Johann Weber, Zollner Elektronik

»Fatal, wenn Industrie 4.0 auf Management 1.0 trifft«

12. März 2020, 14:39 Uhr | Karin Zühlke
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Vernetzung aus eigenem Antrieb

Inwieweit treiben die Kunden die Vernetzung ihrer Zulieferer, also in diesem Fall EMS-Unternehmen voran?

Vernetzung betreibt Zollner schon lange aus eigenem Antrieb, um Synergien aus den global standardisierten Prozessen zu erhalten. Ein großer Vorteil ist hier das einheitliche ERP- und MES-System über alle Standorte hinweg. Für Großkunden werden aus diesen beiden Systemen individuelle Datenpakete generiert, die der Kunde dann wieder in sein System importieren kann. Leider gibt es hier noch keinen Standard, hier hat jeder Großkunde seine eigenen Vorgaben, sodass dies immer einen Mehraufwand aufseiten des Zulieferers bedeutet. Gerade die Großkunden und auch viele Automotive-Kunden sind Treiber der Vernetzung. Die Automobilkunden sind schon längere Zeit unter Kostendruck und mussten die Vernetzung über EDI, aber auch durch Portale nutzen, um Aufwände zu verringern. Andere Kunden nutzen die digitale Transparenz, um What-if-Szenarien mit Simulation über die SCM-Kette durchzuführen, um damit bessere Entscheidungen zu treffen. Ich bin überzeugt davon, dass die Daten das Gold von morgen sind. Je früher jemand Informationen besitzt, desto schneller kann reagiert werden. Je mehr Informationen aus der Vergangenheit bestehen, desto besser können Prognosen mittels KI für die Zukunft genutzt werden.

VW arbeitet mit Amazon am Aufbau der Volkswagen Industrial Cloud. In dieser Cloud werden künftig die Daten aller Maschinen, Anlagen und Systeme aus sämtlichen 122 Fabriken des Volkswagen-Konzerns zusammengeführt. Auch Zulieferer sollen darin mittelfristig integriert werden. Ähnliches setzt BMW mit Microsoft Azure auf. Wie stellt der Zulieferer sicher, dass er trotzdem seine Datensouveränität bzw. Datenkontrolle behält?

Für einen Zulieferer ist es extrem wichtig, eine eigene klare Digitalisierungsstrategie zu entwickeln und konsequent umzusetzen. In dieser Strategie müssen alle notwendigen Anforderungen zur IT-Sicherheit und auch den rechtlichen Themen enthalten sein. Dabei gilt es, auch mit großen OEMs zu klären, welche Daten zu übermitteln sind und welche nicht. Wichtig ist, dass die Daten im Fehlerfall oder bei Rückrufen durchgängig in der gesamten Supply Chain ermittelbar und nachweisbar sind. Daten müssen heute wie in der Vergangenheit und in der Zukunft verwaltet und kontrolliert werden, unabhängig von den Anforderungen der OEMs. Natürlich wird es aber auch eine Herausforderung werden, sich in die verschiedenen Lösungen der OEMs zu inte­grieren und die unterschiedlichen Sichtweisen auf die gleichen Daten abzudecken. Datensicherheit und -souveränität ist natürlich wichtig. Dennoch müssen wir Wege finden, wie wir uns die Daten, welche vorhanden und gesammelt sind, zunutze machen. Intelligente Ableitungen können uns helfen, unsere Produkte und Dienstleistungen zu verbessern. Eine Möglichkeit, dies auch anonymisiert zu tun, bietet vielleicht die Blockchain

Bezahlen Ihre Kunden denn für Tracking & Tracing – also für den Aufwand, Daten zur Verfügung zu stellen?

