Um Energie aus erneuerbaren Quellen ins Verteilnetz einspeisen zu können, muss sich die Netzstruktur ändern. »Supraleitende Strombegrenzer werden beim Umbau des Netzes zum Smart Grid eine entscheidende Rolle spielen«, sagt Herbert Piereder, Geschäftsführer von Applied Superconductor.
Energie & Technik: Smart Grid – wer diesen Begriff hört, denkt zunächst an die IT-Infrastruktur, die erforderlich ist, um ein Smart Grid zu realisieren. Dass dazu aber auch die Struktur der Energieverteilnetze stark verändert werden muss, ist weniger bekannt. Fehlerstrombegrenzer auf Basis von Hochtemperatur-Supraleitern entwickeln sich Ihrer Ansicht nach zu einem wichtigen Element im Smart Grid, das jetzt aufgebaut werden soll. Warum?
Herbert Piereder: Das Grundproblem besteht darin, dass die Energieerzeugung aus Erneuerbaren Energien, beispielsweise die Windkraft, an vielen Stellen in ein Netz einspeist, das dazu nicht ausgelegt ist. Ein ganz wesentlicher Parameter für die Auslegung der Schalt- und Schutzanlagen im Netz ist der zu erwartende Kurzschlussstrom im Fehlerfall. Weil die Zahl der Energieerzeuger steigt, liegen die Erzeuger im Durchschnitt jetzt näher an einem Fehlerort. Deshalb steigt der zu erwartende Kurzschlussstrom, die direkte Folge: die bestehenden Schaltanlagen können den Fehlerstrom nicht mehr schalten.
Also tauscht man einfach die alten Schaltanlagen durch neue aus, die dazu in der Lage sind?
So einfach ist das nicht. Erstens ist eine neue Schaltanlage teuer. Zweitens kann man nicht einfach die alte Anlage abschalten und eine neue einbauen, weil das ja die Versorgung unterbrechen würde. Es müsste also parallel zur bestehenden Anlage die neue aufgebaut werden, erst dann kann man die neue Anlage verkabeln und die alte abbauen. Der Bau einer neuen Schaltanlage dauert aber immerhin 12 bis 20 Monate.
In dichtbesiedelten Regionen und Städten fällt außerdem negativ ins Gewicht, dass der Platzbedarf dafür sehr hoch ist.
Der Umbau des Netzes müsste aber wegen des beschleunigten Ausbaus der Erneuerbaren Energien sehr schnell geschehen…
Ja, die Betreiber stehen vor dem Problem, die Netze sehr schnell verstärken zu müssen, um die Fehlerstrom-Problematik in den Griff zu bekommen.
Und nicht nur die neuen Anlagen kämen teuer, der Austausch einer Anlage, die noch gar nicht lange im Feld arbeitet, schlägt zusätzlich für die Betreiber zu Buche…
Das kommt noch erschwerend hinzu. Schaltanlagen sind auf eine Lebensdauer von 40 bis 60 Jahre ausgelegt. Wenn die Betreiber Anlagen austauschen müssten, die noch nicht abgeschrieben sind, dann wäre es für sie wirtschaftlich schwierig.
Wie sieht es mit Anlagen aus, die den Versorgern gar nicht gehören?
Große Industriekunden betreiben häufig einen Teil des Netzes selber. Für diese Teile garantieren die Versorger, dass die Schaltanlagen über einen bestimmten Zeitraum nicht ausgetauscht werden müssen. Wenn nun der Kurzschlussstrom steigt, wäre dies aber zwingend erforderlich. Das bringt die vertraglich gebundenen Versorger in eine schwierige Lage.
Wie können nun supraleitende Strombegrenzer helfen?
Die supraleitenden Fehlerstrombegrenzer lassen sich relativ einfach in das bestehende Netz einbauen. Sie arbeiten im Normalbetrieb mit sehr geringen Verlusten, sind im Netz also fast unsichtbar.. Tritt ein Kurzschlussstrom auf, limitieren die supraleitenden Begrenzer den Fehlerstrom auf ein Maß, das die bestehenden Schaltanlagen nicht überlastet. Die Betreiber können also mit ihren existierenden Anlagen weiter arbeiten. Es besteht dann auch für Großkunden mit eigenen Netzen nicht die Notwendigkeit, neue Schaltanlagen installieren zu müssen.
Hinzu kommt noch, dass die Fehlerstrombegrenzer die Auswirkungen von Kurzschlussströmen auf die Schaltanlagen reduzieren. Die hohen Lichtbogenenergien beispielsweise lassen die Schalanlagen relativ schnell altern. Wenn die Anlagen die hohen Ströme gar nicht erst erwischen, verlängert sich ihre Lebensdauer beträchtlich.
Wenn man das bestehende Netz zum Smart Grid ausbauen will, müsste die Struktur des Netzes geändert werden. Warum verlangt die Einspeisung von Energie aus erneuerbaren Quellen nach einer neuen Netzstruktur?
