Die neue Maschinenverordnung ist im Amtsblatt der EU veröffentlicht. Klaus Dürr, Vice President Standards Group bei Pilz, informiert über die wichtigsten Änderungen gegenüber der bisherigen EU-Maschinenrichtlinie und was sie für Hersteller bedeuten.
Markt&Technik: Warum handelt es sich bei dem neuen Rechtsakt um eine Verordnung, also um unmittelbar geltendes Recht, und nicht wie bei der bestehenden EU-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG um eine Richtlinie, die von den Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt werden muss?
Klaus Dürr: Die einheitliche Umsetzung in nationales Recht in den Mitgliedsstaaten wäre bei einem so umfassenden Gesetzestext sehr aufwendig geworden. Mit der Entscheidung für eine EU-Verordnung entfällt dies, und alle Mitgliedsstaaten haben zeitgleich den identischen Text zur Verfügung.
Was ändert sich durch die neue Maschinenverordnung für neue und bestehende Maschinen und Anlagen?
Klaus Dürr: Für bestehende Maschinen und Anlagen gab es in der Vergangenheit immer wieder Diskussionen, wann es zu einer wesentlichen Änderung kommt und ob eine neue Konformitätsbewertung durchgeführt werden muss. Die neue Maschinenverordnung schafft hier Klarheit. In den Definitionen ist der »wesentliche Umbau« (substantial modification) exakt beschrieben, und auch in Kapitel 2 ist definiert, was ein wesentlicher Umbau bedeutet und was dieser zur Folge hat: Diejenige Person, die eine wesentliche Veränderung vornimmt, wird zum Hersteller mit allen Pflichten.
Was ändert sich durch die neue Maschinenverordnung bei Konformitätsbewertungsverfahren und Zertifizierungen?
Klaus Dürr: Hier gibt es wesentliche Änderungen - schon allein dadurch, dass die bisherigen Anhänge IV in den Anhang I umgezogen sind. Dort sind die im Sprachgebrauch bekannten »gefährlichen Maschinen und Sicherheitsbauteile« zu einem Teil A oder Teil B zugeordnet. Für den Teil A (dort sind sechs Produktgruppen gelistet) kann der Hersteller keine Konformität in Verbindung mit einer harmonisierten Norm erklären. Hier bleibt für viele Hersteller nur der Weg, über eine benannte Stelle zu gehen.
Für die übrigen 19 Produktgruppen, die unter den Teil B fallen und für die es eine harmonisierte Norm gibt, kann der Hersteller wie bisher auch die Konformität selbst erklären. Hier bleibt spannend, ob bis zur verpflichtenden Anwendung der Verordnung auch die relevanten Normen als harmonisierte Norm unter der Verordnung gelistet sind. Da kommt in den nächsten Jahren viel Arbeit auf uns in den Normengremien zu.
Was müssen Hersteller und Betreiber von Maschinen und Anlagen infolge der neuen EU-Maschinenverordnung konkret beachten und tun? Welchen Pflichten unterliegen sie?
Klaus Dürr: Die Seitenanzahl der neuen Maschinenverordnung ist gegenüber der 64-seitigen »alten Maschinenrichtlinie« enorm angestiegen. Somit ist klar, dass doch vieles konkretisiert, ergänzt und erweitert wurde. Deshalb nenne ich nur einige besondere Neuerungen aus der Verordnung: Zum Beispiel sind Bedienungsanleitungen neu in digitaler Form gestattet. Die Papierform muss nur auf Verlangen des Kunden geliefert werden. Das erleichtert einiges.
Und das Thema rund um Cybersecurity ist neu in den grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutz-Anforderungen in Anhang III enthalten. Die Sicherheitsfunktionen der Maschine dürfen durch unbeabsichtigte oder vorsätzliche Verfälschung nicht beeinträchtigt werden. Hersteller werden ihre bestehende Risikoanalyse dahingehend überarbeiten müssen.
Wird es für die Umsetzung der neuen Maschinenverordnung durch die Unternehmen irgendwelche Fristen geben?
Klaus Dürr: Wie jede EU-Verordnung tritt die Maschinenverordnung 20 Tage nach Veröffentlichung im Amtsblatt und ohne Übertragung in nationales Recht in Kraft. Für neue Maschinen bedeutet dies, dass die Hersteller 42 Monate Zeit haben, den veränderten Vorgaben vollständig zu entsprechen und damit rechtlich auf der sicheren Seite zu sein. Deshalb wurde diese »Übergangsfrist« von 42 Monate auch lange verhandelt. Danach muss die neue Maschinenverordnung verbindlich angewendet werden.
Inwieweit hängt die neue Maschinenverordnung mit dem Cyber Resilience Act zusammen, der sich derzeit ebenfalls im EU-Gesetzgebungsverfahren befindet?
Klaus Dürr: Weil in der Maschinenverordnung neu das Thema Cybersecurity klar benannt ist und umgesetzt werden muss, hat es durchaus Sinn, sich den Entwurf zum Cyber Resilience Act (CRA) anzusehen, auch wenn er noch nicht verpflichtend ist. Im CRA werden weitergehende und detaillierte Anforderungen stehen, die der Hersteller, wenn er das Thema Cybersecurity angeht, gleich mit in Betracht ziehen kann.
Alle in diesem Interview vermittelten Informationen, Daten und Fakten entsprechen dem Stand vom 19. Juni 2023 und erfolgen unter Berücksichtigung unserer bisherigen Erkenntnisse vor Veröffentlichung der neuen Maschinenverordnung.
Pilz unterstützt seit Jahren Hersteller von Maschinen mit einem umfassenden Dienstleistungsangebot für Maschinensicherheit von der Sicherheitsanalyse über Validierung bis zur CE-Kennzeichnung. Experten von Pilz beraten Kunden bei einer wesentlichen Veränderung an Maschinen und Anlagen nach den Anforderungen der Maschinenverordnung. Auch die neuen normativen Anforderungen an Security hat Pilz im Blick: das Unternehmen erweitert aktuell sein Dienstleistungsangebot um entsprechende Schulungen im Bereich Industrial Security.