Empfindlicher, schneller und genauer

Smartes Graphen-Papier hebt Schnelltests auf ein neues Niveau

9. Juni 2023, 14:41 Uhr | Kathrin Veigel
In der Corona-​Pandemie verbreiteten sich Schnelltests in der Bevölkerung. Nun haben ETH-​Forschende ein neues, kostengünstiges und genaueres Schnelltestsystem entwickelt, das sich für verschiedene medizinische Anwendungen einsetzen lässt.
© Andreas Prott/Adobe Stock

​Chemieingenieure von der ETH Zürich haben ein Schnelltest-​System aus Graphen-​Papier entwickelt, das sehr kostengünstig ist, einfach funktioniert und dabei die Genauigkeit von Labormessungen erreicht.

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Schwangerschafts-​ und Covid-​Schnelltests haben gegenüber anderen medizinischen Analysen einen grossen Vorteil. Sie sind so einfach, dass sie jeder praktisch überall selbst durchführen kann. Dafür sorgt das zuverlässige Grundprinzip dieser sogenannten Mikrofluidik-​Methoden: Wässrige Lösungen diffundieren mithilfe von Kapillarkräften durch einen Papier-​Teststreifen hindurch. Gesuchte Substanzen wie Viren-​Partikel oder Schwangerschaftshormone lassen sich dabei an einer gewünschten Stelle mit Hilfe von Antikörpern festhalten und aufkonzentrieren. Ein Färbungssystem macht dann die dichter werdende Probesubstanz langsam als Streifen sichtbar. 

So einfach und zuverlässig dieses Grundprinzip funktioniert, so schwierig kann sich die optische Beurteilung der Resultate gestalten. Die Frage, ob da eine Linie sichtbar oder ob es nur Einbildung sei, hat uns seit dem Ausbruch der Covid-​Pandemie wahrscheinlich schon alle mindestens einmal beschäftigt.

Genau hier setzt die Erfindung der Forscher von der ETH Zürich an. Sie haben einen Weg gefunden, um leitende Elektroden direkt innerhalb des Teststreifenpapiers zu bilden. So entsteht bei der Bindung eines gesuchten Stoffs direkt ein elektronisches Signal. Messungen werden dadurch viel empfindlicher, schneller und genauer.

Günstige Papiertechnologie besser machen

Davon, dass das Team der beiden ETH-​Chemieingenieure Chih-​Jen Shih und Andrew deMello die einfache und kostengünstige papierbasierte Mikrofluidik mit der Empfindlichkeit und Genauigkeit von elektronischen Messverfahren kombiniert haben, soll eine Vielzahl von analytischen Anwendungen profitieren.

Von der selbständigen Überwachung von Biomarkern im Blut durch Patienten, über Boden-, Luft- oder Wasserproben im Feld bis hin zu minutenschnellen Krankheitstests in entlegenen Weltgegenden: Das potenzielle Einsatzspektrum deckt praktisch alle chemischen, biologischen und medizinischen Analysen ab, die sich in wässrigen Lösungen durchführen lassen.

Bisherige Versuche, die kostengünstige Papier-​Chemie mit Detektionselektroden auszustatten, wurden durch eine grundsätzliche Eigenschaft von leitenden Stoffen behindert: Elektrische Leiter wechselwirken prinzipiell kaum mit Wasser und wirken darum als Barrieren für den Fluss von Proben-​ und Reaktionsgemischen in einem Papierstreifen.

Um diese Hürde zu überwinden und um die Technik zu einem zuverlässigen Verfahren zu entwickeln, die auch in weniger entwickelten Weltgegenden funktioniert, war die Kombination von unterschiedlichen Kompetenzen nötig. Für den neuen Schnelltest kombinierten die ETH-​Forschenden deshalb ihre Expertisen: Aus Shihs Gruppe kam das Know-how zur direkten Erzeugung der Leitfähigkeit im Papier. DeMellos Gruppe steuerte das Wissen über Mikrofluidiksysteme bei.

Laser zersetzt die Cellulose zu reinem Kohlenstoff

Die Basis für die Erfindung legt die Umwandlung der Zuckerpolymere, aus denen die Cellulose im Papier aufgebaut ist, mit Hilfe eines Lasers in Graphen. Diese spezielle Form des Kohlenstoffs ist leitfähig und gilt als ein Elektronikwerkstoff der Zukunft.

Bei der Umwandlung mittels Laser werden die Cellulose-​Moleküle in ihre Elemente Kohlenstoff, Sauerstoff und Wasserstoff zersetzt, vergleichbar mit dem Karamellisieren von Haushaltzucker. Während beim langen Erhitzen von Zucker in einer Pfanne aber nur gewöhnliche Kohle zurückbleibt, die den elektrischen Strom nicht leitet, gelang es den ETH-​Wissenschaftlern mit dem Laser in die Kohlenstoffatome der Cellulose leitfähiges Graphen umzuorganisieren.

Das Erzeugen von Graphen in Cellulose-​Papier allein hätte allerdings nicht ausgereicht. Das Wundermaterial ist nämlich wie praktisch alle anderen leitenden Stoffe hydrophob. Das heisst, es stößt Wasser ab und dieses kann dadurch auch nicht einfach durch es hindurchfließen.

Durch ein cleveres Tuning der Laser-​Energie ist es den Forschenden aber gelungen, die Zersetzung der Cellulose zu Graphen so dosiert durchzuführen, dass nicht nur die ursprüngliche Porosität der Cellulose erhalten bleibt. Auch einzelne der Sauerstoffgruppen der Cellulose bleiben auf der Oberfläche der Graphen-​Bereiche bestehen.

Diese Sauerstoffgruppen können mit Wassermolekülen wechselwirken und sorgen so in den Elektroden für eine praktisch gleich gute Benetzbarkeit wie im restlichen Papier. Zudem lassen sich an diese Sauerstoffgruppen auch sogenannte Reportermoleküle chemisch binden. So ensteht beispielsweise direkt ein elektronisches Signal, wenn ein Viruspartikel mit einem Detektions-​Antikörper auf der Elektrode interagiert.

Wissenschaft zum praxistauglichen Produkt entwickeln

Das Tuning der Laserenergie nahmen die Forschenden an zwei Hauptstellschrauben vor: Zum einen behandelten sie das Papier mit Flammschutzmitteln. Diese verhindern, dass die Laserenergie die Cellulose vollständig verkohlt oder gar verbrennt. Zum anderen wurde die Laserleistung verringert und stattdessen mit mehreren Pulsen gearbeitet, die eine geringere Energie pro Flächeneinheit in das Papier bringen.

Für ein in der Praxis brauchbares Produkt haben sie das Prinzip in praktischen Anwendungsfällen umgesetzt, und auch die Herstellung der Analytik-​Papierstreifen massiv vereinfacht. In 90 Minuten lassen sich bereits 176 Sensoren aus einem A4-​Papier herstellen und der Stückkostenpreis beträgt nur noch 0,02 US-Dollar.

Wie die zwei Chemieingenieure ihre Erfindung der Gesellschaft zugänglich machen und vermarkten werden, steht noch nicht fest. Angesichts der enorm breiten Anwendungsmöglichkeiten wäre ein Lizenzmodell denkbar.

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