Risiokoabschätzung per Simulation

Können Viren ins Grund- und Trinkwasser gelangen?

12. Juni 2020, 13:00 Uhr | Nicole Wörner
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Manche Viren „schlafen“ nur

»Teil unseres Projekts ist es, das Transportverhalten dieser Pathogene im Grundwasser weiter aufzuklären«, so Engelhardt. »Wir wissen, dass die Virenanzahl im Grundwasser mit der Zeit abnimmt. Die Viren werden am Untergrundmaterial zurückgehalten und durch verschiedene bio- und geochemische Prozesse zerstört. Dennoch können sie über mehrere Monate, vielleicht sogar Jahre, am Untergrundmaterial anhaften und weiterhin infektiös, quasi ‚schlafend‘ verweilen.«

Experimente zeigten, dass ohne einen erneuten Eintrag durch Flusswasser, Viren nach einiger Zeit im Grundwasser wieder identifiziert werden könnten. Sie lösten sich also wieder vom Untergrundmaterial ab. Untergrund und Uferfiltrationsstrecke vom Fluss zum Entnahmebrunnen besitzt also ein gewisses Rückhaltepotenzial für Viren und andere Keime, doch dieses, so die Forscherin, zeige Unterschiede für verschiedene Arten von Viren und Keimen. Daher könnten einzelne Indikatoren nur eingeschränkte Hinweise für einen generellen Kontaminationsfall geben. 

Die relevanten Fragen bei einer Risikobeurteilung für eine Uferfiltrationsanalage seien entsprechend: Wie hoch ist die Virenbelastung im Oberflächengewässer? Wie hoch ist das Rückhaltepotenzial der Uferfiltrationsstrecke, wie stark nimmt also die Konzentration beim Transport im Grundwasser ab? Welche Parameter müssen besonders aufmerksam beobachtet werden und welche Umweltsituation ist besonders kritisch? Vorhersagen und Modelle seien derzeit auf Grund der Komplexität der Prozesse noch mit einer hohen Unsicherheit behaftet.

Laborexperimente mit Uferfiltraten und Entwicklung eines Simulationsmodells

Um den Virentransport unter „quasi in-situ“-Bedingungen auf der natürlichen Feldskala zu untersuchen, wurden im Projekt ein Jahr lang Grundwasserproben zwischen Rhein und dem Wasserwerk Flehe, Düsseldorf, genommen und unter anderem auf Adenoviren untersucht. Ergänzende Laborexperimente untersuchten den Einfluss der Temperatur, der Redox-Bedingungen und der Sättigung auf den Virentransport unter kontrollierten Laborbedingungen. Erste Ergebnisse zeigen, dass Viren im Rhein zwar messbar sind, jedoch nur in geringen Konzentrationen, und dass das Rückhaltevermögen des Untergrunds gegen Viren dafür hoch genug ist. Aktuell wird der Transport von Viren mittels numerischer reaktiver Transportmodelle analysiert. Diese komplexen Modelle werden mit Sensitivitäts- und Unsicherheitsanalysen auf Schlüsselparameter- und -prozesse untersucht und dann mit Hilfe moderner mathematischer Verfahren in einem Surrogat-Modell vereinfacht. Dieses Surrogat-Modell wird dann in eine anwenderfreundliche Toolbox eingebaut, welche Anwendern aus der Praxis, wie Wasserwerkbetreibern, als Entscheidungshilfe dienen soll. Die Toolbox ermöglicht über ein anwenderfreundliches Interface den Transport von Viren, das Rückhaltepotenzial im Grundwasser und das Risiko für das Rohwasser bei der Uferfiltration abzuschätzen, ohne selbst komplexe Modellierungen durchführen zu müssen.

»Da immer noch viele Fragen über den Transport von Viren im Grundwasser offen sind, lassen sich derzeit mögliche Gefährdungen noch schwer im Detail abschätzen«, so Irina Engelhardt schließlich. »Jedoch ist der Ausbreitungspfad über das Grund- und damit in das Rohwasser für den neuartigen Corona-Virus eher von sehr geringer Bedeutung.« In jedem Fall sei es auch für die Trinkwasserhygiene sinnvoll, die Anzahl der gleichzeitig Infizierten gering zu halten. »Ich empfehle die Strategie: flatten the curve.«


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