Kritiker werfen Andy Grove vor, dass er selber ein wenig an Verfolgungswahn gelitten habe und hinter jeder Ecke Spione vermutete. Dazu gibt es lustige Anekdoten. Egal wie wahr sie sind oder nicht – für Andy Grove gehörte das »Gejagt-sein« vielleicht schon zu den elementaren Erlebnissen seiner Jugend und hat ihm in der Halbleiterindustrie, die durch harte Zyklen – Chancen und Katastrophen liegen oft eng beieinander – und einen gnadenlosen Wettbewerb wie kaum eine andere Industrie geprägt ist, eher nicht geschadet. Zur Erinnerung: 1986 hat Intel tiefrote Zahlen geschrieben, einige fürchteten schon den Bankrott. Trotzdem teilte das Unternehmen nicht das Schicksal von Firmen wie Mostek, die nach raschem Aufstieg wie Silvesterraketen am Firmament verglühten. Genau dies war das Thema seines Buches und seines Lebens: Katastrophen vermeiden, Gelegenheiten ergreifen.
…vor allem aber die Wissenschaft
Selber war Andy Grove durch und durch Wissenschaftler – dennoch, oder gerade auch deshalb, als Manager höchst erfolgreich. »Altogether too often, people substitute opinions for facts and emotions for analysis.« So formulierte er es in seinem Buch: Wer die Welt erkennen und verstehen will, muss sie »more geometrico«, wie Aufklärungs-Pionier René Descartes es ausdrückte, nach den Methoden der exakten Naturwissenschaften analysieren. Übrigens: Grove hatte ja nicht nur ein einziges Buch geschrieben: »Physics and Technology of Semiconductor Devices« (1967) bringt auch heute noch Spannung in ansonsten langweilige Urlaubstage am Strand.
Den Krebs besiegt
Als er an Krebs erkrankte, vertraute er jedenfalls nicht auf die Meinung der Ärzte, sondern bildete sich innerhalb kurzer Zeit zum Krebsspezialisten weiter – und besiegte den Krebs als Wissenschaftler, dessen Untersuchungsgegenstand er selber war. Mit »Taking On Prostate Cancer« hatte er darüber einen tiefgehenden Artikel in der Fortune-Ausgabe vom 13. Mai 1996 geschrieben. Ganz ähnlich wie in »Only the Paranoid Survive« – wo er von der neutralen Position des Wissenschaftlers aus sein Verhalten emotionslos analysiert hatte: Wo habe ich geirrt, was habe ich draus gelernt, welche allgemeinen Gesetze lassen sich daraus ableiten?
Dass ein solcher Charakter über eine gewisse Selbstdisziplin verfügen muss, liegt auf der Hand. Dass dieser Charakter Disziplin von anderen verlangt ebenfalls: Andy Grove galt als strenger Chef, der Nachlässigkeiten gnadenlos ahndete. Legendär war seine 8-Uhr-Liste: Wer später erschien, wurde namentlich im Intel-Foyer an den Pranger gestellt.
Streng und ruppig
Obwohl er nicht zu lauten Wutausbrüchen neigte, war sein Cubicle – er musste den Chef nicht über ein protziges Büro heraushängen lassen sondern lebte das egalitäre Prinzip – durchaus gefürchtet. Und so ist es auch kein Wunder, dass nicht alle Mitarbeiter ihn ausschließlich in guter Erinnerung behielten. Als Federico Faggin, der spiritus rector der 4004-Maschine, Intel verließ, um Zilog zu gründen, verabschiedete er ihn mit folgenden aufmunternden Worten: »Was auch immer Du unternehmen wirst, Du wirst in allem scheitern.« Grove war überzeugt, dass eine gewisse Furcht – angeregt durch »kreative Konfrontation«, wie er es nannte – innerhalb von großen Organisationen wünschenswert, ja geradezu zum Überleben notwendig sei. Paranoid?
Aus dem Hang zur Wissenschaft resultierte sein großes Engagement für Schulen und Universitäten. Selber hatte er als armer Einwanderer in New York von dem kostenlosen City College profitiert. Glücklich ein Land, das solche Möglichkeiten bietet, war er überzeugt und er vergaß diese Zeit niemals. Als wohlhabender Manager (wenn auch als nicht zum engsten Intel-Gründerkreis gehörend niemals superreich wie etwa Gordon Moore) waren ihm Spenden für Bildungseinrichtungen eine Herzensangelegenheit. 2005 überwies er seinem City College in New York 25 Millionen Dollar. Daneben bedachte er aber auch großzügig diverse Forschungsinstitute und karitative Einrichtungen, auch solche, die sich um Flüchtlinge kümmern, denn niemals hatte er sein eigenes Flüchtlingsschicksal vergessen.
Nach seinem Ausstieg aus der aktiven Managerkarriere hörte man nur noch wenig von ihm. Er litt am Parkinson, eine Krankheit, die er auch als Wissenschaftler nicht mehr besiegen konnte. Am 21. März 2016 ist er gestorben.
»The person who is the star of previous era is often the last one to adapt to change, the last one to yield to logic of a strategic inflection point and tends to fall harder than most.«, hatte er in »Only the Paranoid Survive« geschrieben. Dieses Schicksal jedenfalls ist dem erfolgreichen Wissenschaftler und Manager, der schon zu Lebzeiten mit allen Ehrungen seiner Zunft ausgezeichnet worden ist, erspart geblieben.