Elektrische Leistungsmessung

An den Grenzen der Physik

7. Januar 2019, 9:00 Uhr | Von Matthias Schöberle
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Fortsetzung des Artikels von Teil 1

Minimaler Einfluss des Leistungsfaktors

Der Einfluss des Leistungsfaktors cos φ auf die Leistungsmessgenauigkeit ist ein oft unterschätztes Phänomen. Die Ursache sind kleinste, unerwünschte Laufzeit- und Phasenwinkelabweichungen zwischen Spannungs- und Strompfad des Leistungsmessgeräts. Sie reduzieren die Genauigkeit der Wirkleistungsmessung bei Leistungsfaktoren kleiner als 1. Dieser Einfluss ist umso größer, je kleiner der Leistungsfaktor ist.

Warum das so ist, erklärt Bild 2. Bei sinusförmigen Spannungs- und Stromverläufen lässt sich die Wirkleistung aus P = U × I × cos φ berechnen. Mit U bzw. I und folglich der Scheinleistung S als fixer Größe, wird P nur noch durch cos φ bestimmt. In Bild 2 ist zu erkennen, dass eine Phasenwinkelabweichung von beispielsweise 5° bei einem Phasenwinkel von 0° nur wenig Einfluss (–0,38 %) auf die Größe der Wirkleistung P hat. Die gleiche Phasenwinkelabweichung von 5 ° bewirkt jedoch bei einem Phasenwinkel von 80° eine sehr große Änderung des Leistungswerts (–49,8 %), weil der Cosinus hier viel steiler verläuft.

Die Cosinus-Funktion führt dazu, dass bei kleinem Winkel eine Winkelabweichung weniger Einfluss auf die Leistungsmessung hat als die gleiche Abweichung bei einem großen Winkel
Bild 2. Die Cosinus-Funktion führt dazu, dass bei kleinem Winkel eine Winkelabweichung weniger Einfluss auf die Leistungsmessung hat als die gleiche Abweichung bei einem großen Winkel.
© Yokogawa

Dieser Zusammenhang ist auf nicht-sinusförmige Signale übertragbar. Denn deren zeitliche Verläufe können nach Fourier auf eine Addition von sinusförmigen Kurven mit unterschiedlichen Frequenzen zurückgeführt werden. Und auch wenn ein moderner digitaler Leistungsanalysator wie der WT5000 nicht P = U × I × cos φ rechnet, ist dieser Effekt natürlich messbar.

Bild 3 verdeutlicht den Einfluss des Leistungsfaktors bei 1 kHz. Er ist sehr klein, weil Spannungs- und Strompfade für jedes Leistungselement des WT5000 exakt aufeinander abgestimmt sind. Das Beispiel zeigt den Einfluss des Leistungsfaktors bei 100 % Bereichsaussteuerung der Spannungs- und Strombereiche. Im Vergleich mit der 1-kHz-Kurve in Bild 1, fällt sofort auf, dass die beiden Kurvenverläufe sehr ähnlich sind. Bei 100 % Bereichsaussteuerung und Leistungsfaktor 1 beträgt die Leistungsmessgenauigkeit 0,125 %.

 Der spezifizierte Einfluss des Leistungsfaktors auf die Genauigkeit der Messung bei 1 kHz ist über einen weiten Leistungsfaktorbereich gering
Bild 3. Der spezifizierte Einfluss des Leistungsfaktors auf die Genauigkeit der Messung bei 1 kHz ist über einen weiten Leistungsfaktorbereich gering.
© Yokogawa

In beiden Diagrammen reduziert sich die Messgenauigkeit mit kleiner werdender Wirkleistung. Jedoch beschreiben die beiden Kurven zwei ganz unterschiedliche Effekte. In Bild 1 reduziert sich die Wirkleistung analog zur dargestellten Bereichsaussteuerung, der Leistungsfaktor ist konstant 1. In Bild 3 reduziert sich die Wirkleistung mit kleiner werdendem Leistungsfaktor, die Bereichsaussteuerung ist konstant 100 %.