Das Thema „Track & Trace“ muss man differenziert betrachten: Wir bieten für den Kunden verschiedene Stufen der Rückverfolgbarkeit an. Eine Rückverfolgbarkeit der Komponenten auf Auftragsebene ist eigentlich ein Basisstandard, den man heute kostenneutral für den Kunden bieten muss. Anders sieht es aus, wenn man die Seriennummer eines einzelnen Bauteils bezogen auf den Einbauort einer Einzelschaltung inklusive aller Prozessdaten realisieren muss. Hier fallen eine Menge an Daten an, deren Speicherung über viele Jahre hinweg nicht unerhebliche Kosten verursacht. Das Sammeln und Verwalten der Daten ist für uns grundsätzlich nicht das große Problem; die Herausforderung besteht darin, dass die Sichtweisen auf diese Daten von Kunde zu Kunde unterschiedlich sind. Dies bedeutet für uns Aufwand, diese Sicht konsistent darzustellen. Verrechnungsmodelle könnten sowohl auf der Daten-Sammel-Seite als auf der Daten-Export-Seite ansetzen. Also: Wird mehr gesammelt, muss der Kunde mehr zahlen; wird mehr geschickt bzw. exportiert, muss der Kunde mehr zahlen.

Und umgekehrt: Was erwarten Sie als EMS von Ihren Zulieferern in diesem Punkt, insbesondere im Hinblick auf die Digitalisierung des Einkaufs?

Digitalisierung spielt auch hier schon seit Jahren eine wichtige Rolle, sei es über automatisierte Preisfindung über Tools und Webportale als auch EDI-Anbindungen, um hier möglichst viel sinnvoll zu automatisieren. Auch ist die Erfassung der zu liefernden Ware beim Lieferanten ein Thema, das wir angehen werden, sodass Material, das zu uns geliefert wird, bereits gekennzeichnet ist und die Daten dazu beim Versand digital an uns übermittelt werden und wir dadurch Material unmittelbar nach Anlieferung direkt in der Fertigung verwenden können, ohne gesondert einen Prozess zur Erfassung der sogenannten Trace-Daten machen zu müssen.

Sie haben einige Male das Stichwort KI genannt. Inwieweit setzen Sie bereits Künstliche-Intelligenz-Tools in der Fertigung, Einkauf, Logistik ein?

Wir haben einige Leuchtturmprojekte gestartet, die auf Basis von entsprechenden Use Cases aufgesetzt werden. Es steht dabei im Wesentlichen die Verbesserung der Qualität und Effizienz im Vordergrund. Als erste Erfahrung hat sich gezeigt, dass es notwendig ist, eine entsprechende Anzahl an Daten zu haben bzw. zu sammeln, damit die statistische Genauigkeit und auch das Trainieren einer KI sichergestellt werden kann. Die Zwischenergebnisse aus diesen Projekten sind sehr positiv und stimmen uns optimistisch für weitere Vorhaben. Wichtig ist auch hier, dass die zuvor genannten Werkzeuge Hand in Hand gehen, eine Standalone-Lösung kann hier nur punktuell die Lösung sein. Im Einkauf verwenden wir in der Materialpreis-Ermittlung und Bewertung bereits automatisierte und Web-basierte Tools, welche in Bezug auf die Beurteilung der TCO selbstlernend und optimierend unterwegs sind.

Und wie finden eigentlich Ihre Mitarbeiter die Digitalisierung bzw. Industrie 4.0 in Ihrer Fertigung?

Viele reden nicht darüber, dass die Digitalisierung eine Herausforderung für unsere Mitarbeiter ist. Der Umgang mit Smart Devices gehört in Zukunft zum Arbeitsalltag in der Produktion. Der Mitarbeiter wird in Zukunft weniger Tätigkeiten manuell verrichten, er wird in vielen Fällen auf der Grundlage von Informationen und Daten, die ihm vorliegen, Entscheidungen treffen. Hier ist es ganz wichtig, ein gutes Change Management zu haben und die Mitarbeiter auf diesem Weg mitzunehmen und ihnen immer die richtigen Informationen zur richtigen Zeit zur Verfügung zu stellen. Denn es ist fatal, wenn die digitale Transformation bzw. Industrie 4.0 auf Management 1.0 treffen.


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