Um mit Kunden und Partnern auch in Corona-Zeiten direkt über Projekte und Prototypen kommunizieren zu können, hat sich Hy-Line etwas Besonderes einfallen lassen: Ein rollendes Labor.
Die Corona-Pandemie lässt die Menschen vorsichtig werden. Deshalb funktioniert es nicht mehr so einfach wie früher, neue Entwicklungen interessierten Kunden vorzuführen: Es ist oft nicht erlaubt, das Firmengebäude zu betreten, um den zuständigen Mitarbeitern beispielsweise Prototypen zu präsentieren. Damit haben Unternehmen, deren Kernstrategie darin besteht, Innovationen voranzutreiben und Hardware für den Einsatz in anspruchsvollen Umgebungen zu entwickeln, ein Problem. »Wie können wir unter Corona-Bedingungen unsere Entwicklungen den Partnern und potenziellen Kunden unter realistischen Bedingungen vorführen?«
Diese Frage stellte sich auch Martin Dibold, Geschäftsführer der in Unterhaching bei München ansässigen Hy-Line Computer Components. Wie sich die Menschen in der Pandemie verhalten, brachte ihn schon auf so manche Idee für neue Produkte (mehr dazu unten). Jetzt überlegte er sich: »Wenn wir aus Hygienegründen nicht in die entsprechenden Laborumgebungen in den Gebäuden der Partner und Anwender kommen dürfen, bringen wir die Laborumgebung einfach mit – in einem Kleinbus!«
Dieser Kleinbus ist so ausgelegt, dass die Mitarbeiter der besuchten Firma die Geräte im hinteren Teil ausprobieren können, während die Mitarbeiter von Hy-Line im vorderen Teil des Busses in der Fahrerkabine sitzen. Sie ist durch eine Scheibe und einen Luftfilter vollkommen vom hinteren Kundenteil des Busses getrennt. Der Fahrersitz lässt sich um 180 Grad drehen, sodass der Hy-Line-Mitarbeiter bequem mit den Mitarbeitern des Kunden im Laborteil des Busses kommunizieren kann.
Eine Infektion über Aerosole ist damit ausgeschlossen. Der Kundenteil ist über Schiebetüren links und rechts von außen zugänglich, sodass die Kundenmitarbeiter sich sowohl vor der linken Schiebtür aufhalten können, um auf einem dafür vorgesehenen Tisch die Geräte auszuprobieren und zu testen, als auch von der rechten Seite aus ins Innere des Busses auf Sitzplätze gelangen können. Dass das Innere des Busses durch vorausgegangene Gespräche bereits kontaminiert sein könnte, davor müssen sich die Kundenmitarbeiter nicht fürchten: Der gesamte Innenbereich wird nach jeder Besprechung desinfiziert und der Bus vollkommen durchgelüftet. Der Bus bietet also für alle Beteiligten eine sichere Umgebung, eine „Hy-MAT“, was dann auch der Name Busses ist, dessen Prototypen Martin Dibold in Zusammenarbeit mit einem Nachbarn, der als Innenarchitekt und Schreiner wertvolle Erkenntnisse besteuern konnte, entworfen und vorführungsreif ausgebaut hat.
Damit können die Mitarbeiter von Hy-Line ein Hindernis überwinden, das wohl alle Unternehmen, die sich auf Entwicklungen konzentriert haben, in Corona-Zeiten kennen dürften: Der unmittelbare Kontakt zu den Kunden und Partnern lässt sich auch über die besten Zoom- und Teams-Konferenzen nicht ersetzen. Eine Hy-MAT-Umgebung vor Ort für solche Besprechungen zu schaffen kann dem abhelfen. Gerade für Hy-Line ist das wichtig, denn das Unternehmen hat sich gemäß dem Firmenmotto „Leader in Technology“ einiges vorgenommen: »Vier Patente pro Jahr sind das Ziel«, so Dibold. Da sind direkte Kontakte unerlässlich.
Und so mangelt es nicht an Entwicklungen und Prototypen, die im Hy-MAT bereits vorgeführt werden können. Wie oben angedeutet, hat Dibold ein kurioses Corona-Erlebnis auf eine besondere Idee gebracht: Eine Dame wollte keinesfalls am Ticketautomat einer Tiefgarage die Tasten bedienen, weil sie wohl Angst hatte, sich zu infizieren. Leider war der Blusenärmel zu kurz, um ihn wie beabsichtigt über die Hand zu ziehen, auch nicht durch allerlei Verrenkungen. Schließlich endete der Tanz damit, dass die Dame sich ein Tuch um den Finger wickelte und nun endlich gefahrlos drücken konnte: »Das war die Geburt von „Hy-Gienic“ und einem neuen Patent«, schmunzelt Dibold.
