Selbst neue Technologien wie die flexible, gedruckte und organische Elektronik leiden unter der Absatzschwäche der Automobil- und Automotive-Industrie, wie Wolfgang Mildner, General Chair der Lopec und CEO des Beratungsunternehmens MSWtech, versichert.
Größter Umsatzträger bleiben die OLEDs, der Megatrend sind allerdings funktionale Oberflächen in allen Lebensbereichen.
Markt&Technik: Herr Mildner, die Prognosen der OE-A für das Wirtschaftswachstum der gedruckten und organischen Elektronik sinken weiter, sie haben sich von der Herbstprognose 2024 zur Märzprognose 2025 fast halbiert. Rechnen Sie mit einer Wiederholung des Vorjahres?
Wolfgang Mildner: Wir müssen uns vor Augen führen, Automotive war und ist der große Treiber für die gedruckte und organische Elektronik. Die aktuellen Probleme der Automobil- und Automotive-Industrie haben damit nun unmittelbare Auswirkungen auf unsere Branche. Aber, das möchte ich betonen, wir haben immer noch Wachstum. Das Thema hat für Anwenderbranchen wie die Automobilindustrie weiter eine hohe Bedeutung. Neue Anwendungen verzögern sich nur etwas. Wie schnell die neue Technologie adaptiert wird, das hat sich geändert, nicht die Bereitschaft zur Adaption an sich.
Zwar wollen die Firmen in den nächsten sechs Monaten laut der OE-A-Prognose weniger in die Produktion investieren, aber 90 Prozent wollen ihr Personal halten. Ein deutlicher Unterschied zu anderen Branchen. Liegt das an der hohen Spezialisierung der in diesem Bereich Beschäftigten?
Erfahrung ist in unserer Branche ein Schlüsselfaktor! Es handelt sich hier um eine Schlüsseltechnologie, und ich brauche die Leute, die sie weiterentwickeln und zur Anwendung bringen können. Wir sind noch nicht bei einer hochautomatisierten Fertigung angekommen, die beispielsweise in der Fertigung mit wenigen Operators auskommt. Fachliche Kompetenz, die abwandert, ist schwer zu ersetzen. Aus diesem Grund halten die Firmen auch bei abkühlender Wirtschaftsentwicklung ihre Experten.
Wichtigste Absatzbranchen sind Unterhaltungsindustrie, Automotive und Gesundheitswesen. Wie verteilt sich der Branchenumsatz in etwa zwischen diesen drei Blöcken? Gibt es Anwendungsbereiche die in Zukunft deutlich mehr beitragen könnten?
Der größte Teil des Umsatzes mit flexibler gedruckter und organischer Elektronik wird mit Sicherheit im Bereich Display gemacht. Das ist heute eine zig-milliardenschwere Branche. Und wir sind da noch lange nicht am Ende der Entwicklung angekommen. Aktuell wird an neuen Formen von OLEDs gearbeitet, die sich durch eine noch höhere Effizienz und Leuchtkraft auszeichnen. Der zweitgrößte Umsatzanteil der Branche entfällt auf die Gesundheitsbranche und Medizintechnik, als drittes Standbein sehe ich momentan Smart Textiles. Was in Zukunft verstärkt kommen wird, ist nach meiner Einschätzung Smart Living. Da geht es zum Beispiel um smarte Fenster, die sich nicht nur automatisch zum Stoßlüften öffnen, sondern sich dank integrierter PV auch für die Energiegewinnung nutzen lassen oder sich bei entsprechender Sonneneinstrahlung automatisch abdunkeln. Dasselbe gilt für smarte Fassaden und das große Thema Energiemanagement.
Von der Zukunft zur heutigen Realität: Befürchten Sie, dass die Wirtschaftspolitik von US-Präsident Donald Trump Auswirkungen auch auf die Branche der gedruckten und organischen Elektronik haben wird? Wie resilient ist hier Europa?
Wir sind sehr international aufgestellt und arbeiten als globale Branche eng zusammen. Wir werden Schutzzölle oder ähnliches nicht verhindern können, aber wir müssen vielleicht etwas genauer hinsehen, um frühzeitig eventuelle Abhängigkeiten zu erkennen.
