Mehr Qualität durch selbstlernende KI

KI – auch in der Prozessindustrie gefragt

8. Juli 2023, 15:00 Uhr | Britta Hilt, Richard Martens
Adaptive, selbstlernende KI-Anwendungen ermöglichen den Einsatz in vielen Anwendungen komplexer Prozessindustrie.
© IS Predict

Beim Stichwort künstliche Intelligenz denken wahrscheinlich die wenigsten spontan an die Prozessindustrie. Es gibt aber auch dort interessante Anwendungen, wie der folgende Beitrag erläutert.

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Immer wieder hört man, wie mithilfe von KI-Analysen die Produktionsabläufe verbessert werden. Doch oft werden dann Beispiele aus der Automobil(zuliefer)industrie oder dem Maschinenbau genannt. Aus der Prozessindustrie ist deutlich weniger zu hören. Liegt das daran, dass hier die Algorithmen keine nennenswerten Vorteile bringen? Sicherlich sorgt die Tatsache für erhöhte Komplexität, dass sich in einem Stahlkonverter, einem Nass-Silo zur Herstellung von Gipsplatten oder in einer Zementmühle immer ein Gemisch verschiedener Stoffe befindet. Trotzdem kann auch die stückorientierte Fertigung sehr komplex sein, weil die Hersteller viele hunderte Varianten ihrer Produkte erzeugen.

Nachhaltige Qualitätsoptimierung mithilfe von KI-Analysen kann in komplexer Prozessindustrie durchaus funktionieren. Allerdings müssen die Berechnungsverfahren die Veränderungen in den Prozessen erkennen und bewerten sowie entsprechende Änderungen der Algorithmik automatisch ableiten. Selbstlernalgorithmen stellen dieses automatische Anpassen an Veränderungen sicher, sodass nicht Data Scientists immer wieder Hand anlegen müssen. Dynamisches und adaptives Lernen ist daher ein kritischer Erfolgsfaktor für die langfristige Aussagekraft von KI-Anwendungen, nicht nur, aber gerade in der Prozessindustrie.

Im Folgenden wird ein Beispiel aus der Zementindustrie näher erläutert, wie trotz komplexer, sich verändernder Produktionsprozesse verlässliche KI-Aussagen realisiert werden, mit deren Hilfe die gewünschte Qualität schneller und zuverlässiger erreicht werden kann.

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Hilt Britta
Britta Hilt ist Geschäftsführende Gesellschafterin Marketing und Vertrieb von IS Predict.
© IS Predict

In der Zementproduktion ist die Umstellung von einem (Zwischen-)Produkt auf eine andere Qualität nicht so einfach, weil sich in der Zementmühle immer noch eine Masse mit einer bestimmten Zusammensetzung befindet. Hier kann es beispielsweise 45 Minuten dauern, bis das eingeführte Material bearbeitet ist und das Produkt vorliegt. Solange die gewünschte Qualität nicht erreicht ist, entsteht Ware mit Misch-/Minderqualität.

Zielsetzung

Den Maschinenführern der Zementmühlen sollen automatisch Empfehlungen gegeben werden, wie sie schnellstmöglich mit sinnvollem Ressourceneinsatz zur gewünschten Qualität kommen. Diese Empfehlungen werden von KI-Algorithmen generiert, sodass die Zementmühle vorausschauend-optimal gesteuert werden kann, auch von weniger erfahrenen Mitarbeitern.

Ausgangssituation

In einer Zementmühle wird Klinker für unterschiedliche Zementsorten zerkleinert. Es gibt etwa 20 Parameter, die in unterschiedlicher Kombination die Qualität beeinflussen. Etwa alle zwei Stunden wird eine Probe gezogen, die der Labormitarbeiter auswertet. Abhängig von den Ergebnissen der Qualitätsmessung wird die Zementmühle anders eingestellt. Es hängt auch durchaus von den Erfahrungen des Maschinenführers ab, wie schnell die gewünschte Qualität, gerade zum Chargenwechsel, erreicht werden kann.

