Industrie 4.0 im Shopfloor

»Wer Industrie 4.0 verschläft, hat vielleicht morgen kein Unternehmen mehr«

1. Dezember 2015, 13:53 Uhr | Karin Zühlke
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Kunden fordern die Vernetzung

»Schlussendlich finde ich es sehr wichtig, dass wir den Menschen als Trigger  für die Entscheidungsfindung  mit der vernetzten Welt nicht  aus dem Blick verlieren.«
Thomas Kaiser, CCS»Schlussendlich finde ich es sehr wichtig, dass wir den Menschen als Trigger für die Entscheidungsfindung mit der vernetzten Welt nicht aus dem Blick verlieren.«
© CCS

Und wie sehen nun die Geschäftsmodelle 4.0 für den EMS aus? – ene Frage, auf die es wohl keine einzig richtige Antwort gibt, wie auch die unterschiedlichen Ansichten in der Runde zeigen. »Ist es die Differenzierung zu Asien? Was bringt dem kleinen Mittelständler Industrie 4.0? Das sind Fragen, die sich Wolfgang Peter, zuständig für das Business Development von elektron, selbst Mittelständler, berechtigterweise stellen. Eine Antwort darauf liefert Dr. Werner Witte, Geschäftsführer von BuS Elektronik für BuS Elektronik: »Wir hinterfragen: Was erleichtert uns das Leben und was macht uns wirtschaftlicher? Das sind unsere Beweggründe, um uns mit Industrie 4.0 zu beschäftigen.« Und wer wirtschaftlicher und effizienter produziert, hat wiederum mehr freie Kapazitäten für neue Kunden. 

Rüdiger Stahl hingegen sieht für das eigenen Unternehmen in den Technologien hinter Industrie 4.0 eine Riesenchance, weil sie vielversprechendes neues Geschäftspotenzial für die Entwicklung und Fertigung von Elektronik bieten, angefangen mit Embedded-Systemen über Steuerungen und Antriebstechnik bis hin zu vernetzten smarten Applikationen. Kurzum: Durch Industrie 4.0 und IoT werden immer Elektronik und intelligente Systeme gebraucht, und davon profitieren auch die Elektronik-Dienstleister. »Vieles an Technologie ist heute schon vorhanden, wie etwa die intelligente Dichtung, die genau mitteilt, wann sie getauscht werden muss. Bei Dichtungen von Offshore-Windkraftanlagen ist das bereits als «lebensnotwendige« Maßnahme für das System umgesetzt. Bei einem verspäteten Wechsel kann der Generator durch das Salzwasser zerstört werden«, so Stahl. 

Die zunehmende Vernetzung in der Lieferkette wird zudem als Anforderungen der Kunden inzwischen verstärkt an die Fertigungsdienstleister herangetragen, erklären die Forumsteilnehmer, wie Thomas Kaiser, CEO der CCS Gruppe: »Das Geschäftsmodell für den EMS muss sein, die gesamte Wertschöpfungskette transparent zu machen und die Informationen zu verketten, dann bieten wir dem Kunden Mehrwert.« Diesen Mehrwert muss ein EMS heute bieten, und schon allein deshalb kommt kaum ein EMS um Industrie 4.0 herum: »Die Vernetzung in der Supply Chain wird immer stärker, schneller, intensiver, und immer mehr Daten werden ausgetauscht wie etwa Konfigurationsstände, Serialnummern oder Qualitätsdaten. Die Kunden fordern zunehmend, dass Servicedaten ausgetauscht werden und dass Lebenslaufdaten zu Produkten verfügbar sind und es keine Systembrüche gibt«, so Stahl. Die Basis für diese Daten liefert bei TQ wie bei vielen weiteren EMS-Firmen in der Diskussionsrunde das MES. Bei TQ ist ein zentrales MES-System werksübergreifend im Einsatz, über das Millisekunden-genau alle Daten ausgetauscht und zentral gesammelt werden. Auch das ERP-System ist bei TQ inzwischen werksübergreifend vernetzt und mit dem MES verbunden. »Vernetzung bedeutet übrigens nicht, dass ich jede Maschine ans Internet anschließen muss. Aber es gibt heute schon Verbindungen zwischen einzelnen Bestückungsmaschinen und Lieferanten«, klärt Stahl auf. 

Verbunden mit der Industrie 4.0 als Innovationsprozess ist aber auch der Investitionsprozess, vor allem in Software. Ohne ein MES, sei es eine proprietäre Eigenentwicklung oder ein Standard-System, funktioniert die Digitalisierung der Fertigung nicht. Die Kosten für ein MES liegen je nach Umfang bei mehreren hunderttausend Euro plus Folgekosten, etwa für Serverkapazitäten. Die Frage nach dem Geschäftsmodell und dem ROI ist also durchaus berechtigt. 

Bleibt der Arbeiter auf der Strecke?

Effizient, smart und automatisiert ist die Fertigung der Zukunft – geht das zu Lasten der Arbeitsplätze? Diese Frage schürt derzeit große Ängste in der Branche. »Schlussendlich finde ich es sehr wichtig, dass wir den Menschen als Trigger für die Entscheidungsfindung mit der vernetzten Welt nicht aus dem Blick verlieren«, unterstreicht Kaiser. Und Michael Velmeden ergänzt: »Ich glaube gar nicht, dass Arbeitsplätze verloren gehen, wir haben ja bereits eine sehr hohe Integration, und die Handprozesse werden so schnell nicht ersetzt werden. Es ist eher eine Entlastung und ein Zugewinn für den Mitarbeiter, denn Industrie 4.0 ist der Weg, um die Qualität zu steigern und mehr Ressourcen für andere Aufgaben frei zu haben. 

Dennoch wird künftig mehr Flexibilität vom Mitarbeiter erwartet werden: »Wir müssen uns vom Gedanken verabschieden, dass ein Mitarbeiter 25 Jahre denselben Job macht. Aber man muss die Mitarbeiter mitnehmen und Aufklärungsarbeit betreiben. Wenn man die Mitarbeiter mit einbezieht und grundlegend die Vorteile vermittelt, dann kommen sogar positive Effekte und Ideen für internes Industrie 4.0. Die Masse geht dann absolut mit, und wir erleben sehen sehr viel Positives«, berichtet Enser. 

Ganz unbegründet sind die Ängste der Mitarbeiter insgesamt aber nicht: Wenn es nicht gelingt, die Automatisierung durch mehr Volumen auszugleichen, dann könnte das am Ende durchaus auf Kosten der Mitarbeiter gehen. Nach Ansicht von Stephan Baur, CEO von BMK, besteht durchaus die Gefahr, »dass besonders »mittel qualifizierte« Jobs in nicht wertschöpfenden Bereichen durch die Intelligenz der Algorithmen ersetzt werden. Den Werker hingegen brauchen wir immer.« 

Die Digitalisierung ist jedenfalls nicht aufzuhalten und schreitet auch in anderen Branchen voran, das zeige schon alleine ein Blick auf die Logistik und den Online-Handel, betont Weber: »Die Zeiten ändern sich, und wer Industrie 4.0 verschläft, hat vielleicht morgen kein Unternehmen mehr.«  


  1. »Wer Industrie 4.0 verschläft, hat vielleicht morgen kein Unternehmen mehr«
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