Interview mit Marvell-CEO Sutardja

»Für uns gibt es keine lokalen Märkte mehr«

17. Juni 2011, 16:24 Uhr | Gerhard Stelzer
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Warum Schwellenländer mitunter fortschrittlicher als Industrieländer sind

Elektronik: Marvell ist als Lieferant für mobile Geräte bekannt. Auf der ARM TechCon hat Ihr Unternehmen einen leistungsstarken Prozessor vorgestellt, einen Quad-Core-Prozessor der Armada-600-Familie. Bedeutet dieser Schritt, dass sich Marvell jetzt auch Hochleistungsapplikationen zuwendet, die an der Steckdose betrieben werden?

Dr. Sutardja: In der Mehrzahl aller Zielapplikationen setzen wir zurzeit auf Single-Core-Prozessoren. In High-end-Anwendungen wie Set-Top-Boxen für IP-Fernsehen kommen auch Mehrkern-Prozessoren zum Einsatz. In batteriebetriebenen Tablet-PCs setzen wir auch auf Dual-Core-Prozessoren. Der Quad-Core-Prozessor, den Sie erwähnt haben, lässt sich etwa in kostengünstigen Servern für zu Hause einsetzen oder anderen Embedded-Anwendungen, die rechenleistungsintensiv sind.

Elektronik: Heißt das, dass Sie zumindest in der Leistungsklasse der Atom-Prozessoren mit Intel konkurrieren? 

Dr. Sutardja: Wenn Sie die Applikationsfelder Set-Top-Boxen, IP-Fernsehen und Blu-Ray-Player anschauen, dann war hier die MIPS-Architektur über die letzten fünfzehn Jahre dominierend. Intel will jetzt in diesen Anwendungen und bei Tablets mit dem Atom Fuß fassen. Als wir in diesen Markt eingestiegen sind, haben wir uns für die ARM-Architektur aufgrund ihrer Stärke im Smart-Phone-Segment entschieden. Viele der Software-Anwendungen, die auf Smart-Phones mit dem Betriebssystem An-droid laufen, wurden bereits für ARM compiliert und laufen auf ARM-Prozessoren. Wenn also Set-Top-Boxen, IP-TVs und Smart-TVs auf ARM-Prozessoren aufbauen, dann lässt sich die Code-Basis weiterverwenden.

Elektronik: Wie schätzen Sie Steve Ballmers Ankündigung auf der CES ein, künftig auch ARM-Prozessoren mit Windows unterstützen zu wollen?

Dr. Sutardja: Das ist gut für jeden, der ARM-basierte System-on-Chips macht. Ich denke, es ist sogar gut für Intel, weil sie sich sicher mehr anstrengen werden, um die x86-Architektur wettbewerbsfähig zu halten. Es bringt auch Vorteile für die Verbraucher, denn sie bekommen mehr Auswahl und die Geräte werden billiger und leistungsfähiger. Wir können mehr Chips verkaufen, denn es gibt mehr Geräte, in die unsere Chips passen.

Elektronik: Sie haben auch Chips mit PowerPC-Kern im Sortiment. Welche Rolle spielen diese für Ihr Unternehmen?

Dr. Sutardja: In der Vergangenheit haben wir Chips für Firmennetze entwickelt, die auf MIPS- und PowerPC-Kernen basierten. Aber heute setzen wir bei neuen Chips ausschließlich auf ARM-Prozessoren.

Elektronik: Im weltweiten Vergleich spielt die europäische Industrie der Unterhaltungs-Elektronik keine große Rolle. Welche Art von Forschung und Entwicklung läuft bei Marvell in den europäischen Design-Centern, insbesondere in Frankreich, den Niederlanden, der Schweiz und Deutschland?

Dr. Sutardja: Wir sind ein globales Unternehmen. Wir haben auch Design-Center in Italien, Spanien und Israel. Insgesamt dürften dort knapp 2.000 Mitarbeiter beschäftigt sein. Wenn die Frage kommt, was wir in den lokalen Märkten tun, dann sage ich, dass es für uns keine lokalen Märkte mehr gibt. Wir glauben, dass jeder auf der Welt im Prinzip das Gleiche will. Sicherlich können sich Leute in manchen Regionen Geräte leisten, die ein paar Dollar mehr kosten, aber das ist es auch schon. Niemand will Sub-Standard-Produkte haben.

Wenn Sie hier in den USA Smart-TVs verkaufen, dann heißt das nicht, dass Sie in China Stupid-TVs verkaufen können. Vielleicht ist sogar das Gegenteil richtig, dass die Chinesen dann nach Super-Smart-TVs fragen. In den großen Zentren Chinas ist die Infrastruktur oft besser als bei uns. Dort gibt es Glasfaser bis ins Haus (Fibre to the home, FTTH).  In manchen Ländern, wo das durchschnittliche Einkommen unter dem der industrialisierten Welt liegt, finden Sie teilweise fortschrittlichere Technik als in Industrieländern. Warum? Weil der technologische Fortschritt fast zum Nulltarif kommt.

Moores Law erlaubt es uns, jedes Jahr kleinere und leistungsfähigere Chips zu bauen. Die Entwicklungskosten fallen bei großen Stückzahlen kaum ins Gewicht. Wenn die Entwicklung eines komplexen Chips 5 Mio. Dollar kosten sollte. Was spielt das für eine Rolle, wenn die Stückzahlen eine Milliarde erreichen? Selbst wenn die Entwicklung 100 Mio. Dollar verschlingt und Sie 100 Mio. Chips verkaufen können, dann sind die Entwicklungskosten nur 1 Dollar pro Chip. Das war vor fünf bis zehn Jahren gar nicht möglich. Da gab es keine solch hohe Nachfrage.

Wenn Sie heute ein Smart-TV betrachten mit dem Funktionsumfang eines PC, dann brauchten Sie in der Vergangenheit zahlreiche Chips. Heute können Sie ein solches Gerät im Prinzip mit einem einzigen System-on-Chip bauen. Für ein einfaches Gerät kostet ein Chip vielleicht fünf Dollar und für ein High-end-Gerät 20 Dollar. Wir leben in einer sehr interessanten Zeit. Fast alles, was Sie wollen, können Sie in Form von Chips für fünf bis zehn Dollar kaufen.

Aber um auf Ihre Frage nach den Design-Centern zurückzukommen. Alle Design-Center entwickeln Technologien und Verfahren, die wir für unsere komplexen Chips benötigen. In Spanien arbeiten wir beispielsweise an Powerline-Kommunikation. Für die Vernetzung von Smart-TVs im Haus werden Powerline und WLAN die dominierenden Technologien sein. Ethernet ist heute praktisch umsonst mit dabei. WLAN haben wir weiter entwickelt und können nun die Abstrahlcharakteristik formen (Beamforming). Wir sind derzeit auf dem Markt die einzigen, die WLAN-Chips mit Beamforming anbieten. Damit können wir die Reichweite bzw. die Datenrate in größeren Entfernungen deutlich erhöhen.


  1. »Für uns gibt es keine lokalen Märkte mehr«
  2. Warum Schwellenländer mitunter fortschrittlicher als Industrieländer sind
  3. Prozessentwicklung mit den Foundries ist wichtig

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