Interview mit Nicolas-Fabian Schweizer

Wie schlimm steht es um die Leiterplattenindustrie?

4. November 2024, 10:35 Uhr | Heinz Arnold
Nicolas-Fabian Schweizer, Vorsitzender des ZVEI-Fachverbands Printed Circuit Boards and Electronic Systems und CEO von Schweizer Electronic: »Die Leiterplattenindustrie braucht Lösungen, Förderungen und Unterstützung, damit wir wieder auf Augenhöhe global wettbewerbsfähig werden. Bei uns stimmen die Rahmenbedingungen derzeit nicht. Die USA zeigen, wie es geht.«
© Schweizer Electronic

Nach der Schließung des Leiterplatten-Werkes von Würth in Schopfheim sprachen wir mit Nicolas-Fabian Schweizer über den Ernst der Lage für die deutsche Leiterplattenindustrie und was jetzt getan werden müsste.

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Markt&Technik: Würth musste das Werk in Schopfheim schließen, weil dort nicht mehr rentabel gefertigt werden kann. 300 Arbeitsplätze gehen verloren. Ist die Lage der deutschen Leiterplattenhersteller schlimmer denn je?

Nicolas-Fabian Schweizer: Diese Frage muss man fast mit »Ja« beantworten. Wir stehen vor den größten Herausforderungen der letzten 30 Jahre.

Was genau macht die Situation so schwierig?

Neu ist diese Situation, weil viele Faktoren auf einmal zusammenkommen. Es gibt nicht mehr nur eine Hauptursache wie in früheren Krisen. Dazu zählen die allgemeine wirtschaftliche Schwäche in Europa und die schwächelnde Autobranche. Es ist aber auch schwieriger geworden, in Deutschland ein Unternehmen zu führen. Die Überregulierungen und die Anforderungen, die der Staat an uns stellt, haben ein Ausmaß erreicht, das zunehmend Ressourcen bindet, die dringender für den Kernbereich eines Unternehmens gebraucht werden. Wir müssen an dem sparen, was wir am dringendsten benötigen, um wettbewerbsfähig zu bleiben: Innovationen zu entwickeln. Deutschland und Europa stehen vor einem Strukturproblem. Das lähmt die Industrie, insbesondere auf die verbliebene Leiterplattenindustrie in Deutschland hat dies gravierende Auswirkungen – so kann es nicht weitergehen.

Es wird viel darüber diskutiert, dass in Europa nur 10 Prozent und damit zu wenige Halbleiter, vor allem mit kleinen Strukturgrößen, gefertigt werden. Mit hohen Subventionen sollen deshalb Hersteller angelockt werden, um in Europa Fabs zu bauen. Stört niemanden, dass hier nur noch zwei Prozent der Leiterplatten gefertigt werden?

Die Leiterplatten sind sowohl aus dem Fokus der Politik als auch der Lieferkette geraten. Dabei ist die Leiterplatte das Fundament jeglicher Elektronik und eben in vielen Fällen bei Weitem kein Billigprodukt. Ohne Leiterplatten keine Elektronik, ohne Elektronik keine Innovation und wirtschaftliche Prosperität.

Und genau an diesem Punkt müssten alle Warnleuchten angehen: Es besteht die Gefahr, dass diese Krise die Leiterplattenindustrie so stark reduziert, dass wir völlig abhängig werden. Ein Weltmarktanteil von derzeit 2 bis 3 Prozent ist zu niedrig, um die Selbstbestimmung zu erhalten und Innovationen auf den Weg zu bringen. Wir sind zu klein, um global mitbestimmen zu können.

Was können die Leiterplattenhersteller jetzt tun?

Jeder muss seine Stärken und Schwächen kennen und sich anpassen. Unsere Stärke sind hochkomplexe Leiterplatten- und Embedding-Lösungen, und hier möchte ich ein kleines Beispiel aufzeigen: Durch den Einsatz unserer Technologien erzielt der Anwender eine höhere Energieeffizienz, und die Gesamtapplikation reduziert somit nicht nur den Ressourcenbedarf, sondern rechnet sich schnell. Die Leiterplattenhersteller in Deutschland und Europa tun alles in ihrer Macht Stehende, um die Herausforderungen zu meistern – aufgeben ist für uns alle keine Alternative, und wir glauben an unsere Produkte, unsere Innovationen und vor allem unsere Mitarbeitenden. Aber auch die Politik, die gesamte Industrie und Gesellschaft müssen ihren Beitrag leisten: Die Preise aus Asien werden gerne akzeptiert; dass die Technologieinnovation dabei auf der Strecke bleibt oder Qualität und Langlebigkeit der Produkte sinken, wird aktuell noch oft ausgeblendet. Das muss sich ändern: Das Bewusstsein muss geschaffen werden, dass es sich bei Leiterplatten um Komponenten handelt, die existenziell wichtig für unsere gesamte Industrie und Gesellschaft sind.

