Algorithmen am Steuer

Die Risikobewertung autonomer Fahrzeuge

3. April 2023, 8:50 Uhr | Autor: Peter Helfenstein, Redaktion: Irina Hübner
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Beim autonomen Fahren stehen nicht nur die Autobauer vor Herausforderungen, sondern auch die Versicherer. Denn sie müssen künftig nicht mehr nur das Risiko durch Menschen bewerten, sondern auch durch Algorithmen. Peter Helfenstein von Endava schildert, wie das gelingen kann.

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So manche Erwartung im Hinblick auf autonome Fahrzeuge hat sich nicht bewahrheitet. Insbesondere der Zeitpunkt, an dem die Straßen von selbstfahrenden Autos befahren sein sollen, verschiebt sich immer weiter nach hinten. Allmählich kommen wir dieser Vision jedoch näher.

Mit Kosten von durchschnittlich über 250 Euro im Jahr müssen Autohalter in Deutschland allein für die gesetzlich vorgeschriebene Kfz-Haftpflichtversicherung rechnen. Im Schadensfall ist das jedoch gut angelegtes Geld, kommt die Versicherung dann doch für Sach- und Personenschäden beim Unfallgegner auf.

Wie hoch die Versicherungsprämie konkret wird, kommt auf verschiedene Aspekte an. Dazu zählen neben Fahrzeugmodell und -typ und der Regionalklasse auch die Schadenfreiheitsklasse, das Alter und die Einträge des Fahrers im Zentralverkehrsregister. Versicherungsunternehmen versuchen anhand dieser Faktoren, das Risiko eines Fahrers für einen Unfall zu bestimmen.

Wenn aber nicht mehr ein Mensch das Fahrzeugt lenkt, sondern es sich anhand verschiedenster Daten – aus Sensoren, Kameras, von anderen Fahrzeugen auf der Straße – selbstständig bewegt, werden die bisherigen Faktoren mitunter irrelevant, um die Höhe des Versicherungsbeitrags zu berechnen. Wie können Versicherungen stattdessen das Risiko für Unfälle – das auch bei selbstfahrenden Fahrzeugen weiterhin gegeben ist – einschätzen?

Wenig Transparenz zum Nachteil von Käufern

Tatsächlich beurteilen Versicherungsgesellschaften bereits das Risiko autonomer Fahrzeuge. Aber wie genau sie dabei vorgehen, ist nicht immer klar. Es gibt bislang keine öffentlich zugänglichen Informationen, aus denen die Kriterien hervorgehen. Damit ist auch nicht sichergestellt, dass unterschiedliche Versicherungen verschiedene Risikofaktoren ähnlich oder gleich bewerten, wie es bisher etwa bei den standardisierten Typ- oder Regionalklassen der Fall ist.

Für Autohalter ist diese Situation wenig vorteilhaft. Zum einen sind sie – bis die Regeln angepasst werden – bei Unfällen laut dem deutschen Haftungssystem auch in einem selbstfahrenden Fahrzeug haftbar. Zwar handelt es sich um ein kombiniertes System aus Halter-, Fahrer- und Produzentenhaftung. In erster Linie steht aber der Fahrzeughalter mit seiner Versicherung in der Pflicht. Zum anderen würde das Unfallrisiko eines autonomen Fahrzeugs natürlich auch bei der Kaufentscheidung eine gewichtige Rolle spielen.

Sicherlich wären viele Käufer bereit, mehr Geld für ein Fahrzeug zu zahlen, wenn es ihnen ein höheres Sicherheitsniveau verspricht. Und wer ein günstigeres Auto mit einem womöglich höheren Risiko wählt, wüsste zumindest genau, welche Kompromisse er dabei eingeht und kann so eine bewusste Entscheidung treffen.

