Textile Sensoren in Wundauflagen integriert

Überwachung heilender Wunden

25. Juli 2013, 11:34 Uhr | von Dr. Kai Zirk und Dr. Harald Pötzschke
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Wenn Wunden ärztlich versorgt sind, muss das medizinische Personal den Verband nachfolgend regelmäßig wechseln, um die Wunde betrachten und eventuell die Umgebung befühlen zu können. Wäre der Zustand der Wunde unter dem Verband bekannt, könnten viele Verbandwechsel entfallen. Leistungsstarke elektronische Mess- oder Überwachungssysteme für unterschiedliche Messgrößen, deren Sensoren preiswert in eine Wundauflagen integriert sind, könnten die gewünschten Informationen liefern und so Aufwand und Personalkosten einsparen helfen.

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Zur Überwachung des Zustandes ärztlich versorgter Wunden gehört bis heute eine (bedarfsgerechte) regelmäßige Inspektion der Wunde - inklusive des dafür nötigen Verbandwechsels. Eine Überwachung des Wundzustands über textile Sensoren in der Wundauflage kann diesen Vorgang ersetzen und die damit verbundenen Kosten einsparen. Technisch ist es kein Problem, einfache und hochflexible (also auch sehr weiche) elektrische Leiterbahnen in die Textur textiler Wundauflagen wie beispielsweise Baumwoll-Kompressen zu integrieren - sie können in ein entsprechendes Textil eingewebt, -gewirkt oder -gestrickt sein, oder in eine textile Teilschicht einer Wundauflage gestickt werden. Dabei sind die Leiter entweder komplette textile Fasern (wie zum Beispiel Metallfäden) oder Garne (Faserverbünde), oder sie bestehen nur aus elektrisch leitenden Beschichtungen. Je nach Bedarf und passend zur gewünschten Messweise sind sie zusätzlich elektrisch isoliert, also beispielsweise elektrisch nichtleitend beschichtet.

Als planare Strukturen eingearbeitet, können die Leiterstrukturen als Sensoren für die klinisch wichtigsten Kenngrößen des Zustandes darunter liegender Wunden dienen. Denn ihre elektrischen Parameter wie die resistive, kapazitive oder induktive Impedanz ändern sich, wenn sich charakteristische Eigenschaften der Wunde und ihrer Umgebung medizinisch unerwünscht entwickeln.
Die wichtigsten zu erfassenden Änderungen des Wundzustandes sind vor allem:

  • ein Auslaufen von Gewebeflüssigkeit oder Blut aus der Wunde, zum Beispiel wenn sich die Wunde öffnet,
  • eine Entzündung des verwundeten Gewebes sowie
  • eine Zunahme des Volumens des Gewebes, insbesondere durch eine Einblutung.

Die zugeordneten, in der Wundauflage messbaren Kenngrößen sind:

  • die Feuchte in oder unter dem Verband - als Maß für das Auftreten oder die Zunahme von Gewebeflüssigkeit oder Blut,
  • die Temperatur oder eine Temperaturänderung in und unter der Wundauflage - als Indikator für Entzündungen - und
  • eine Streckung/Dehnung des Wundverbandes - wenn durch Volumenzunahme des Gewebes die Hautoberfläche entsprechend mit gedehnt wird.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die genannten Kenngrößen mittels elektrisch leitender Fasern oder Garnen in textilen Wundauflagen zu ermitteln. Nachfolgend werden technisch sehr einfach herstellbare Ausgestaltungen beispielhaft aufgeführt.

