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Ob es kritisch wird, entscheidet der Herbst

16. Juli 2018, 15:24 Uhr | Engelbert Hopf
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Nervige Priorisierung

Manchmal wird man das Gefühl nicht los, dass sich Bauteil-Hersteller und -Distributoren den schwarzen Peter je nach Bedarf gegenseitig zuschieben, so einer der Diskussionsteilnehmer. »Es ist für uns schwierig festzustellen, wer an der Situation schuld ist«, meint denn auch Erdl. »Der Distributor sagt zwar, er kriege keine Ware vom Hersteller, aber wir können das ja nicht überprüfen, ob das Lager in Wahrheit voll ist und er einfach lieber an jemanden anderes verkaufen möchte.«
»Ich denke schon, dass es da ein starkes Abhängigkeitsverhältnis der Distributoren zu ihren Herstellern gibt«, meint Püthe. »Was bei den Gesprächen immer wieder durchkommt, ist die Hilflosigkeit der Distributoren angesichts dieser Situation.« Inzwischen hätten Automobilhersteller ganze Fertigungslinien für sich gebucht, »da darf dann nichts anderes mehr drauf laufen, und das reduziert natürlich die Verfügbarkeit für uns kleine Industriekunden noch einmal zusätzlich«.

»Ich würde sagen die Distribution ist weiterhin in großen Teilen verlässlich«, meint Heinemann, »es gibt aber auch die, die fast im Monatsrhythmus die Preise erhöhen, und das zu allem Überfluss auch noch für noch nicht gelieferte Ware«. Heinemann findet das grenzwertig. »Wenn du den Mehrpreis nicht akzeptierst, müssen wir deine Menge reduzieren, wenn du zuzahlst, drücken wir noch mal ein Auge zu.« Vor diesem Hintergrund sei man bei der Block Transformatoren Technik dazu übergegangen, mit mindestens einem Jahr Vorlauf zu disponieren. »Es treten halt langsam Probleme auf, unsere Lieferanten sagen heute schon, dass es zum Jahresende eng werden könnte.«

Vor dem Hintergrund der Konzentration in der deutschen Distributionsszene sieht Tunk die Gefahr, dass der deutsche Mittelstand am liebsten auf Internet-Platformen gehe. »Wenn man High-Runner hat, die man bündeln kann, dann mag das gehen«, so Tunk, »wenn man allerdings im Projektgeschäft ist, funktioniert das nicht«. Sie weist zudem darauf hin, dass die großen Distributoren aus den USA an vielen Stellen ihr Personal reduzieren, »und das werden wir schon bald zu spüren bekommen«.
Scheumann vermisst in der Beziehung zwischen Distributor und Kunde die Vermittlerrolle, welche die Distributoren einmal eingenommen haben. »Vor zehn Jahren noch haben sich Distributoren vorausschauend ein Lager aufgebaut. Das war Eigeninitiative. Heute wird nur noch das bestellt, was der Distributor selbst als Auftrag erhält«. Scheumann beklagt zudem, dass es inzwischen Distributoren gibt, die bei passiven Bauelementen nicht einmal mehr ihre Lieferanten auf der Unternehmens-Homepage benennen, sondern nur noch elektrische Parameter angeben.

Ein Vorgehen, für das Erdl absolut kein Verständnis hat: »So etwas geht gar nicht, wenn ich nicht weiß, ob der Hersteller der Produkte auditiert und freigegeben ist, käme mir so etwas überhaupt nicht ins Haus.« Aus seiner Sicht ist das Problem der Distribution in der Vielfalt der heute zur Verfügung stehenden Bauteile zu sehen. »In der Vergangenheit konnten die Distributoren die Bedarfe mehrerer Kunden bündeln. Sie hatten die Ware damit am Lager und wussten, dass sie auf jeden Fall verkauft wird«, so der Puls-Chef. »Heute dagegen gibt es für jeden Chip zehn Gehäusevarianten und zehn unterschiedliche Toleranzklassen. Ein Bündeln von Aufträgen ist somit kaum noch möglich.« Aus diesem Grund werden heute nach seiner Ansicht Bestellungen nur noch weitergereicht und keine Eigeninitiative mehr entwickelt. 

Widdel wirft ein, dass viele Entwickler heute nur noch bei Digi-Key oder einem zweiten Anbieter nachsehen, ob ein Produkt lieferbar ist. »Wenn dem so ist, gehen sie davon aus, dass das überall so ist.« Wer aber Online bestelle, haben keinen direkten Kontakt, kein Feedback, so Widdel, »interessant wären in der jetzigen Situation deshalb wieder die kleinen Händler, die sich spezialisiert haben und die noch als Ansprechpartner in ihrer Region fungieren können«.

Eine Präsenz, die auch aus Sicht Erdls ideal wäre, »aber wie verdienen die ihr Geld? Sie machen zwar den Service und das Design-in, produziert wird aber woanders«. Als erschwerend sieht Erdl die Tatsache, »dass wir inzwischen in Europa kaum noch substanziell Bauelemente-Hersteller vor Ort haben, mit denen es einen Austausch gibt«. Für ihn ein strategischer Nachteil europäischer Stromversorgungs- und Gerätehersteller. »Wir reden zwar immer davon, wie wichtig persönliche Beziehungen in diesem Geschäft sind, aber dabei geht es fast ausschließlich um persönliche Beziehungen zu Distributoren, nicht zu Bauelementeherstellern«.


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