Embedded Systeme

Notfalleinsätze optimieren

11. November 2015, 10:26 Uhr | von Magnus Reibenspiess
© purestock

Rettungseinsätze mit Blaulicht und Sirene gehören zum Alltag. Moderne Erst-Hilfe-Geräte in den Rettungswagen können über Leben und Tod entscheiden. Neben Defibrillatoren sind das besonders die Intensiv¬beatmungsgeräte. Leichte Bedienbarkeit, großer Funktionsumfang und integrierte Diagnosefunktionen vereinfachen die Arbeit der Ersthelfer und können für das Überleben der Patienten entscheidend sein.

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Pro Jahr fährt der öffentliche Rettungsdienst in Deutschland etwa 12,1 Millionen Einsätze, das sind 123 Einsätze je eintausend Einwohner. Täglich gehen bei den Rettungsdiensten etwa 31 000 Hilferufe ein, von denen 46 Prozent nachträglich als Notfälle eingestuft werden, wobei es in 54 Prozent der Fälle zu einem Krankentransport kommt. An der Hälfte aller Notfalleinsätze ist ein Notarzt beteiligt; das einspricht 2,33 Millionen Notarzteinsätzen. Diese Zahlen ergeben sich aus Erhebungen und Statistiken, die der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) in Bonn sowie die Bundesanstalt für Straßenwesen (BAST) in Bergisch-Gladbach veröffentlichen. Laut der vorliegenden Statistiken handelt es sich bei nur 5 Prozent aller Notfalleinsätze um Verkehrsunfälle, der Rest verteilt sich auf internistische Probleme (44 Prozent), Arbeitsunfälle (1 Prozent) sowie sonstige Unfälle oder Notfälle (49 Prozent).

Ein Notarzt steht einem Patienten in der Regel nach 10,9 Minuten zur Verfügung. Damit hat sich die Einsatzzeit innerhalb der letzten acht Jahre um rund 2,2 Minuten verlängert. Gründe dafür sind nicht zuletzt die offiziell als »Verringerung der Krankenhausdichte« bezeichneten Schließungen von Krankenhäusern. Dadurch fehlen Notärzte, denn 70 Prozent der gerufenen Notfallmediziner kommen aus Krankenhäusern. Aufgrund ihrer Spezialisierung sind zudem viele Krankenhäuser nicht mehr für die Betreuung von Notfällen geeignet. Umso wichtiger ist es für Patienten, dass die Einsatzkräfte, die aus den rund 1100 Notarzt-Stützpunkten und 80 Flugrettungszentren heraus die Betreuung von Notfallpatienten übernehmen, mit zeitgemäßen Methoden und modernsten medizinischen Geräten arbeiten.

Intensivbeatmung rettet Leben

Besonders kritisch ist ein Notfalleinsatz, wenn Notärzte mit einem plötzlichen Atemstillstand oder akuter Atemnot konfrontiert sind. Ohne rasche Hilfe steht dabei innerhalb weniger Sekunden oft das Leben eines Patienten auf dem Spiel. Erste mechanische Notfall-Beatmungsgeräte gab es bereits vor mehr als einhundert Jahren, doch seitdem hat sich die Medizintechnik enorm weiterentwickelt. Heutige Intensivbeatmungsgeräte werden mikroelektronisch gesteuert und enthalten hochtechnische Komponenten, die lungenschonend beatmen, um jederzeit eine Spontan-Atmung zu ermöglichen und die Atemluftverteilung in der Lunge mitverfolgen zu können.

Am Grundprinzip der Beatmung hat sich seit der Entwicklung der ersten Notfall-Beatmungsgeräte nicht viel verändert. Bis heute bewirken die maschinellen Atemhübe, dass der Druck in der Lunge ansteigt. Beim passiven Ausatmen sinkt der Druck wieder ab. Das Beatmungsgerät hält so den Gasaustausch in der Lunge aufrecht. Moderne Intensiv-Beatmungsgeräte versorgen den Notfallpatienten über einen gewissen Zeitraum mit Sauerstoff, bis die eigene Atmung wieder einsetzt. Das verschafft auch dem Notfallteam die notwendige Zeit, um weitere medizinische Maßnahmen durchzuführen und über weitere Aktionen zu entscheiden. Die einfache Bedienung der Geräte, ein großer Funktionsumfang sowie integrierte Diagnosefunktionen sollen die Arbeit der Ersthelfer optimieren und können für das Überleben der Patienten entscheidend sein. Modernste Technologien sind dafür eine grundlegende Voraussetzung.