Bild 1: Mäanderförmige Anordnung isolierter, elektrisch leitfähiger textiler Fasern oder Garne in einer Wundauflage zur Temperaturbestimmung mittels Messung ohmscher Widerstände
Bild 1: Mäanderförmige Anordnung isolierter, elektrisch leitfähiger textiler Fasern oder Garne in einer Wundauflage zur Temperaturbestimmung mittels Messung ohmscher Widerstände
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Die Temperatur oder eine relevante Temperaturänderung in einer Wundauflage lässt sich über den temperaturabhängigen elektrischen Widerstand einer Faser proportional oder, bei Kenntnis des linearen Temperaturkoeffizienten, zumindest abschätzend rechnerisch ermitteln. Für ein Summenmaß über die Wundauflage wird die Faser dazu zum Beispiel mäanderförmig möglichst in die gesamte Auflagefläche integriert (Bild 1 links), für eine empfindlichere Ermittlung wird sie nur in eine oder mehrere kleine Flächen beispielsweise im Zentrum der Wundauflage eingearbeitet (Bild 1 rechts). Mittels einer so genannten Wheatstone-Messbrücke lässt sich eine ohmsche Widerstandsänderung sehr einfach bestimmen. Vorzugsweise enthält die Wundauflage eine weitere Messstelle, die nicht auf der Wunde zu liegen kommt, um Temperaturänderungen aus einem anderen Grund wie beispielsweise direkte Sonneneinstrahlung durch einen Vergleich erkennen und in der Auswertung berücksichtigen zu können.

Bild 2: Eine versetzt ineinander greifende Kammstruktur - ähnlich einem Kondensator - erlaubt die Feuchte-bestimmung über die Messung elektrischer Kapazitäten
Bild 2: Eine versetzt ineinander greifende Kammstruktur - ähnlich einem Kondensator - erlaubt die Feuchte-bestimmung über die Messung elektrischer Kapazitäten
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Zur Messung der Feuchte in einer Wundauflage kann die Leitfähigkeit zwischen zwei Kontaktpunkten dienen, wenn die daran angeschlossenen leitenden Fasern nicht elektrisch isoliert sind und leitfähige Flüssigkeit (Blut oder Wundsudat) zwischen den Fasern die »Stromfluss-Aufteilung« durch die Fasern verändert, wodurch der elektrische Widerstand zwischen den Kontaktpunkten im Allgemeinen sinkt. Auch hier lässt sich die Detektionsfläche und die Empfindlichkeit durch unterschiedliches Einarbeiten der Fasern beeinflussen, so sind zum Beispiel summarische (großflächige) oder parallele (kleinflächige bis punktuelle) Matrix-Messungen in der Wundauflage denkbar. Eine weitere Möglichkeit für faserige Feuchte-sensoren sind planare, versetzt in-einander greifende Kammstrukturen elektrisch isolierter Fasern - ähnlich einem Kondensator. Gerät Blut oder Wundsudat zwischen diese Strukturen, ändert sich die Kapazität und damit die Impedanz (Bild 2), und diese Änderung lässt sich zum Beispiel über die Verstimmung eines einfachen elektrischen Schwingkreises ermitteln.

Bild 3: Universelle Anordnung der Leiterstrukturen in einer Wundauflage zur kombinierten Bestimmung von Temperatur, Feuchte und Dehnung - die grauen Balken symbolisieren Klebestreifen an den Rändern der Wundauflage
Bild 3: Universelle Anordnung der Leiterstrukturen in einer Wundauflage zur kombinierten Bestimmung von Temperatur, Feuchte und Dehnung - die grauen Balken symbolisieren Klebestreifen an den Rändern der Wundauflage
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Das große Bild am Anfang dieses Beitrags zeigt ein Funktionsmuster einer solchen textilen Wundauflage mit aufgesticktem Sensor aus isoliertem Kupferdraht, der entsprechend Bild 2 angeordnet und direkt mit einem integrierten Schaltkreis (oben im Bild) verbunden ist.