Wären die beiden Kurven deckungsgleich, so könnte das Verhalten des Leistungsanalysators sowohl für verschiedene Bereichsaussteuerungen als auch für verschiedene Leistungsfaktoren mit einer einzigen Kurve beschrieben werden. Davon kann man aber in der Praxis nicht ausgehen. Für den Präzisions-Leistungsanalysator WT5000 sind die Abhängigkeit von der Bereichsaussteuerung und die Abhängigkeit vom Leistungsfaktor separat spezifiziert, um das Geräteverhalten perfekt zu beschreiben.

Sorgfältig und solide konstruierte Messmodule

Jedes Leistungsmessmodul – Yokogawa nennt sie Leistungselement – beinhaltet einen Spannungs- und einen Strompfad. Um die hohen Genauigkeitsanforderungen auch bei kleinen Leistungsfaktoren und hohen Frequenzen zu erfüllen, ist die direkte Paarung der beiden Pfade elementar. Beide Pfade brauchen ausreichend Platz. Durch den räumlichen Abstand zwischen Strom- und Spannungspfad sowie zu den Eingängen benachbarter Leistungselemente werden beim WT5000 gegenseitige Störungen verhindert und thermische Effekte minimiert.

Zur galvanischen Isolierung verwendet Yokogawa im WT5000 für jeden Spannungs- und jeden Strompfad die selbst entwickelte und bewährte isoPRO-Technologie. Sie basiert auf der optischen Übertragung der digitalisierten Messwerte mit Laser und Lichtwellenleiter, um die erforderliche Isolierung und gleichzeitig die hohe Bandbreite sicherzustellen.

Um dem Anwender immer eine gute Bereichsaussteuerung zu ermöglichen, stehen zwölf Spannungsbereiche von 1,5 V bis 1000 V und – abhängig vom Leistungselementetyp – bis zu zehn Strombereiche zur Verfügung. Dabei bietet jeder Messbereich die gleiche hohe Bereichsdynamik.

Der größte Spannungsbereich ist für Effektivwerte bis 1500 V und Spitzenwerte bis 1600 V spezifiziert. Somit können sinusförmige Wechselspannungen bis 1130 V und Gleichspannungen bis 1500 V gemessen werden.

Die automatische Bereichsumschaltung der Spannungs- und Stromeingänge bewertet sowohl Effektivwerte als auch Spitzenwerte, um eine günstige Bereichswahl zu erzielen. Mit weiteren Einstellmöglichkeiten wie »Range Skipping« lässt sich das Umschaltverhalten darüber hinaus beeinflussen.

Die Spezifikationen des WT5000 gelten bereits nach einer Anwärmzeit von ca. 30 min. Verlässliche Messergebnisse werden über viele Jahre hinweg ohne regelmäßige Abgleiche erzielt.

Leistungsfähige Harmonischen Analysen

Harmonischen Analysen sind aus verschiedenen Gründen wichtig. Als Beispiel seien Messaufgaben an Antriebssystemen (Power Drive Systems) genannt, die aus Frequenzumrichter und Motor bestehen. Hier muss die Grundschwingungsleistung parallel zur breitbandigen Leistung gemessen werden. Denn nur bei der Grundschwingungsfrequenz kann der Leistungsfaktor des Motors korrekt bestimmt werden. Die Differenz der Grundschwingungsleistung zur breitbandig gemessenen Leistung ergibt die Umrichter-bedingten Motorverluste, deren Kenntnis ebenfalls bedeutsam ist. Aber auch Oberschwingungen sind von großem Interesse. Sie sind nicht nur Ursache für hochfrequente Verlustleistungskomponenten, sondern stellen auch eine Belastung für Wicklungen (Isolation) sowie für die Motorlager dar. Sie haben Einfluss auf Laufruhe, Geräuschentwicklung und folglich auch auf die Lebensdauer eines Motors.

Eine weitere Bedeutung fällt der Harmonischen Analyse bei qualitätsrelevanten Messaufgaben zu. Denn auch bei breitbandiger Leistungsmessung kann die Genauigkeit nur beurteilt werden, wenn die spektrale Verteilung der Leistungskomponenten bekannt ist. Denn die Genauigkeit einer Messung ist immer auch davon abhängig, welche Frequenzen zu betrachten sind.