Wenn Sie die diesjährige Lopec Revue passieren lassen, was fanden Sie in puncto Ausstellung und Vorträge am interessantesten? Welche Entwicklungsmöglichkeiten deuten sich da aus Ihrer Sicht für die Zukunft an?
Nehmen wir das Beispiel InkSpace Imaging. Wir haben das Unternehmen 2018 auf der Lopec für das Konzept einer MRT-Weste für Kinder ausgezeichnet. Inzwischen ist das Produkt FDA-zugelassen. Die Weste mit den gedruckten Spulen für die Magnetresonanztomographie hat die MRT-Untersuchung für Kinder nicht nur angenehmer gemacht, sie hat auch die Bildqualität verbessert. Inzwischen wird daran gedacht, eine ähnliche Methode zu verwenden, um Brustkrebsuntersuchungen für Frauen angenehmer zu machen und zugleich die Qualität der Ergebnisse zu verbessern. Wenn ich mir die Rückleuchten bei Audi ansehe, dann sind alle Neuentwicklungen dort heute OLED-basiert. Oder wenn ich an die Lösung denke, Schlaf-Apnoe mithilfe eines smarten Textils zu behandeln. Gleichzeitig kommen immer mehr Interessenten auf die Lopec, die mit ganz konkreten Fragestellungen auf die Aussteller zugehen – ich habe diese Produktidee, wie können Sie mir dabei helfen, sie marktreif umzusetzen?
Man konnte den Eindruck gewinnen, dass sich in Sachen Tinten und Prozessoptimierung in der Fertigung, was Rolle-zu-Rolle-Verfahren angeht, einiges getan hat in den letzten Jahren. Täuscht dieser Eindruck?
In Sachen Silber- und Kupfertinten hat sich in den letzten Jahren wirklich einiges getan, aber es gibt immer noch Potenzial, das weiter zu verbessern, und wir erleben, dass immer wieder neue Player auf den Markt kommen, die neue Medien anbieten. Gedruckte Elektronik ist eine Mehrschichttechnik, und da kommt es auf das ideale Zusammenspiel zwischen Tinte, Substrat, Druckgeschwindigkeit und notwendiger Auflösung an.
Wie haben Sie die zwei neuen Anwenderforen zu Smart Living und Mobility erlebt? Gehen da neue Impulse für die Branche aus?
Das sind die treibenden Anwendungsfelder. Lange wurde hier in erster Linie über die Technik geredet, in der Zwischenzeit, rückt immer mehr der Austausch über die Anwendungsmöglichkeiten und Produkte der flexiblen und gedruckten Elektronik in diesen Bereichen in den Vordergrund.
Als General Chair der Lopec haben Sie einen sehr guten Überblick über die Vorträge. Welcher hinterließ bei Ihnen in diesem Jahr den größten Eindruck?
Um ehrlich zu sein, ist die Frage sehr schwer zu beantworten, aber ich möchte zwei Vorträge nennen: In dem einen wurde gezeigt, dass selbst in einer reifen Technologie wie den OLEDs noch viel Potenzial steckt, ein Beispiel dafür wären plasmonische OLEDs, von denen ich davor noch nie etwas gehört hatte. Der Vortrag war wie ein Speerwurf nach vorn und hat deutlich gemacht, was wir da in Zukunft noch erwarten können. Auch den Vortrag von Professor Luigi Occhipinti von der University of Cambridge über die Integration von Smarter Elektronik, Biosensorik und KI fand ich sehr interessant und anregend.
Sie haben ja schon in unserem letzten Interview festgestellt, dass flexibel bisher nicht unbedingt biegsam bedeutete. Hat sich dieser Trend auf der diesjährigen Lopec fortgesetzt?
Im Westen mag das noch nicht so verbreitet sein, aber in China gibt es durchaus bereits Hersteller, die mit flexiblen Displays unterwegs sind. Da geht es wie im Fall faltbarer Handys zum einen darum sicherzustellen, dass die flexiblen Folien auch unter täglicher mechanischer Belastung funktionssicher sind. Das sind inzwischen automatisiert ablaufende Tests. Aber es geht ja nicht nur um faltbare Elektronik, sondern auch um dehnbare Anwendungen, denken Sie zum Beispiel an smarte Pflaster. Die Komplexität dieser Test hat ständig zugenommen, schließlich geht es da in den verschiedensten Anwendungsbereichen auch um Zulassungsuntersuchungen.