Zusätzlichen Aufwand erfordert die Detektion einer Gewebeschwellung, wie sie beispielsweise bei einer Blutung in das Gewebe entsteht. Wird die Wundauflage an den Rändern mit einem Klebestreifen fixiert (in Bild 3 angedeutet), führt eine Gewebeschwellung zu einer entsprechende Dehnung der Wundauflage. Diese lässt sich durch eine Impedanzänderung, hervorgerufen durch eine Änderung der Induktivität planarer, spulenähnlicher Mäanderstrukturen (analog zu Bild 1) aus isolierten Fasern ermitteln, beispielsweise wiederum über die Verstimmung eines einfachen elektrischen Schwingkreises. Bild 3 zeigt eine sehr einfache universale Ausgestaltung, mit der sich je nach Anschlussbelegung sowohl eine Änderung der Kapazität (Feuchtigkeitsänderung) als auch der Induktivität (Volumenänderung) als auch des ohmschen Widerstandes (Temperaturänderung) bestimmen lässt.

Passive oder aktive Messelektronik

Bild 4: Prinzipskizzen von Überwachungs-Wundauflagen, ausgestattet mit (links) mechanisch steckbarer, elektrischer Verbindung, (Mitte) integrierter Messelektronik mit Modulen für Energieübertragung (E) und Datenübermittlung (D) oder (rechts) integrie
Bild 4: Prinzipskizzen von Überwachungs-Wundauflagen, ausgestattet mit (links) mechanisch steckbarer, elektrischer Verbindung, (Mitte) integrierter Messelektronik mit Modulen für Energieübertragung (E) und Datenübermittlung (D) oder (rechts) integrierter Energieversorgung, Datenspeicher und Elektronikmodulen für Messung und Datentransfer
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Die Ausgestaltung der Systemelek-tronik hängt stark von den gewünschten Eigenschaften des Mess- oder Überwachungssystems ab: Passive Systeme sind mit geringstem Aufwand auf der Patientenseite, also in der Wundauflage realisierbar, ermöglichen jedoch nur jeweils eine aktuelle, einmalige Bestimmung des Wundzustandes. Dazu reicht zum Beispiel ein Messgerät in der Hand des medizinischen Personals, das dann im einfachsten Falle durch Herstellen einer elektrisch leitenden Verbindung mit der Wundauflage - oder vorzugsweise telemetrisch - eine Messung durchführt. Oder aber es gibt eine personalunabhängige automatisierte Anbindung per Funk an ein ortsfestes Messsystem. Diese Art der Wundauflagen enthalten außer den Sensorfasern oder -garnen nur entweder einen mechanisch wieder lösbaren elektrischen Anschluss (Bild 4 links) oder vorzugsweise eine Messelektronik mit telemetrischer passiver Empfangs- und Sendeelektronik sowie einer Remote-Energieübertragung (Bild 4 Mitte).

Mit etwas mehr Aufwand lässt sich auch eine kontinuierliche oder regelmäßige aktive Registrierung von Messwerten realisieren. Dazu trägt der Patient (mit direktem Anschluss an seiner Wundauflage) eine Energieversorgung, eine Messelektronik, eine Sendeelektronik sowie einen Datenspeicher mit sich (Bild 4 rechts), den das Pflegepersonal zu beliebigen Zeitpunkten auslesen kann.

Bild 5: Die Wundauflage als autarkes System zur »intelligenten« Wundüberwachung: Zur integrierten Energieversorgung, dem Datenspeicher und den Elektronikmodulen für Messung und Datentransfer kommt eine Grenzwertüberwachung mit Alarmfunktion
Bild 5: Die Wundauflage als autarkes System zur »intelligenten« Wundüberwachung: Zur integrierten Energieversorgung, dem Datenspeicher und den Elektronikmodulen für Messung und Datentransfer kommt eine Grenzwertüberwachung mit Alarmfunktion
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Reichen gelegentliche Visiten des medizinischen Personals zur medizinisch notwendigen Überwachung nicht aus, lässt sich die Leistungsfähigkeit der Überwachung durch weitere Funktionen zu einem »intelligenten« System erweitern. So ist es möglich, medizinisch akzeptable Grenzwerte abzuspeichern und die gemessenen Werte mit diesen unmittelbar zu vergleichen. Beim Überschreiten der Grenzen warnt das System entweder den Patienten (beispielsweise akustisch) und fordert ihn so zur Kontaktaufnahme mit seinem Therapeuten auf. Oder die Elektronik fährt eine Alarmeinrichtung beim medizinischen Personal (zum Beispiel beim Pflegepersonal einer Krankenhaus-Station) an, setzt dieses so in Kenntnis und animiert gegebenenfalls zu einer Aktivität (Bild 5).