Martens Richard
Richard Martens ist Geschäftsführender Gesellschafter Forschung und Entwicklung von IS Predict.
© IS Predict

Projektbeschreibung

Aus der Steuerungseinheit der Zementmühle liegen Betriebsdaten wie etwa Drehzahl, Gemenge, Stellungsdrosselklappe, Klinker, Gips und Rezeptur vor. Sogenanntes Rückgut wird rezykliert, indem es dem Mahlprozess zugeführt wird. Dieses Rückgut ist besonders problematisch, weil seine Qualität oft nicht genau zu bestimmen ist.

Zuerst wurden KI-Verfahren mit historischen Daten antrainiert, um die Qualität zu prognostizieren. Nachdem mit den Daten eine Prognosegenauigkeit von mehr als 98 Prozent erreicht war, wurde ein Simulationsmodell realisiert, das berechnet, in welcher Konstellation der ungefähr 20 steuerbaren Parameter die beste Qualität schnellstmöglich erreicht wird, und zwar mit vernünftigem Ressourceneinsatz. Die Ergebnisse wurden in ein Steuerungsmodell überführt, das die entsprechenden Empfehlungen für den Maschinenführer generierte. Das Steuerungsmodell kann auch direkt mit der Maschinensteuerung kommunizieren, sodass die Parameterveränderungen automatisiert erfolgen.

Lösung

Selbstlernende KI deckt auch in komplexen Prozessen der Prozessindustrie die verwobenen Einflussfaktoren auf. Die Daten werden in Echtzeit analysiert, und die Steuerungsempfehlungen werden entweder in einer grafischen Oberfläche für den Maschinenführer dargestellt oder direkt für die automatische Umsetzung an die Controller-Unit der Maschine übergeben. So werden Maschinen (automatisiert) gesteuert, um – etwa nach einem Chargenwechsel – schnellstmöglich zur gewünschten Qualität zu kommen.

Die Produktion, gerade in der Prozessindustrie, kann sehr komplex sein, durch unterschiedliche Wechselwirkungen einzelner Prozessteuerungen, inklusive sogenannter Totzeiten, also verzögerten Auswirkungen auf den Produktionsprozess. Diese Komplexität macht nicht nur den Werkern, sondern auch der KI das Leben schwer.

Eine KI-Anwendung, die am Anfang sehr gute Ergebnisse liefert, verliert leider schnell an Aussagekraft, wenn sich die KI-Algorithmik nicht an die veränderten Begebenheiten anpasst. Was nützt der beste digitale Zwilling, wenn er nur am Anfang seinem Bruder oder seiner Schwester gleicht? Für einen langanhaltenden Mehrwert von KI-Anwendungn ist daher die Adaptivität wichtig, also das ständige Anpassen an neue Umgebungssituationen: Selbstlernalgorithmik und kontinuierliches Lernen ermöglichen dies. KI-Prototypen, die nur einen sehr begrenzten Umfang haben, also beispielsweise nur eine Zementmühle, kommen natürlich ohne Selbstlernalgorithmik aus, weil ein Data-Scientist es hier zeitlich schafft, die Veränderungen in den mathematischen Modellen nachzuziehen. Wenn jedoch Dutzende von Anlagen angebunden sind, dann würde man eine Heerschar von Data-Scientists benötigen, die immer wieder der Realität leicht hinterherlaufen. Auch wenn diese Heerschar im finanziellen Rahmen des Werksleiters wäre, so würde er die Stellen nicht besetzen können. Data-Science ist eine sehr gefragte Expertise.

Folglich werden sich nur die KI-Anwendungen durchsetzen, sowohl wirtschaftlich als auch in der Breite, die sich selbstlernend an Veränderungen anpassen können.

 

Die Autoren:

Britta Hilt und Richard Martens sind Geschäftsführende Gesellschafter von IS Predict.


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