In Automobil- und Industrieanwendungen steigen die Anforderungen an die funktionale Sicherheit. Was das für Entwickler bedeutet, erklärt Infineons Abteilungsleiter für Magnetsensoren Axel Hahn.
Elektronik: Herr Hahn, woher kommt der Trend zu mehr funktionaler Sicherheit? Und Entwickler welcher Systeme müssen darauf reagieren?
Axel Hahn: Das sind in erster Linie die Entwickler von Systemen für die Automobilindustrie, die die Megatrends automatisiertes Fahren und Elektromobilität bedienen. Hier liegen auch die treibenden Faktoren für den höheren Bedarf an funktionaler Sicherheit. Beim automatisierten Fahren ist das offensichtlich. Je stärker ein Fahrzeug automatisiert ist, desto weniger Möglichkeiten hat der Fahrer einzugreifen, wenn zum Beispiel Lenkung oder Bremse beeinträchtigt sind. Daher müssen solche Systeme künftig noch stärker nach den Aspekten der funktionalen Sicherheit ausgelegt werden als bisher üblich.
Nicht ganz so offensichtlich ist das bei der Elektromobilität. Elektromotoren entwickeln jedoch enorme Drehmomente. Wenn sie unbeabsichtigt beschleunigen, kann ein Auto auch von der Straße abkommen. Deshalb schreiben Automobilhersteller nun höhere Sicherheitslevel für viele Systemen vor. Klassische Anwendungen sind Lenkung, Bremssysteme und Fahrwerke.
Elektronik: Ihre Lösung ist, Sicherheitsfunktionen in den Sensor zu integrieren. Welche neuen Funktionen kommen für den Entwickler dazu?
Hahn: Man muss zwei Aspekte sehen. Der System-Entwickler muss einen zertifizierten Entwicklungsprozess einhalten, um das geforderte Sicherheitslevel gemäß ISO 26262 nachzuweisen. Wir erleichtern ihm das, indem wir für die einzelne Komponente eine umfangreiche Dokumentation beisteuern. Der andere Aspekt sind die neuen Funktionen und ein abgewandelter Aufbau des Sensor-Bausteins, mit denen dieser das entsprechende ASIL-Level im System ermöglicht.
Wir haben zum Beispiel gerade einen neuen Linear-Hall-Sensor entwickelt, der grundlegend nach der Automobil-Sicherheitsnorm ISO 26262 entwickelt wurde. Aktueller Stand der Technik ist ein einzelner Messpfad pro Silizium-Chip. Wir haben nun erstmals zwei redundante Messpfade, also Sensorelement, A/D-Umsetzer und digitaler Signalprozessor, auf einem Silizium-Chip untergebracht.
Und weil wir bei der Entwicklung darauf geachtet haben, dass sich beide Sensorelemente in ihrem Aufbau unterscheiden und auch beide Messpfade eine leicht unterschiedliche Auflösung haben, kann der Baustein nicht nur redundant messen, sondern auch divers. Dadurch lassen sich auch systematische Fehler feststellen. Für wenig Verdrahtungsaufwand nutzen beide Messpfade eine gemeinsame PSI5-Schnittstelle, das heißt, zwei Kabel reichen zur Verdrahtung.
Elektronik: Warum haben sie diese Bauweise gewählt?
Hahn: Die Herstellungskosten fallen geringer aus, und die Bauweise ermöglicht neue Funktionen, ohne dass die OEMs ihre bestehenden Entwürfe grundlegend ändern müssen. Bei der Lenkunterstützung werden bisher zum Beispiel zwei Sensoren für Drehmomentmessung eingesetzt mit jeweils einem Messpfad. Kommt es zu einer Störung, ist die Lenkunterstützung entweder deaktiviert oder nur noch eingeschränkt verfügbar. Werden nun zwei unabhängige Messpfade in einen Sensor integriert, kann mit den beiden Sensoren so viel Redundanz geschaffen werden, dass die Lenkunterstützung auch bei Ausfall eines Messpfads voll erhalten bleibt. Daran sind viele Automobilhersteller interessiert.
Elektronik: Was ist die Alternative zu integrierter funktionaler Sicherheit?
Hahn: Ehrlich gesagt, eine richtig gute Alternative gibt es meiner Meinung nach nicht. Man müsste die Redundanz durch doppeltes Verbauen der gleichen Komponenten erreichen. Das ist natürlich möglich, aber sicherlich teurer. Und auch die Arbeit, die wir bei der Chipentwicklung in Funktionen zur Fehlerdiagnose gesteckt haben, müsste der Entwickler dann selbst übernehmen.
Elektronik: Lassen sich Automobil-konforme Sensoren auch sinnvoll und wirtschaftlich für industrielle Anwendungen nutzen?
Hahn: Ja, das kommt auch häufig vor. Die in der Industrie gültige Norm EN/IEC 61508 enthält zum Beispiel viele Aspekte der ISO 26262. Viele Kunden nutzen daher gerne Automotive-qualifizierte Bausteine. Wir geben dazu auch die nötigen Dokumente für den industriellen Entwickler mit.
Unsere Industriekunden sind vor allem kleine und mittelständische Unternehmen. Für viele von ihnen sind die Kosten auch nicht der wichtigste Aspekt, sondern vielmehr, dass es zu der Komponente ein gutes Entwicklungs-Ökosystem gibt. Kleinere Unternehmen haben auch kleinere Entwicklungsabteilungen und wollen nicht viel Zeit darauf verwenden, einen Sensor überhaupt zum Laufen zu bringen. Darum schauen sie sehr genau darauf, ob es passende Maker-Bords und gute Entwicklungsunterstützung gibt. Das ist Ihnen teilweise wichtiger als allein der Preis.
Axel Hahn
ist Senior Director Magnetic Sensors bei Infineon Technologies. Er studierte Ingenieurwesen an der Technischen Universität Erlangen und arbeitet seit 1994 bei Infineon (bis 1999 Siemens Halbleiter).
Der TLE4999I3 ist der erste monolithische Linear-Hall-Sensor mit zwei unabhängigen Messpfaden auf einem Chip. Entwickelt wurde er für die Winkel- und Positionsbestimmung in Systemen zur Lenkunterstützung, von Gangschaltungen und Pedalen nach Sicherheitslevel ASIL D. Die Messgenauigkeit weicht über die gesamte Lebenszeit um weniger als 2 % ab. Dafür wurden optimierte Kompensationsschaltungen für Temperatur und mechanischen Stress integriert.
Technische Parameter