in diesem Zusammenhang ist die „Functional Mock-up Interface“- (FMI-) Schnittstelle zu nennen. Unter dem Dach der Modelica Association entwickelt, unterstützt dieser Tool-unabhängige Standard sowohl den Modellaustausch als auch die Co-Simulation dynamischer Modelle und erleichtert somit die virtuelle Validierung unter gezielter Nutzung von Simulationsmodellen.
Virtuelles Steuergerät plus offene Testplattform
Eine konkrete Lösung, die den beschriebenen Anforderungen genügt, bieten die ETAS GmbH und die IPG Automotive GmbH. Der gemeinsame Ansatz basiert auf dem virtuellen Steuergerät EVE (ETAS Virtual ECU) sowie der offenen Integrations- und Testplattform CarMaker von IPG Automotive (Bild 2).
EVE repräsentiert eine Plattform zur virtuellen Software-Integration und -validierung auf dem PC und ermöglicht die Virtualisierung von einzelnen Steuergeräten oder von einem gesamten Steuergeräteverbund. Mit EVE lassen sich Funktionsmodelle, Anwendungs-Software-Komponenten und Basis-Software-Module aus verschiedenen Quellen in virtuelle Steuergeräte integrieren. Die Anwendungs-Software wird mit dem Embedded-Betriebssystem RTA-OS, dem AUTOSAR Runtime Environment (RTE) und der zu nutzenden Basis-Software kombiniert und unabhängig von der Steuergeräte-Hardware unter weitgehend realitätsnahen Bedingungen validiert und kalibriert. Die Integration in eine Testumgebung kann dabei sowohl im Echtzeit- als auch im Nicht-Echtzeit-Modus erfolgen.
CarMaker kommt ergänzend als Simulationsumgebung für virtuelle Testfahrten zum Einsatz. Die offene Integrations- und Testplattform löst durch die Einbindung von Modellen unterschiedlicher Modellierungswerkzeuge potenzielle Schnittstellenprobleme. Präzise nichtlineare Fahrzeug- und Anhängermodelle bilden die Grundlage für hochwertige Simulationen und erlauben, komplexe Fahrmanöver in einer Vielzahl verschiedener Situationen reproduzierbar durchzuführen. So lässt sich zum Beispiel das Verhalten von Fahrerassistenzsystemen in Situationen mit vielen Verkehrsteilnehmern testen.
Für die Validierung von Steuergeräte-Software wird die zu testende Software im ersten Schritt in das virtuelle Steuergerät EVE integriert. Dieses kann anschließend als Functional Mock-up Unit (FMU) exportiert und über die standardisierte FMI-Schnittstelle in CarMaker integriert werden (Bild 3).
Im nächsten Schritt wird diese Software im Rahmen virtueller Testfahrten mit CarMaker getestet und freigegeben. Für den interaktiven Betrieb ist mit der Lösung von ETAS und IPG Automotive auch das Debugging des Codes der Steuergeräte-Software während der Testausführung möglich. Dieser gemeinsame Lösungsansatz erlaubt die frühzeitige, Hardware-unabhängige Software-Validierung am PC unter Nutzung realitätsnaher Tests und ermöglicht Effizienzsteigerungen sowohl für den Automobilhersteller als auch den Zulieferer.
Heterogene Tool-Landschaften werden dabei durch die Nutzung von Standards überwunden; ebenso wird die Wiederverwendung von bestehenden Artefakten ermöglicht.
Die Autoren
Dipl.-Kffr. Silke Kronimus |
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studierte Betriebswirtschaftslehre an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und der Université Louis Pasteur in Strasbourg, Frankreich. Ihr beruflicher Werdegang startete bei TRW Automotive, anschließend folgten Stationen bei der Robert Bosch GmbH. Im Jahr 2011 wechselte Kronimus zur ETAS GmbH und verantwortet dort das Produktmarketing für Virtualisierungslösungen. |
Dipl.-Math. Andreas Berg |
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studierte Mathematik an der Universität Kaiserslautern und startete seine Karriere als Software-Entwickler bei der Grass GmbH. Im Jahr 1996 wechselte er zur Robert Bosch GmbH und übernahm dort verschiedene Funktionen in der Software-Entwicklung, der Projektleitung, im Vertrieb und im Management. Im Jahr 2012 erfolgte der Wechsel zur ETAS GmbH, wo Berg als Projektleiter für Virtualisierungslösungen tätig ist. |
Dipl.-Ing. Josef Henning |
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studierte Elektrotechnik an der Universität Karlsruhe. Im Jahr 2002 startete er seinen beruflichen Werdegang bei der IPG Automotive GmbH als Applikationsingenieur und war dort in verschiedenen Funktionen tätig, u.a. als Leiter des CarMaker-Service-Teams. Seit 2014 ist Henning als Produktmanager Simulation Solutions tätig. |