Die Ergebnisse der Harmonischen Analyse werden auf dem Bildschirm des WT5000 beispielsweise als Balkendiagramm (U, I, P) und als Liste angezeigt
Bild 4. Die Ergebnisse der Harmonischen Analyse werden auf dem Bildschirm des WT5000 beispielsweise als Balkendiagramm (U, I, P) und als Liste angezeigt.
© Yokogawa

Yokogawa setzt für die Harmonischen Analyse bei allen Leistungsanalysatoren, auch beim neuen WT5000, das bewährte PLL-Verfahren ein. Es passt das rechteckige Beobachtungsfenster der Harmonischen Analyse mit Hilfe einer Phasenregelschleife an die jeweilige Grundschwingungsfrequenz an. Dadurch ist die Harmonischen Analyse frei von Leckeffekten (siehe Kasten: Harmonischen Analyse und Leckeffekt), die zu nicht quantifizierbaren Messfehlern führen würden. Dies ist eine Grundvoraussetzung dafür, dass Yokogawa die Genauigkeiten der wichtigsten Messwerte aus einer Harmonischen Analyse (Spannungen, Ströme, Wirkleistungen) spezifizieren kann (Bild 4).

Die serienmäßigen dualen Harmonischen Analysen des WT5000 arbeiten mit Grundschwingungsfrequenzen von 0,1 Hz bis 300 kHz. »Dual« bedeutet, dass Analysen auf der Basis von zwei Grundschwingungsfrequenzen durchgeführt werden. Bei einer Grundschwingungsfrequenz von 15 kHz werden 17 verschiedene Messwerte bis zur 100. Ordnung für alle sieben Leistungselemente berechnet. Das ergibt 11.900 Messwerte für jedes Messintervall, sogar für Intervalle von nur 50 ms. Bis zu einer Grundschwingungsfrequenz von 3 kHz werden Analysen der sechs wichtigsten Messwerte sogar bis zur 500. Ordnung ermittelt. Zusammen sind es somit 11.900 + 16.800 = 28.700 Messwerte pro Intervall.

Hinzu kommen dann noch über 330 Messwerte aus den breitbandigen elektrischen Messungen und den Motorauswertungen aus Drehzahl- und Drehmomentsignalen.
Dabei ist Aliasing kaum ein Thema, da es erst bei Frequenzen ab der halben Abtastfrequenz (Nyquist-Frequenz) auftreten kann. Aufgrund der sehr hohen Abtastfrequenz des AD-Umsetzers von 10 MHz ist auch die Abtastfrequenz der Harmonischen Analysen hoch. Aliasing ist somit nur möglich, wenn entsprechend hochfrequente Komponenten von Spannung und Strom vorhanden sind.

Harmonischen Analyse und Leckeffekt
Kasten. Harmonischen Analyse und Leckeffekt.
© Yokogawa

Für einen solchen Fall stehen einstellbare digitale Tiefpassfilter (Line-Filter) zur Verfügung, die Aliasing wirkungsvoll verhindern. Mit dem Einsatz der Filter sollten Anwender jedoch zurückhaltend umgehen, denn sowohl analoge als auch digitale Filter haben immer auch unerwünschte Nebenwirkungen. Deshalb sollte vorher geprüft werden, ob ein Anti-Aliasing-Filter tatsächlich erforderlich ist. Mit etwas Know-how ist dies recht einfach möglich. Soll ein Anti-Aliasing-Filter eingesetzt werden, so sorgt die nachfolgend beschriebene digitale Parallelpfad-Technologie im WT5000 dafür, dass der breitbandige Messpfad vom Filter nicht beeinflusst wird.


  1. An den Grenzen der Physik
  2. Minimaler Einfluss des Leistungsfaktors
  3. Digitale Parallelpfad-Technologie
  4. Anschlusskonzept für hohe Sicherheit und genaue Messungen

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