Was konkret erwarten Sie von der Politik?

Sie muss jetzt auf europäischer und nationaler Ebene handeln. Die Leiterplatte muss auf der Prioritätenliste zusammen mit den Halbleitern ganz oben stehen – im Bewusstsein aller, auch der Kunden. Auch die Leiterplattenindustrie braucht Unterstützung für die Standorte – für Förderprogramme, Investitionen und Innovationen –, damit wir wieder auf Augenhöhe global wettbewerbsfähig werden. In Asien haben die Regierungen die Wichtigkeit der Leiterplatte schon vor Jahrzehnten erkannt und fördern und unterstützen konsequent.

Gibt es einen Lichtblick?

Die USA zeigen uns in den letzten drei Jahren, wie es geht: Im Rahmen des Inflation Reduction Act werden nicht nur der Bau von Front-End-Fabs unterstützt, sondern auch Packaging und Test sowie die Leiterplattenhersteller. Zudem werden auch Importe aus bestimmten Regionen mit Zöllen belegt. Das wäre in Europa relativ einfach und schnell umzusetzen.

Die Regierung hier gibt sich lernfähig und möchte die Regulatorik reduzieren.

»Reduzieren« genügt nicht, denn dies bedeutet im politischen Duktus eben meist nur weniger Zusätzliches. Für jede neue Regulierung müssen drei alte abgeschafft werden. Das One-in-One-out-Prinzip, welches allemal nicht stringent umgesetzt wird, genügt heute nicht mehr. Ebenso muss sofort die Umsetzung weiterer europäischer Regulierung in deutsches Recht gestoppt werden und alles auf den Prüfstand kommen. Politik und Wirtschaft müssen aktiv zusammenarbeiten, um konstruktive Lösungen zu finden, bei denen wir uns nicht selbst lähmen und als Wirtschaftsstandort wieder wettbewerbsfähiger im Weltmarkt werden.

Ein Teil des Problems haben Sie schon angesprochen: Viele Kunden schauen allein auf den Preis. Erkennen sie tatsächlich den Wert einer Leiterplatte nicht?

Leider ist bei zahlreichen Kunden – auch in Europa – der Preis am Ende das allein ausschlaggebende Kriterium. Es gibt aber auch Bereiche und Branchen, die das Thema Resilienz-Notwendigkeit und europäische Innovationsführerschaft bei der Leiterplatte erkannt haben und bewusst mit strategischer Klugheit wieder zunehmend in Europa einkaufen. Dass vor allem sehr große Unternehmen sich in den komplexen globalen Lieferketten und dem harten Preiskampf hier noch schwertun, kann man in gewisser Weise nachvollziehen, mag aber nicht die langfristig klügste Vorgehensweise sein.

Also besteht der einzige Ausweg darin, Deutschland für Leiterplattenhersteller durch Subventionen und Deregulierungen wieder attraktiver zu machen?

Wie gesagt, in den USA ist es gelungen, über die vergangenen drei, vier Jahre die Stimmung komplett zu drehen: Durch Förderung und Zölle ist es wieder attraktiv geworden, dort zu fertigen und auch zu kaufen, die Investitionsbereitschaft der Hersteller ist stark gestiegen. Wer investieren will, den zieht es wieder in die USA. Deutschland hat im Bereich der Halbleiter im letzten Jahr bereits bewiesen, dass dies auch bei uns möglich sein kann!

Wie sieht die Situation für Schweizer aus?

Selbstverständlich verschont uns die Konjunktur- und Strukturkrise nicht. Wir können dennoch unsere Umsatzziele – wenn auch mit großen Anstrengungen – für 2024 erreichen. Aber wir brauchen zukunftsfähige Lösungen, und zwar schnell!

Schweizer Electronic, Halle B1, Stand 207


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