Internationale Standards für die Risikobewertung

Wie lässt sich ein System schaffen, in dem Versicherungen das Risiko von autonomen Fahrzeugen transparent für Kunden bewerten können? Und das am besten, ohne dass sie zahlreiche neue Mitarbeiter benötigen, die fundierte Kenntnisse zu künstlicher Intelligenz und anderen für selbstfahrende Autos erforderliche Technologien mitbringen – zumal entsprechende Fachkräfte gerade in Deutschland ohnehin Mangelware sind.

Eine naheliegende Lösung wären standardisierte Vorgaben, an denen sich die Hersteller autonomer Fahrzeuge messen lassen müssen. Es gibt bereits entsprechende Standards unterschiedlicher Organisationen – in Großbritannien beispielsweise die Association of British Insurers –, doch beschränken sich diese in der Regel auf einzelne Märkte und werden in Silos erarbeitet. Autonome Fahrzeuge werden aber in einigen Jahren oder Jahrzehnten überall auf der Welt unterwegs sein, deshalb ist es sinnvoll, bereits jetzt einheitliche Vorschriften zu erarbeiten.

Übernehmen sollte diese Aufgabe ein unabhängiges Gremium, um sicherzustellen, dass der Sicherheit von Passagieren und anderen Verkehrsteilnehmern höchste Priorität zukommt. Eine solche Checkliste zur Standardisierung muss dabei folgende Aspekte abdecken:

  • Technische Faktoren: Anzahl und Positionierung von Kameras und Sensoren, Verfügbarkeit zusätzlicher Kameras und Sensoren für eventuelle Ausfälle der eigentlichen Technik, Kommunikation mit anderen Fahrzeugen oder der Umgebung etc.
  • Rechtliche Faktoren: Einhaltung (inter-)nationaler Gesetze für Fahrzeuge im Straßenverkehr, Datenschutz etc.
  • Ethische Faktoren: Schutz des Menschenlebens vor Eigentum, keine Aufrechnung eines Menschenlebens gegen ein anderes (Trolley-Problem) etc.

Versicherer könnten unabhängige, spezialisierte Dritte damit beauftragen, neu auf den Markt kommende autonome Fahrzeuge darauf zu überprüfen, ob und zu welchem Grad sie die in der Checkliste definierten Standards einhalten.

Für ein solches Verfahren gibt es bereits einen Präzedenzfall in einer anderen Branche: der Payment Card Industry Data Security Standard (PCI-DSS). Jedes Unternehmen, das Zahlungen mit Kredit- oder Debitkarten direkt abwickeln will, muss zwölf Hauptanforderungen, die sechs Kontrollziele abdecken, erfüllen. Große Handelsunternehmen weisen ihre PCI-DSS-Compliance nach, indem sie einen vom PCI Council akkreditierten Qualified Security Assessor mit der Prüfung beauftragen. Erfüllen sie die Anforderungen, erhalten sie den Compliance-Nachweis, der mindestens alle zwölf Monate rezertifiziert werden muss.

In den nächsten Jahren sind immer größere Fortschritte bei der Entwicklung selbstfahrender Autos zu erwarten. Sie werden zunehmend auf den Straßen zu sehen sein. Dementsprechend müssen auch Versicherer sich spätestens jetzt mit der Frage beschäftigen, wie sie das Risiko dieser Fahrzeuge bewerten können – nicht nur im Hinblick auf das notwendige technische Wissen, sondern auch so, dass für Versicherungsnehmer größtmögliche Transparenz gegeben ist. Hier ist ein (inter-)nationaler Standard vonnöten, der von den Herstellern erfüllt werden muss, um Versicherern derartige Evaluationen zu vereinfachen und sie einheitlich und transparent zu gestalten.

 

 

Peter Helfenstein, Endava.
Peter Helfenstein, Endava.
© Endava

Der Autor

Peter Helfenstein
ist Senior Business Development Manager Banking, Financial Services, Insurance bei Endava. Zuvor führte er diverse etablierte Unternehmen und Start-ups und blickt zudem auf 30 Jahre Erfahrung in IT- und Telekommunikationsunternehmen in der Schweiz, Deutschland und Frankreich zurück.


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