elektroniknet: In welche Richtung gehen denn aktuelle Forschungsvorhaben?
Prof. Wolf: Am Heinz-Nixdorf-Lehrstuhl für Medizinische Elektronik der TU München arbeiten wir mit Partnern unter anderem an kognitiven medizinischen Systemen. Unsere mobile Diagnose- und Therapieplattform COMES ermöglicht die Verknüpfung von drahtlos angebundenen biomedizinischen Sensoren für die Erfassung physiologischer Parameter wie Blutdruck, Glukose, Aktivität oder Gewicht mit elektronischen Medien und telematisch orientierten Datenbanken. Regelmäßige Messungen geben Arzt und Patient einen Überblick über die gesundheitliche Entwicklung. Weil hier individuelle medizinische Daten mit übergeordneten Datenbanken zusammengeführt werden und im Bedarfsfall personalisierte Informationen zur Verfügung stehen, wird die informationelle Selbstbestimmung des Menschen auf den Bereich der medizinischen Information ausgedehnt und ermöglicht neben einer gesünderen Lebensführung auch eine aktive Einbindung des Patienten in den Therapie- und Genesungsprozess.
elektroniknet: Über welche Wege fließen die Daten vom und zum Patienten?
Prof. Wolf: Die vom Patienten in authentischer Umgebung mit einem sensorgestützten, mobilen Messgerät selbst erhobenen Daten gehen über verschiedene Datenschnittstellen automatisch zu einem mobilen Endgerät und von dort direkt in dieDatenbank. Anschließend werden die hinterlegten Daten mit einer Expertensoftware und einem intelligenten Feedback- und Interventionsmanagement verknüpft. Über- oder unterschreiten die Werte je nach Indikation festgelegte nutzerspezifische Grenzwerte, können definierbare Aktionen wie ein Anruf oder eine Benachrichtigung von Patient und/oder Arzt erfolgen. Dabei ist das System so ausgelegt, dass es analysieren, regeln und steuern kann. Im Bedarfsfall sind auf den Nutzer zugeschnittene, sehr zielgerichtete Interventionen möglich.
elektroniknet: Wie sieht ein konkretes Anwendungsbeispiel aus?
Prof. Wolf: Wer kennt das nicht: Nächtliches Schnarchen von Zimmergenossen kann einem den Nerv rauben. Schnarchen kann aber auch für den Schlafenden selbst gefährlich werden, bei der obstruktiven Schlafapnoe können Atemstillstände für mehr als zehn Sekunden auftreten. Mit einem miniaturisierten Sensorsystem lässt sich Schnarchen auch über einen längeren Zeitraum hinweg drahtlos und komfortabel ohne Elektroden im normalen Lebensumfeld des Patienten aufzeichnen und beobachten. Und ein individuell einstellbares Biofeedbacksignal kann den Schnarcher dahingehend konditionieren, dass er ungünstige Körperlagen vermeidet.
elektroniknet: Außen am Körper getragene Sensoren sind auch ohne Kabel lästig, die Akzeptanz der Patienten zumindest fraglich. Ließen sich die Sensoren nicht auch implantieren?
Prof. Wolf: Wir untersuchen in verschiedenen Projekten teil- oder voll implantierbare Sensorsysteme für die Diagnose und Therapie. Dabei reichen die Anwendungsszenarien von intelligenten Zahnschienen für die Bruxismusüberwachung bis hin zu Sensoren zur Kontrolle des Metabolismus eines Tumors oder des Heilungsprozesses eines Knochens. Im Rahmen der telemedizinischen Anwendungen wächst die Bedeutung solcher Implantate stetig an – schon wegen des steigenden durchschnittlichen Lebensalters der Bevölkerung in den Industrienationen und damit der Zunahme altersbedingter Erkrankungen. Dabei geht es nicht nur darum, die Patienten durch den Einsatz neuartiger Technologien länger am Leben zu erhalten, sondern ihnen einen möglichst selbstbestimmten Alltag mit hoher Lebensqualität zu ermöglichen. Dazu gehört sowohl das Wiederherstellen sensorischer Funktionen, zum Beispiel durch Cochlea- oder Retina Implantate, als auch die Unterstützung innerer Organsysteme durch Herzschrittmacher oder Neurostimulatoren.
elektroniknet: Stichwort Herzschrittmacher: Dort ist ja nicht nur der Sensor, sondern auch der Aktor implantiert. Werden wir implantierte Aktoren ebenfalls öfter vorfinden?
Prof. Wolf: Ganz sicher. Wir forschen beispielsweise an geschlossenen Regelsystemen – sogenannte Closed-Loop-Systeme, die feedbackgesteuert Wirkstoffe über ein lokal implantiertes Dosiersystem abgeben. So gelang es, einen neuartigen amperometrischen Gelöstsauerstoffsensor zusammen mit einer miniaturisierten Ansteuerungselektronik und einer Telemetrie-Einheit implantierbar zu gestalten. Zusammen mit einer implantierbaren Wirkstoffpumpe, die direkt lokal Medikamente freisetzt, ließe sich dieses System in der Tumortherapie sowie für die Überwachung der Knochenheilung verwenden, beispielsweise nach einer Fraktur oder dem Einsatz einer Endoprothese.