Die bestehenden Verteilnetze sind radial aufgebaut. Weil bisher nur von den Kraftwerken zu den Kunden in einer einzigen Richtung verteilt werden musste, war das auch die genau richtige Struktur. Nun speisen aber auf verschiedenen Spannungsebenen die Erzeuger in das Netz ein, der Strom fließt also auch in umgekehrter Richtung und zusätzlich schwankt die Stärke. Außerdem steigt die Zahl der Erzeuger. Das verlangt nach einer engmaschigeren Vernetzung.
Wie können die Strombegrenzer beim Umbau der Netzstruktur helfen?
Das Schöne ist, dass die Fehlerstrombegrenzer das Netz engmaschiger machen, ohne dass deshalb die alte Struktur geändert oder die bestehenden Schutzanlagen ausgetauscht werden müssten. Nur im Fehlerfall wird die quasi-radiale Grundstruktur wieder „sichtbar“. Im Normalbetrieb hat die engmaschigere Vernetzung den Vorteil, dass sich der Energiefluss besser ausbalanciert. Das bedeutet auch: Aufgrund der höheren Parallelität und der geringeren Systemwiderstände sinken die Verluste.
Sie haben Applied Superconductor 2004 in Großbritannien gegründet. Warum haben sie sich für diesen Standort entschieden?
In Großbritannien gibt es seit 2004 zwei Förderprogramme, die die Energieversorger für Neuentwicklungen erhalten. Grossbritannien war vor etwa 20 Jahren das erste Land, das den Energiemarkt liberalisiert hat. Durch den damit verbundenen Kostendruck haben EVUs seit damals ihre Investitionen in Erneuerung wesentlich verringert und sehen sich daher jetzt einem gesteigerten Aufholbedarf ausgesetzt. Hier bringen Innovationen wie unsere Beschleunigung und Kosteneinsparung.
In wieweit profitieren sie direkt von supraleitenden Strombegrenzern?
Ich hatte schon angedeutet, dass im Moment der Zeitfaktor eine große Rolle spielt. Wer heute ein Windkraftwerk ans Netz anschließen will, dem kann es passieren, dass er auf den Anschluss aufgrund der notwendigen Netzverstärkungen warten muss.
Wie viel Wartezeit ersparen die Strombegrenzer?
Wir haben ein Projekt in Großbritannien abgeschlossen, in dem es ein supraleitender 33-kV-Begrenzer dem Erzeuger erlaubt, zwei Jahre früher als ursprünglich geplant ans Netz zu gehen. Diesem Gewinn von zwei Jahren entspricht einem Umsatz von ca.13 Mio. Pfund.
Mit diesem Projekt können wir zeigen, dass der Strombegrenzer die technischen Anforderungen erfüllt und dass sowohl die Energieerzeuger als auch die Netzbetreiber davon profitieren. Das sehe ich als einen Durchbruch an.
Bisher standen die Erzeuger und Netzbetreiber in Deutschland nicht unter dem Druck, neue Techniken einführen zu müssen? Ändert sich das mit der Energiewende?
Dass die Atomkraftwerke in Deutschland abgeschaltet werden und der Anteil der Erneuerbaren Energie schnell steigen soll, ändert die Situation deutlich. Jetzt hat auch Deutschland ein Fehlerstromproblem. Besonders auf der 110-kV-Ebgene gibt es viele Probleme mit der Einspeisung aus erneuerbaren Energiequellen.
Sie gehen also davon aus, dass sich die Versorger jetzt auch in Deutschland dazu durchringen, supraleitende Strombegrenzer einzusetzen und damit dieser Technik zum Durchbruch verhelfen werden?
Ich denke, dass wir sowohl technisch als auch kommerziell eine überzeugende Lösung anbieten können. In den nächsten Jahren werden wir wohl Feuerwehr spielen, um die brennendsten Probleme zu lösen. Meine längerfristige Vision besteht allerdings darin, dass der weitläufige Einsatz supraleitender Strombegrenzer den maximalen Fehlerstrom im Gesamtnetz zuverlässlig begrenzt und damit ganz neue, hocheffiziente Netztopologien ermöglichen. Das geht allerdings nicht über Nacht. Ich denke da an einen Zeitraum von 10 bis 20 Jahren.
Um die erneuerbaren Energien einbinden zu können, müssen die Hochspannungs-Übertragungsnetze ausgebaut werden und neue Schaltanlagen gebaut werden, erst dann wandelt sich das bestehende Netz in das viel beschworene Smart Grid. Dazu ist viel Zeit erforderlich. Halten sie die Vorgaben der Politik bis zum Jahr 2020 für realistisch?
Der Ausbau des Netzes zum Smart Grid ist eine diffizile Angelegenheit. Selbst wenn unbegrenzt Geld und Personal zur Verfügung stünde, würde der Umbau längere Zeit in Anspruch nehmen, denn die Verfügbarkeit muss ja unter allen Umständen erhalten bleiben.
Die neuen Strombegrenzer auf Basis von Hochtemperatur-Supraleitern bieten aber eine Technik, die hilft, Engpässe zu umgehen und kann wesentlich dazu beitragen, die von der Politik vorgegebenen Ziele zu erreichen.