Sichere Handhabungskonzepte für Medizingeräte

Fehlbedienung ausgeschlossen

24. November 2010, 10:37 Uhr | Alexander Steffen, Andreas Beu
© Olympus Europa Holding GmbH

Wie gelingt es, Medizinprodukte trotz ständig steigender Komplexität benutzungsfreundlich zu gestalten und so das Risiko für Bedienfehler zu reduzieren? Mit einem benutzerzentrierten Gestaltungsprozess, der von Anfang an den Nutzer und seine Anforderungen berücksichtigt. Usability (Gebrauchstauglichkeit) in die Entwicklung einzubeziehen führt zu einfach bedienbaren und damit auch sichereren Produkten – ein enormer Marktvorteil für Hersteller von Medizinprodukten.

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Laut den Normen DIN EN 60601-1-6 und DIN EN 62366 müssen Hersteller von Medizinproduk­ten einen »Usability Engineering Process« durchführen und in einem »Usability Engineering File« (UEF) dokumentieren. Beide Normen sind somit relevante Zulassungsvoraus­setzungen für Medizinprodukte.

Die DIN EN 60601-1-6 gilt für elektri­sche Medizingeräte. Die Norm DIN EN 62366 fordert einen Ergonomie-Prozess für alle Medizinprodukte. Sie ist somit auch für Hersteller von In-vitro-Diagnostika, medizinischer Software oder Implantaten Pflicht.

In den vergangenen Jahren ging der Trend bei Labor- und Medizingerä­ten zu eingebetteten Systemen, die beispielsweise eine Insulinpumpe steuern oder Physiotherapeuten bei der Rehabilitation unterstützen. Im Kontext der regulatorischen Anfor­derungen ist dies eine neue Heraus­forderung in Entwicklung und Ge­staltung von Benutzerschnittstellen.

Während ein Herzschrittmacher zum Beispiel ohne unser Zutun funktio­niert, sollten Hersteller bei vielen anderen Produkten Tasten und Bild­schirmanzeigen so gestalten, dass Anwendungs- und Bedienrisiken minimiert werden. Gleichzeitig müs­sen die Nutzer dieser Produkte mit immer mehr und immer komplexe­ren Informationen und Funktionen umgehen.

Sichere Handhabung istfür Medizingeräte Pflicht

Gelingt es uns bei bestimmten Pro­dukten überhaupt noch, alle Funkti­onen zu kennen und zu durchschau­en? Lautet die Antwort »Nein«, dann ist es um die »Usability« (Gebrauchs­tauglichkeit) meist schlecht bestellt. Dabei müssen gerade medizinische Geräte nicht nur technisch, sondern auch in der Handhabung sicher ge­staltet sein.

Egal ob beim Einsatz in kritischen Situationen und unter Zeitdruck oder bei der Bedienung durch unerfahrene Nutzer – bei Me­dizinprodukten sind das Risiko für Bedienfehler groß und die Folgen für den Patienten zum Teil lebens­bedrohlich.

Dies ist eine große Herausforde­rung bei der Gestaltung von Medi­zinprodukten, denn die Rahmen­bedingungen für Entwickler sind anspruchsvoll: kleine Displays sowie begrenzte Speicherkapazität und Prozessorleistung.

Trotzdem sind die Möglichkeiten der Produktge­staltung aktuell so spannend wie nie zuvor: Leistungsfähige Grafik­displays, flache Sensortasten, kapa­zitive Touchscreens, »intelligente« Umfeldsensoren und viele weitere technische Entwicklungen erlau­ben neue Wege im Produkt- und Interaktionsdesign. Mit der Zahl der Möglichkeiten steigt der Bedarf nach einem systematischen Vorgehen bei der Gestaltung.

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Bedienkonzept systematisch gestalten

Herausragende Bedienkonzep­te entstehen nur durch einen klar strukturierten Gestaltungsprozess, der die Benutzer systematisch und konsequent einbindet. Einen ent­sprechenden Prozess beschreibt die DIN EN ISO 9241-210 (Norm für den »Prozess zur Entwicklung ge­brauchstauglicher Systeme«, ehemals DIN EN ISO 13407). Sie verzeichnet Regeln für die benutzerorientierte Gestaltung interaktiver Systeme und empfiehlt Herstellern vier Phasen:

  • Analysieren: In der Analyse wer­den Informationen gesammelt über die Benutzer, deren indi­viduelle Bedürfnisse, Aufgaben und Ziele sowie die typische Nutzungsumgebung. Usability-Experten definieren Anforderun­gen an das spätere Produkt. Zum Einsatz kommen Methoden wie Vor-Ort-Studien, Interviews und Fokusgruppen. Es entstehen ty­pische Nutzungsszenarien, auch »User Stories« oder »Use Scena­rios« genannt.
  • Gestalten: In dieser Phase ent­werfen User-Interface-Spezialisten schrittweise Informationsarchi­tektur, Navigations- und Interak­tionskonzept sowie Layout und Design der Bedienung. Auch hier werden verschiedene Methoden wie Gestaltungs- oder Kreativ-Workshops, Papier-Prototypen, »Wireframes« und Kreativitäts­technik eingesetzt.
  • Erfahrbar machen: Eine frühzei­tige Visualisierung und ein Proto­typ machen die Interaktions- und Designkonzepte erfahrbar. Dabei kommen unterschiedliche Arten von Prototypen zum Einsatz – vom einfachen Papier-Prototypen bis hin zum interaktiven Proto­typen mit realer Hard- und Soft­ware.
  • Testen: Bei der Evaluation überprüfen Usability-Experten kontinuierlich, inwieweit die vorliegenden Interaktions- und Designkonzepte den zuvor defi­nierten Anforderungen genügen.
Bild 1: Bei Usability-Tests überprüfen Usability-Experten, wie es um die Nutzungsqualität eines Produkts bestimmt ist
© User Interface Design GmbH

Mittels Usability-Studien wird die Gebrauchstauglichkeit des Proto­typs getestet.

Dabei bearbeiten die Teilnehmer typische Aufgaben mit einem interaktiven Produkt oder einem Prototyp (Bild 1).

Usa­bility-Experten analysieren, wo Nutzungsprobleme auftreten und identifizieren mögliche Ursachen sowie individuell wahrgenomme­ne Stärken und Schwächen des Produkts.

Die einzelnen Aktivitäten des be­nutzerzentrierten Gestaltungspro­zesses lassen sich in verschiedene Entwicklungsprozesse wie V-Modell, Spiralmodell, aber auch agile Ent­wicklungsmethoden integrieren.

Benutzerzentrierte Gestaltung in der Praxis

Wie diese Anforderungen in die Praxis umgesetzt und gleichzeitig ein Produkt mit optimaler Bedien­barkeit gestaltet werden kann, zeigt das Beispiel eines Geräts für die Polymerase-Kettenreaktion (PCR) von Olympus. Das Produkt ist ein innovatives Sys­tem zur Vervielfältigung von Gen­sequenzen aus kleinsten Mengen DNA.

Typische Einsatzgebiete sind die Kriminaltechnik (Spurenanalyse), Krebsforschung und die Pränataldia­gnostik. Dabei wird DNA auf unter­schiedliche Temperaturstufen erhitzt. Das Geheimnis der Vervielfältigung liegt also in der kontrollierten Abfol­ge bestimmter Temperaturen.


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