Hy-Gienic - das Touch-Display, das sich üver UV-C selber reinigt
Wie sieht Hy-Gienic aus? Es handelt sich um ein Touchdisplay, das über UV-C ständig gereinigt wird. Das Display nun einfach in voller Größe mit UV-C-Licht zu bestrahlen wäre keine gute Idee, denn UV-C ist schädlich für die Augen und für die bestrahlte Haut an den Händen. Deshalb ist der Einsatz strengen Regulierungen unterworfen. Die Idee von Hy-Line besteht darin, den Touchscreen in ein Gehäuse zu setzen, das dreimal so groß ist wie das eigentliche Display. So ist Platz vorhanden, um die Scheibe des Displays nach oben und unten zu fahren. Sowohl im oberen, abgeschlossenen als auch im unteren, abgeschlossenen Teil reinigt UV-C-Licht die Oberfläche der Scheibe, sodass das Touchdisplay in der Mitte zu jedem Zeitpunkt frisch dekontaminiert ist und auch, wenn der Finger die Scheibe berührt, keine Mikroben übertragen werden können: Hy-Gienic ist bereits als Prototyp fertiggestellt.
Doch es muss gar nicht sein, dass die Finger die Scheibe überhaupt berühren. Hy-Line hat bereits verschiedene Methoden entwickelt, die es gestatten, Displays berührungslos zu bedienen. »Touchless Touch ist der große Renner derzeit«, sagt Dibold.
So gestattet es eine Leiste aus Sensoren und LEDs der schwedischen Firma Neonode, einen IR-Vorhang vor das Display zu legen. Aus den Reflektionen der Finger des Bedieners erkennt das Display, welche Tasten „berührt“ werden sollten, ohne dass eine wirkliche Berührung nötig wäre. Mithilfe von speziellen Glasscheiben lässt sich die Schaltfläche eines Displays sogar hologrammartig in die Luft projizieren. Wenn der Finger eine Taste auf der Projektion „berührt“, wird der Schaltvorgang ausgelöst, dann kann das Touchdisplay noch nicht einmal versehentlich berührt werden. Auch die dazu erforderliche Mechanik hat Hy-Line entwickelt. Martin Dibold freute sich besonders, dass er den neusten Prototypen dieses Geräts – frisch aus dem hauseigenen 3D-Drucker – bereits im Gespräch mit Markt&Technik im Hy-MAT-Bus vorführen konnte.
Zudem sind noch viele weitere Ideen ins Prototypen-Stadium vorgedrungen, etwa ein mit der Neonode-Technik ausgestattetes „Touchless Touch“ Display für den Einsatz in Fahrstühlen. Eine Türklingel versehen mit Display, Kamera, IR-Beleuchtung, Näherungssensoren, Mikrofonen und Lautsprechern für Mehrfamilienhäuser ist sogar schon in die Vorserienfertigung gegangen. Die Superklingel benötigt weder Router noch Kabel und auch keinen Internetanschluss, das überzeugt offenbar: Dibold rechnet mit größeren Stückzahlen.
Sprachgesteuerte Eingabesysteme
Ein weiterer Schwerpunkt von Hy-Line sind sprachgesteuerte Eingabesysteme, über die die Anwender den Geräten auch dann Steuerbefehle zurufen können, wenn sie weiter von ihnen entfernt sind. Die Zielgeräte können – aufbauend auf der Technik der Dresdner Voice Inter Connect – die Sprachbefehle auch in akustisch schwierigen Umgebungen wie in der industriellen Fertigung korrekt verstehen.
„HMI 5.0“ nennt Hy-Line das dahinterstehende Konzept: Alle fünf Sinne des Menschen sollen einbezogen werden. »Nur Geruch und Geschmack fehlen noch«, sagt Dibold – und er sagt es so, dass zu erwarten sein dürfte, demnächst mehr zu diesem Thema zu hören, denn: »Normales HMI kann jeder, da kommt es nur auf den Preis an, das macht keinen Spaß«, wie Dibold erklärt.
Bei den zahlreichen Ideen und Prototypen, die in Zusammenarbeit mit Partnern und Anwendern derzeit entstehen, wird es Hy-MAT also nicht an Ausfahrtmöglichkeiten mangeln. In der Garage in seiner Heimat in Unterhaching wird er eher selten anzutreffen sein. Martin Dibold geht davon aus, dass demnächst weitere Hy-MATs ihren Dienst aufnehmen werden, was kein Problem sei: »Wir wissen jetzt, wie es geht; sobald der Bus da ist, können wir ihn innerhalb einer Woche umbauen.«