Embedded goes Medical

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Bild 1: Trägerplatine mit dem COM-Express-Modul zum Aufstecken (reche Seite)
Bild 1: Trägerplatine mit dem COM-Express-Modul zum Aufstecken (reche Seite)
© Kontron

»Embedded goes Medical« steht bereits seit einigen Jahren als Slogan für eine neue Entwicklung in der Medizintechnik. Bei diesen Embedded Systemen, handelt es sich um kleine Computer, die immer häufiger in medizintechnische Geräte eingebaut werden. Damit eröffnen sich für die Notfallmedizin sowie die medizinische Behandlung in allen Segmenten neue Möglichkeiten und Behandlungsmethoden.

So hat beispielsweise das Schweizer IT-Unternehmen imtmedical [1] ein neues Intensivbeatmungsgerät entwickelt. Ziel war es, Notfallmedizinern ein Gerät an die Hand zu geben, das einfach zu bedienen ist, eine zuverlässige Beatmung garantiert und zusätzlich Diagnosemöglichkeiten enthält, um dem Patienten bestmöglich zu helfen. Gemeinsam mit dem Hersteller IMT [2] wurde die Produktfamilie »Bellavista« [3] entwickelt, deren Kernelement ein COM-Express-Modul von Kontron [4] ist (Bild 1).

»Bereits in der Evaluationsphase zeichnete sich dieses Produkt durch seine Leistungsfähigkeit sowie seine Funktionsvielfalt aus und hob sich deutlich von anderen Lösungen am Markt ab. Für unsere Neuentwicklungen konnten wir deshalb vom Start weg einen deutlichen Marktvorteil erreichen«, erklärt Daniel Müller, Development Team Manager und Projektleiter bei IMT.

Für das medizinische Umfeld ist das Embedded-Modul gut geeignet, weil es nicht nur robust ist, sondern zusätzlich eine moderne Touch-Bedienung bietet und die Patientendaten visualisieren kann. Darüber hinaus können die Datenausgabe sowie eventuelle kritische Alarmierungen in Echtzeit an das Fachpersonal in der Notaufnahme des weiterbehandelnden Krankenhauses übergeben werden, was die weitere Versorgung der Patienten verbessern kann.

Kritische Situationen zuverlässig meistern

Bild 2: Blick in das Intensiv-Beatmungsgerät »Bellavista«
Bild 2: Blick in das Intensiv-Beatmungsgerät »Bellavista«
© Kontron

Intensiv-Beatmungsgeräte kommen in der Regel in kritischen Situationen zum Einsatz, weshalb die Komponenten stabil und zuverlässig arbeiten müssen. Das sind Grundvoraussetzungen, denn die Geräte müssen im Notfall in verschiedenen Umgebungen die lebenserhaltende Beatmung von Personen übernehmen (Bild 2). »Intensiv-Beatmungsgeräte saugen mittels einer Turbine die Umgebungsluft an. Diese wird gefiltert und dem Patienten mit erhöhtem Druck zugeführt«, erklärt Müller die Funktionsweise. Die Drucksteuerung und das zu verabreichende Volumen sollten bei Bellavista verschiedene moderne Prozessoren übernehmen. Da die Eigenentwicklungen eines solchen spezifischen Systems nicht zur Diskussion stand, entschied sich das Projektteam für einen leistungsfähigen Computer-on-Module (COM), das neben einer hohen Zuverlässigkeit und Qualität auch zu vertretbaren Kosten zu haben war.

Embedded-Module haben sich seit Jahren im medizinischen Umfeld bewährt und ermöglichen es auf der Basis der COM-Technik, zahlreiche Lösungen für unterschiedlichste Einsatzbereiche in der Medizin umzusetzen. Basis für die Module ist der COM-Express-Standard, der von Embedded-Spezialisten zahlreicher namhafter Firmen wie Kontron weltweit vorangetrieben und weiterentwickelt wird. Module, die auf diesem Standard basieren, zeichnen sich durch Robustheit, hohe Rechenleistung und die obligatorischen Sicherheitsmerkmale aus.

Die Bellavista-Entwickler haben sich für das Modul »COMe-bSC2« im »basic«-Formfaktor entschieden, weil es neben genügend Prozessorleistung auch zusätzliche, flexibel konfigurierbare Digital Display Interfaces (DDI) für SDVO, DisplayPort und HDMI/DVI bietet. Zudem stehen für sicherheitskritische Applikationen bis zu zwei Gigabyte integriertes fehlersicheres ECC-DDR3-RAM zur Verfügung. Als CPU ist der »Celeron B810E« von Intel enthalten.

