D&E: Welche neuen Nutzungsmöglichkeiten können Lieferanten und Händler auf ihrer Webseite anbieten?
Flagg: Sie können ihre digitalen Assets in vertikalen Suchmaschinen zur Verfügung stellen – dazu gibt es verschiedene Komponentenbibliotheken, in denen Lieferanten ihre 2D- und 3D-Modelle anbieten können. Dies kann sehr wertvolle Einblicke in die Produkte und Technologien geben, die Ingenieure für ihr neues Design benötigen.
So können Konstrukteure spezielle Tools nutzen, mit deren Hilfe sie auf ein Symbol neben einer Komponente klicken können, um das entsprechende 2D- oder 3D-Modell abzurufen. Gleichzeitig können sie diese Komponente sofort in ihre CAD-Umgebung laden. Solch ein Tool nutzt beispielsweise die Harting-Technologiegruppe. Sie nutzt ECAD-Modelle, um die Steckverbinder trotz ihrer hohen Komplexität so einfach wie möglich in Entwürfe zu integrieren – sie müssen von den Entwicklern nur ausgewählt und im Entwurf platziert werden.
Die Verfügbarkeit solcher Tools ist auch für Händler und Lieferanten von großem Nutzen, da sie dadurch sehen, welche Produkte die Konstrukteure wann auswählen. Außerdem bietet dies den Konstrukteuren einen Anreiz, die Händlerwebseite zu nutzen. Dies bietet Lieferanten anonymisierte und verdichtete Daten über Designzyklen. Gleichzeitig erhalten sie einen Überblick über die Produkte, die im Einkaufswagen gelassen werden.
D&E: Wie schaffen es Lieferanten und Händler, nicht nur Großkunden zu berücksichtigen, sondern auch Startups, die Nischenprodukte entwickeln?
Flagg: Auch wenn Lieferanten ihre Erkenntnisse über den Designprozess früh genug gewinnen, staffeln sie ihre Kunden nicht nach Segmenten. Verkaufsteams handeln normalerweise nach der 80-20-Regel. Sie gehen davon aus, dass 80 Prozent ihrer Einnahmen von 20 Prozent der Kunden stammen. Infolgedessen kann es sein, dass sie Kunden geringer priorisieren, die Nischenprodukte entwerfen.
Die jüngsten Entwicklungen in der Tech-Industrie haben gezeigt, dass auch Nischenprodukte von High-Tech-Startups großes Potenzial haben, da sie sich vor allem über soziale Medien durchsetzen. Daher sollten Lieferanten auch diese Anbieter auf dem Schirm haben, um frühzeitig in das Design einbezogen zu werden.
Große Kunden sollten zwar weiterhin mit Sorgfalt behandelt werden. Doch sollte jeder Lieferant die 80-20-Regel noch einmal überdenken. Die Überlegung sollte sein, wie sich die Kundenbindung sinnvoll gestalten und der Vertrieb neu ausrichten lässt. Dieser sollte sich auf Kunden mit dem höchsten Potenzial konzentrieren und nicht nur auf die mit dem größten aktuellen Umsatz. Dies lässt sich mithilfe von Analysedaten herausfinden, die Informationen darüber liefern, wo und womit sich potenzielle Kunden online beschäftigen, anstatt die gesamte Strategie auf alten Daten wie beispielsweise dem Beschaffungsverlauf zu basieren.
D&E: Was raten Sie zusammenfassend Lieferanten und Händlern?
Flagg: Händler müssen nun anfangen, ihre Online-Tools sowohl vor als auch hinter den Kulissen auszubauen. Das bedeutet, dass sie einerseits neue Tools auf der Webseite anbieten, damit Konstrukteure Komponenten schnell finden und in einer 3D-Umgebung ansehen können. Andererseits können sie mithilfe von fortgeschrittenen Analyseverfahren, Echtzeitinformationen über aktive Entwicklungszyklen und Kaufabsichten in der Elektronikindustrie auswerten, um den gesamten Produktentwicklungszyklus im Auge zu behalten.
Vertriebs- und Marketingteams erhalten so einen Überblick über die Projekte, an denen Hersteller gerade arbeiten. Dadurch können sie potenzielle Kunden frühzeitig und konkret ansprechen und akquirieren. Außerdem haben Händler dadurch die Möglichkeit, an Produkten zu arbeiten, die das größte Potenzial haben. So können auch in Zukunft neue Produkte über die gesamte Elektronik-Wertschöpfungskette hinweg entwickelt, beschafft, vermarktet werden.
D&E: Herr Flagg, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Ralf Higgelke.