Corona-Pandemie

Erfolge im Kampf durch Mikrofluidik

5. Juli 2021, 9:00 Uhr | Messe Düsseldorf
Compamed Innovationsforum 2021: Mikrofluidische Bauteile beschleunigen den Kampf gegen die Pandemie
© microfluidic ChipShop

Compamed Innovationsforum zeigt, wie wichtig Hochtechnologien sind

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Die Corona-Pandemie hat große Auswirkungen auf alle Lebensbereiche. Nahezu alle Menschen sind auf bestimmte Weise betroffen – in ihrer Gesundheit, in ihrer beruflichen Tätigkeit, in ihrem gesamten Leben. Aber es gibt auch nennenswerte Lichtblicke. Dazu zählt vor allem die rasante Entwicklung von Impfstoffen, Testkits und künftig auch Medikamenten, die einen wesentlichen Beitrag zur Bewältigung der Krise leisten.

»Die Pandemie hat uns gezeigt, wie wichtig moderne Hochtechnologien sind, um schnelle, effektive Forschung und Entwicklung durchführen zu können, z. B. für Medikamente, Impfstoffe oder diagnostische Geräte«, sagt Dr. Thomas R. Dietrich, CEO des Fachverbandes für Mikrotechnik IVAM. Besonders mikrofluidische Bauteile seien geeignet, die Entwicklungsgeschwindigkeit wesentlich zu beschleunigen. Das hat das am 16. Juni digital durchgeführte Compamed Innovationsforum unter dem Leitthema »Mikrofluidik für die mobile Diagnostik sowie die Entwicklung und Herstellung von Arzneimitteln und Impfstoffen« mit seinen Expertenbeiträgen gezeigt.

Das Forum wird seit vielen Jahren in enger Kooperation der Messe Düsseldorf mit dem IVAM durchgeführt und gibt stets ein paar Monate im Voraus einen Ausblick auf aktuelle Themen der international führenden Fachmesse für die Zulieferer der Medizintechnikindustrie, die Compamed in Düsseldorf (nächster Termin: 15. – 18. November 2021, parallel zur Medica 2021).

Eine große Anzahl von Tests in sehr kurzer Zeit 

Mikrofluidische Komponenten erlauben die schnelle Durchführung einer Vielzahl von Experimenten im so genannten High-Throughput-Screening (HTS). Dies ermöglicht es, eine große Anzahl von Tests in sehr kurzer Zeit zu realisieren, um beispielsweise die Wirksamkeit von Medikamenten oder Impfstoffen an lebenden Zellen zu testen.

Die Geschwindigkeit und Genauigkeit der Tests wird unter anderem durch die Mikrostrukturen erreicht, die eine wesentlich bessere Kontrolle der physikalischen und chemischen Parameter (zum Beispiel Temperatur, Druck, Reaktionszeit) zulassen. Ein weiterer Vorteil dieser kleinen Strukturen ist die geringe notwendige Probenmenge und der sparsame Verbrauch von Reagenzien.

In den letzten Monaten wurden in sehr kurzer Zeit neue Produkte und Medikamente entwickelt. Ohne mikrofluidische Bauteile wäre dies nicht möglich gewesen. Geräte und Komponenten wie Lab-on-a-Chip, mobile Diagnosegeräte oder chemische Mikroreaktoren helfen bereits bei der Bekämpfung der Pandemie. 

Optimierungspotenzial einerseits – entscheidende Rolle andererseits 

Mikrofluidische Plattformen sind für eine schnelle Entwicklung und Kommerzialisierung von Point-of-Care-Tests (PoCT) grundsätzlich gut geeignet. Allerdings stellt der "ideale" PoC-Test eine große Herausforderung dar: Er soll nicht nur erschwinglich, empfindlich, spezifisch und benutzerfreundlich sein, sondern auch schnell, robust, gerätefrei und an Endanwender lieferbar.

Die in der Pandemie eingesetzten Tests zeigen, dass die verschiedenen Methoden unterschiedliche Grenzen haben und noch Verbesserungsbedarf besteht. So sind PCR-Tests zeitintensiver, benötigen ein Auswertungslabor, was die Methode teuer macht und den Durchsatz einschränkt. Die Antigen-Tests sind dagegen nur gering sensitiv und liefern teils falsch-negative Ergebnisse. Auch Antikörper-Tests für den Nachweis einer bereits ausgestandenen Infektion verfügen nur über eine begrenzte Empfindlichkeit. »Diese Einschränkungen zeigen, dass es im Testen nicht die eine >magische Silberkugel< gibt«, konstatiert Dr. Holger Becker, Chief Scientific Officer von microfluidicChipShop. Der Fachmann ist dennoch überzeugt, dass PoCT einen nachhaltigen Schub erhalten und Mikrofluidik vor allem bei molekularen Tests eine entscheidende Rolle spielen wird.

Point-of-Care-Tests: Ein wichtiges Werkzeug in der Pandemie 

Künftig ist davon auszugehen, dass zusätzliche Technologien im PoCT-Bereich entstehen, die sich vor dem Hintergrund der Pandemie jetzt leichter durchsetzen könnten. Dabei geht es im Einzelnen um direkte bildgebende Verfahren, die möglicherweise mit Künstlicher Intelligenz (KI) kombiniert werden, oder Si-basierte Sensoren (zum Beispiel Silizium-Photonik).