Normen müssen erfüllt werden

Medizinische Systeme unterliegen strengen Normen, die auch für die darin integrierten Komponenten gelten. Deshalb ist es für Unternehmen der Medizintechnik entscheidend, bereits im Vorfeld zu definieren, welche Teile eines Gerätes nach welchen Kriterien zu prüfen sind, um die notwendigen Normen zu erfüllen und letztendlich eine Zulassung zu erhalten. Auf allen Entwicklungsstufen muss eine Entwicklung daher Modul-, Integrations- und Systemtests in den Disziplinen Software, Elektronik und Hardware durchlaufen, damit einer erfolgreichen Markteinführung nichts im Wege steht.

Das für die Bellavista-Familie verwendete Prozessormodul beispielsweise absolvierte in der ersten Version innerhalb eines Zeitraums von rund 2000 Stunden im Rahmen klinischer Prozesse erfolgreich eine Vielzahl von Aufgaben. Die Embedded-Technik ermöglicht es, dass bei den Folgeversionen der lebensrettenden Maschinen heute nur noch die Änderungen zu überwachen und zusätzliche Dauerbetriebstests zu fahren sind, wodurch die Geräte erheblich schneller zur Marktreife gelangen können.

Die Vorteile von Embedded-Modulen für den Notfall-Einsatz liegen auf der Hand. Bei den Intensiv-Beatmungsgeräten kann das Fachpersonal neue Beatmungseinstellungen über die intuitive Touchbedienung kurzfristig und individuell vornehmen und die Leistung des Gerätes individuell an die Situation sowie den Zustand des Patienten anpassen. Die Anzeige der aktuellen Beatmungsparameter, die durch Echtzeitkurven und numerische Messwerte dargestellt werden, erfolgt durch das Embedded-Modul. Die Notfallmediziner erhalten damit zeitnah eine differenzierte Aussage über den aktuellen Gesundheitszustand des Patienten. Darüber hinaus werden die Patientendaten laufend ausgewertet und überwacht. Ungeeignete Einstellungen und potenzielle Gefährdungssituationen für den Patienten erkennt das System automatisch und sendet visuelle und akustische Alarme.

Während des gesamten Einsatzes zeichnet das Embedded-Modul des Intensivbeatmungsgerätes die Patientendaten kontinuierlich auf und speichert diese bis zu einem Jahr. Da gängige Schnittstellen zum Einsatz kommen, ist ein Datenexport auf eine Vielzahl von Speichermedien möglich, was die schnelle und sichere Analyse durch Fachärzte vereinfacht. Die kontinuierliche Aufzeichnung der Echtzeitdaten jedes Atemzugs – rückwirkend bis zu zwei Wochen – erleichtert die Analyse des Therapieverlaufes. Die Kommunikation mit Sensoren sowie den Patientendaten-Monitoring-Systemen anderer Hersteller läuft IMT zufolge problemlos.

Der Hersteller rät dazu, bei komplexen medizintechnischen Systemen flexible, aber robuste Komponenten auszuwählen, die auf marktüblichen Standards basieren. Das erleichtere die Markteinführung und stelle die Langlebigkeit von medizinischen Geräten sicher, die bei Notfällen, aber auch im Klinikalltag zum Einsatz kommen.

Markt für Medizintechnik wächst 

Der Markt für medizintechnische Geräte sowie medizinische Hilfsmittel zeigt einen deutlichen Aufwärtstrend, wie der Branchenreport Gesundheitswesen des deutschen Statistik-Portals »Statista« (de.statista.com) belegt. 2014 lag der Zuwachs in Deutschland bei 2,3 Prozent, wodurch die rund 1200 Hersteller der deutschen Medizintechnik erstmals einen Gesamtumsatz von 25,19 Milliarden Euro verzeichneten.

Der Inlandsumsatz legte laut dem Report um 3 Prozent zu und erreichte einen Wert von 8,09 Milliarden Euro. Für die internationalen Geschäfte ermittelte Statista ein Wachstum von 2,0 Prozent. Der Auslandsumsatz lag damit bei 17,10 Milliarden Euro, woraus sich für die Branche eine Exportquote von knapp 68 Prozent ergibt. Für das Jahr 2016 prognostizieren die Analysten dem Gesundheitswesen in Deutschland einen Umsatz von rund 76,9 Milliarden Euro.  


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