Sie sprachen im letzten Jahr von einer Renaissance der OPV, der organischen Photovoltaik. Unternehmen wie Heliatek waren dieses Jahr aber gar nicht mehr auf der Lopec, sie orientieren sich mehr auf die Präsenz in ihren direkten Zielmärkten. Begrüßen Sie diese Emanzipierungseffekte?
Zuerst einmal zur Photovoltaik: Es gibt da zum einen eine Initiative der Helmholtz-Institute, die darauf abzielt, Anwendungen für Forschungsergebnisse zu finden. In diesem Bereich hat die Perowskit-Solarzelle, aber auch organische Photovoltaik und Kombinationen davon für einen enormen Schub gesorgt. Es gibt inzwischen ein sehr leistungsfähiges Industrienetzwerk, das eine Roadmap für den Einsatz flexibler PV-Lösungen entwickelt hat. Im Fokus stehen dabei immer neue Anwendungen, nicht der Ersatz klassischer Photovoltaik. Da geht es beispielsweise um Themen wie Agrar-PV: Dort geht man der Frage nach, wie sich zum Beispiel PV-Lösungen in der Landwirtschaft nicht nur zum Energiegewinn nutzen lassen, sondern auch dazu, nur bestimmte Lichtwellenlängen passieren zu lassen, die dann für eine sehr selektive, fördernde Beleuchtung von landwirtschaftlichen Produkten sorgen können. Ein ganz anderes Thema für OPV sind inzwischen kleine energieautonome Elektronikgeräte. Das Stichwort heißt IoT-PV.
Nun zum anderen Teil Ihrer Frage. Wir haben immer wieder den Fall, dass Aussteller der Ansicht sind, sie müssten näher an ihre Kunden heran, und darum zu den jeweiligen Anwendermessen wechseln. Dabei schätzen gerade die Anwender den intensiven Dialog mit den Anbietern. Das muss jeder für sich entscheiden. Mit E Ink haben wir aber auch das Gegenbeispiel auf der Lopec. Ein Unternehmen mit Milliarden-Dollar-Umsatz, das auch als Branchenprimus immer noch gern auf der Lopec Präsenz zeigt und den Austausch mit den verschiedenen Bereichen der Branche und den Besuchern schätzt und sucht.
Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft – sehen Sie diese Themen nicht nur in den Vorträgen, sondern auch in der realen Wirtschaft weiter auf dem Vormarsch, oder befürchten Sie durch sich verändernde politische Rahmenbedingungen hier in Zukunft Rückschritte?
Nein, ich glaube, dass diese Entwicklung unumkehrbar ist. Nachhaltigkeit ist so etwas wie die DNA der gedruckten und flexiblen Elektronik. Sie wird bei der Entwicklung neuer Projekte von Beginn an mitgedacht. Das ist nicht nur eine Frage von Förderprojekten, sondern letztlich auch eine der wirtschaftlichen und ökologischen Notwendigkeit.
Gedruckte und organische Elektronik ist meist »hidden«, der BMW, der seine Oberflächenfarbe verändern konnte, war vor zwei Jahren ein Hingucker, der die technischen Designmöglichkeiten deutlich machte. Sehen Sie zeitnah eine Marktumsetzung für solche Anwendungen?
Letztlich war das nur ein sehr spektakuläres Beispiel für die Entwicklung hin zu funktionalen Oberflächen. Ob sich daraus ein Trend für Premium-Autos entwickelt? Man wird sehen. Aber letztlich geht es ja darum, digitale Informationen zu signalisieren, ob das jetzt Farbe ist, beispielsweise eine Signalfarbe die einen Notfall anzeigt oder andere Lösungen – funktionale Oberflächen sind in meinen Augen der Weg in die Masse der gedruckten und flexiblen Elektronik. Sie werden der Megatrend der Zukunft sein!