Medizinelektronik-Experte im Interview

Elektronik macht Medizin effizient

27. September 2013, 12:15 Uhr | Caspar Grote
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Fortsetzung des Artikels von Teil 2

Mehr Elektronik im Medizinlabor!

elektroniknet: Gehen wir einmal vom Patienten weg und in Richtung der Labormedizin. Wo kann hier die Elektronik zu mehr Effizienz führen?

Prof. Wolf: An unserem Lehrstuhl untersuchen wir zum Beispiel die elektrochemischen Kommunikationsvorgänge innerhalb von Zellen, um pharmakologische Wirkstofftests deutlich effektiver zu machen. Hierbei werden Zell- oder Gewebekulturen in einem „Cell-on-a-chip“-Format durch planare elektrochemische und optochemische Mikrosensoren in Echtzeit analysiert. Typische Messparameter sind Faktoren wie der zelluläre Sauerstoffverbrauch, die Rate der zellulären Protonenproduktion, elektrische Aktivität oder die passive elektrische Impedanz als Signalgröße für morphologische Änderungen.

elektroniknet: Solche Untersuchungen sind doch bestimmt sehr zeitaufwändig?

Prof. Wolf: Eigentlich schon, aber wir konnten den Messdurchsatz stark steigern, indem wir an Sensor-Testplatten mit bis zu 96 Kammern mehrere Funktionsparameter der Zellphysiologie gleichzeitig untersuchen. Und dies vollautomatisch und reproduzierbar mithilfe eines Pipettierroboters in einem Klimatisierungssystems, wahlweise einer Ausleseeinheit für optochemische Sensoren oder eines vollautomatisierten Prozessmikroskops sowie einer elektronischen Einheit zum Auslesen elektrischer Impedanzsensoren.

elektroniknet: Wo kommen diese Systeme konkret zum Einsatz?

Prof. Wolf: Die Anwendungsgebiete reichen von der zellbiologischen und pharmakologischen Forschung über klinisch-diagnostische Tests bis hin zur Umweltanalytik. In laufenden Versuchen wird derzeit insbesondere der Einfluss verschiedener Chemotherapeutika auf humane Tumorproben erforscht, sowie eine klinische Studie dazu vorbereitet. Neuerdings kann das zellbasierte Messsystem auch durch die Kombination mit dreidimensionalen Gewebeschnitten für Toxizitätsanalysen eingesetzt werden. Dies könnte auch einen wichtigen Schritt bei der Bestrebung darstellen, bei den Toxizitätsuntersuchungen chemischer Substanzen im Rahmen der REACH-Verordnung der Europäischen Union von den umstrittenen Tierversuchen wegzukommen. Und ein miniaturisiertes Handheld-Gerät macht es möglich, minderwertige oder verdorbene Lebensmittel wie „Gammelfleisch“ oder gepanschten Wein einfach und schnell vor Ort zu bestimmen.

elektroniknet: Sie haben gezeigt, dass Elektronik und Mikroelektronik bereits einen erheblichen Beitrag zur Verbesserung von Diagnose und Therapie leisten konnten. Was sind nun die nächsten Schritte?

Prof. Wolf: Jetzt ist es nötig, diese Ergebnisse in praktische Therapiemodelle zu integrieren und die Vergütung für solche Therapiestrukturen zu etablieren. Denn der moderne Mensch als mündiger Patient möchte bei Behandlungskonzepten mitsprechen und mitentscheiden – und dafür braucht er Wissen und Verständnis, das er durch den behandelnden Arzt erhalten kann, aber auch – alternativ und ergänzend - durch objektive, neutrale und unabhängige Informationssysteme. Hier liegt die Herausforderung bei der Bewältigung der individuellen und personalisierten Anforderungen durch Kontexterkennung und der Entwicklung von intelligenten „Data Mining“ Algorithmen. Auf jeden Fall aber ist der Weg zur personalisierten telematischen Medizin für ein gesundes Leben nicht mehr aufzuhalten. Die treibenden Kräfte werden Konsumelektronik und Sensorik sein, wie man auf der Internationalen Funkausstellung dieses Jahr schön sehen konnte. Ich bin sicher, dass sich diese Systeme ab einer bestimmten technischen Reife von alleine durchsetzen werden.

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