Ein relativ neues Instrument ist die »CRISPR-Diagnostik« (CRISPR steht für Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats) zur Identifizierung spezifischer RNA-Sequenzen. Beim Nachweis von RNA-Viren hat man üblicherweise nur relativ kurze Stücke genetischen Materials zur Verfügung, in denen es eine virusspezifische genetische Sequenz zu detektieren gilt. Bei der CRISPR-Diagnostik wird ein Cas-Enzym und ein fluoreszenz-gelabeltes Reporter-RNA-Molekül eingesetzt. Ist die Ziel-RNA in der Probe, fängt das Cas-Enzym an, die RNA sowohl von dem Traget als auch dem Reporter-Molekül zu zerschneiden, wodurch das Farblabel freigesetzt wird und detektiert werden kann. Es handelt sich dabei also um einen indirekten Nachweis, der aber den Vorteil hat, sehr spezifisch zu sein. »Grundsätzlich gilt: PoCT wird eine steigende Nachfrage erleben und ein wichtiges Werkzeug im Umgang mit Pandemien werden«, fasst Holger Becker zusammen.

Corona-Antikörper quantitativ messen mit PoC-Geräten 

Eine weitere Lehre aus der Pandemie lautet: mRNA-Impfstoffe konnten sehr schnell entwickelt und angepasst werden, aber ihre Produktion und Logistik sind schwierig. Das Upscaling zu den großen benötigten Mengen kostete Zeit. Zudem gibt es noch keine gesicherte Aussage darüber, wie lange die Immunität durch die Impfstoffe anhalten wird. Deshalb wäre es äußerst hilfreich, könnten PoC-Geräte Antikörper quantitativ messen. Die Anforderungen wären hoch: Nur ein Tropfen Blut aus einer Fingerspitze müsste genügen, die Resultate der Messung nach kurzer Zeit (unter 20 Minuten) zur Verfügung stehen. Die Messung sollte hoch sensitiv und spezifisch sein, bei digitaler Erfassung und Verarbeitung der Messdaten. Doch wie könnten derartige Lösungen verwirklicht werden zum Beispiel durch nicht zu sperrige Geräte sowie zu vertretbaren Investitionskosten und einem akzeptablen Energie- und Reagenzverbrauch?

»Um die Vorteile der Mikrofluidik am PoC besser zu nutzen, müssen wir von aktiven fluidischen Komponenten mit geringerem Gewicht und kleineren Abmessungen ebenso Gebrauch machen wie von einer Energieversorgung über Batterien und kleinen Fluidik-Volumina, die Systeme ermöglichen, um Reagenzien sparen«, erklärt Florian Siemenroth von Bartels Mikrotechnik. Nach Angaben des Unternehmens und den beteiligten Partnern mementis, microfluidic ChipShop, Honeywell und Sensirion lägen »alle Teile des Puzzles« auf dem Tisch, um aktive Mikrofluidik-Systeme zu realisieren. Eine Vielzahl von Standardkomponenten sei verfügbar und könnte in ein ultrakompaktes und intelligentes System integriert werden. Dazu zählen unter anderem Miniatur-Ventile, intelligente Pumpen und ihre Steuerung, Durchfluss-Sensoren, Reagenzbehälter und ein Schlauchsystem. Diese bereits zur Verfügung stehenden Komponenten und die daraus generierbaren Systeme weisen die gewünschten Vorteile auf: Sie erlauben die Automatisierung von fluidischen Prozessen mit handelsüblichen Komponenten, sie weisen einen geringen Stromverbrauch und ein geringes internes Volumen auf, das gesamte System ist ultra-kompakt und passt auf ein 96-Mikrotiter-Plattenformat (etwa 128 mal 85 Millimeter). Zudem können derartige Aktivsysteme für Kosten ab wenigen hundert Euro hergestellt werden. 

»Smart Fabs« für die künftige Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten 

Aus der Pandemie resultiert nicht nur eine wachsende Nachfrage nach lebenswichtigen medizinischen Produkten sowie moderner Verfahren zur Herstellung fortschrittlicher Therapeutika und Impfstoffe. Darüber hinaus hat sich ein starker Bedarf an dezentralen Arbeitsmodellen entwickelt, was nicht nur die Branche Medizintechnik betrifft. Um dem enormen Zeitdruck zu entsprechen, mussten »Smart Fabs« (Smarte Produktionen) in weniger als 12 Monaten aufgebaut werden. »Das kann nur mit den Erfolgsfaktoren hoher Durchsatz und Zuverlässigkeit, vollständige Automatisierung sowie Volumen- und Kosteneinsparungen gelingen«, so Dr. Gina Greco, Life Science, Diagnostics, Analytical Market Manager beim Schweizer Sensorspezialisten Sensirion.

Die Pandemie-Erfahrungen zeigen, dass die Life-Science-, Diagnose- und analytischen Instrumente weiter optimiert werden müssen. „Mikrofluidische Systeme zusammen mit Sensoren sind eine Schlüssellösung“, betont Greco. Sensirion sieht sich selbst als Experte für diese Bauteile, deren breites Portfolio ideal zur Bewältigung der industriellen Herausforderung von heute passt. So finden sie in einer pharmazeutischen Fabrik in allen Bereichen Anwendung – ob in Forschung und Entwicklung, Herstellung oder auch hinsichtlich der Qualitätskontrolle sowie intelligenter Logistik. (me)


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