Nicht zuletzt könnten die Alarmfunktionen auch Teil vorhandener Einrichtungen auf Intensivpflege-
Stationen sein und kritische Wunden frisch Operierter überwachen - allerdings reißen Wundnähte und entzünden sich Wunden häufig auch noch etliche Zeit nach einer Operation (bis etwa zum siebten Tag) und gewiss nicht nur auf einer Intensivstation, auf der Patienten nach einer OP meist nur möglichst kurz intensiv überwacht werden.

Schnittstellen für weitere Informationsnetze wie beispielsweise Bluetooth mit dem speziell entwickelten, branchenspezifischen »Health Device Profile« sind denkbar. Bluetooth bietet einige für die Medizintechnik wichtige Übertragungsprotokolle wie eine exakte zeitliche Synchronisation von mehreren verbundenen Sensoren oder die parallele Übertragung unterschiedlicher Daten. Die zentralen Anwendungsfälle sind das Patienten-Monitoring, sowie einige weitere Anwendungen innerhalb von Krankenhäusern und Arztpraxen. So lassen sich Patienten mittels »Telemedizin« auch im Umfeld einer Klinik überwachen - beispielsweise im Besucherbereich, im Garten oder auf der Dachterrasse.

Prinzipiell ist es sicher von Vorteil, wenn es keine klassischen elektrischen Steckverbindungen zwischen der Wundauflage und dem Messgerät gibt. Als Alternative bieten sich zumindest großflächige und elektrisch leitfähige Klettflächen für wieder lösbare Verbindungen mit den Wundauflagen-Sensoren an. Eine noch bessere Lösung sind aber gewiss kontaktlose Verbindungen. Um deren Herstellungspreis rentabel zu gestalten, ließe sich beispielsweise die Sensorelektronik bei entsprechenden Stückzahlen in Hybridtechnik oder als ASIC hinreichend kostengünstig und somit als Einmalprodukt fertigen. Für eine aktive Sensorelektronik ist dann lediglich noch eine Energiequelle notwendig, beispielsweise in Form einer Knopfzelle oder eines Doppelschichtkondensators.

Die technische Ausgestaltung kontaktloser Messgeräte (manuell eingesetzt oder ortsfest und automatisiert) umfasst Transponder-Systeme für die Energieübertragung, die Steuerung und Durchführung der Messungen sowie die Rückübertragung der Mess-ergebnisse aus den Wundauflagen. Dabei erfolgt die Energie- und Datenübertragung zum Beispiel mit einem passiven Transponder. Dies hat den Vorteil, dass die Wundauflagen als passive Elemente keine Energieversorgung enthalten, ein Energieverbrauch also nur bei Bedarf erfolgt. Für die Archivierung der Messwerte kann das Messgerät mit jeder Art von Speicher ausgerüstet sein (Halbleiterspeicher, Speicherkarte, USB-Stick, etc.) oder aber wie oben bereits erwähnt beispielsweise via Bluetooth mit anderen Systemen verbunden sein. Kommen in der Wundauflage selbst Datenspeicher zum Einsatz, werden dort also Messwerte regelmäßig erfasst, wird es sich hierbei sicher um Halbleiterspeicher handeln. Und auch diese werden gewiss bevorzugt kontaktlos mit einem Transponder-System ausgelesen.

Über die Autoren:

Dr. Kai Zirk ist Professor im Studienbereich Elektrotechnik/Mechatronik an der privaten Fachhochschule (FHWT) Oldenburg und Dr. Harald Pötzschke ist niedergelassener Arzt und als Freiberufler in der industriellen Forschung und Entwicklung unter anderem von Medizinprodukten tätig.


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