Interview mit der Firma Ihlemann AG

Elektronik-Produktion komplett neu organisiert

29. Oktober 2013, 13:25 Uhr | Martin Ortgies
Elektronikfertigung
© Norbert Preiss / Martin Ortgies

Volatilität ist das zeitgemäße Stichwort in der Elektronikfertigung. Die herkömmliche Fertigungsorganisation wird dem nicht mehr gerecht, sagen die Verantwortlichen der Ihlemann AG und stellen ihre neu organisierte Fertigung vor.

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Der EMS-Anbieter hat seine Fertigung komplett umgestellt. Über den neuen Lösungsansatz, dabei auf- getretene Hemmnisse und die Vorteile für OEMs spricht Bernd Richter, Vorstand der Ihlemann AG (Bild 1).

„Große Lose und möglichst seltenes Rüsten galten früher als erstrebenswerte Ziele der Elektronikfertigung. Das wird heutigen Anforderungen nicht mehr gerecht“, so Bernd Richter, Vorstand der Ihlemann AG
Bild 1. „Große Lose und möglichst seltenes Rüsten galten früher als erstrebenswerte Ziele der Elektronikfertigung. Das wird heutigen Anforderungen nicht mehr gerecht“, so Bernd Richter, Vorstand der Ihlemann AG.
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Elektronik: Der ZVEI berichtet von sprunghaftem Bestellverhalten und einer fehlenden Planbarkeit. Wie wirken sich Nachfrageschwankungen und häufige Änderungen auf Ihre Fertigung aus?

Bernd Richter: Häufige Produktänderungen und größere Auftragsschwankungen machen die Produktionsplanung schwieriger. Außerdem stehen OEMs unter dem Druck immer kürzerer Innovationszyklen und immer engerer Time-to-Market-Ziele. Da bleiben Fehler in Produktentwicklung und Design nicht aus. Der aktuelle Organisationsansatz in der Fertigung ist darauf nicht ausgerichtet. In der Fertigung mit großen Produktionslosen und langen Durchlaufzeiten werden viele solcher Fehler erst in den Funktionstests fertiger Boards oder Geräte erkannt, oft erst mehrere Wochen nach dem Fertigungsbeginn. Dann muss ein ganzes Produktionslos zeit- und kostenaufwendig nachbearbeitet werden.

Elektronik: Sie kritisieren die aktuelle Fertigungsorganisation. Wo muss sich denn etwas ändern?

Bernd Richter: Als Ziele galten bisher möglichst große Lose und möglichst seltenes Rüsten und ein großer Warenbestand wurde als Aktivposten im Rechnungswesen gewertet. Bis zur Auslieferung hatte ein Produkt eine Gesamtdurchlaufzeit von Wochen, obwohl die reine Wertschöpfungszeit nur Minuten beträgt. Wird dann in der Funktionsprüfung nach der Endmontage beispielsweise eine falsch gesetzte Diode festgestellt, muss bei allen Boards des gesamten Fertigungsloses auf die Schnelle die Diode ersetzt werden. Diese Organisation ist zu unflexibel. Wir haben deshalb die Krise 2009 dafür genutzt, um unsere Produktionsweise komplett zu verändern.

Elektronik: Bitte beschreiben Sie den neuen Lösungsansatz!

Bernd Richter: Die Ihlemann AG setzt auf Lean-Management-Prinzipien. Wir sehen die Fertigung und schrittweise das gesamte Unternehmen als lernende Organisation. Grundlagen sind die Neuorganisation der Fertigung nach dem Fluss-Prinzip, tägliche Verbesserungsroutinen durch die Mitarbeiter in der Fertigung und eine kontinuierliche Unterstützung durch Coaching-Routinen.

Mit dem Fluss-Prinzip erhöht sich auch die Flexibilität für kurzfristige Änderungen oder variable Losgrößen. Die Rüstzeiten in der Fertigungszelle konnten von 45 Minuten auf durchschnittlich 10 Minuten verkürzt werden
Bild 2. Mit dem Fluss-Prinzip erhöht sich auch die Flexibilität für kurzfristige Änderungen oder variable Losgrößen. Die Rüstzeiten in der Fertigungszelle konnten von 45 Minuten auf durchschnittlich 10 Minuten verkürzt werden.
© Martin Ortgies

Elektronik: Wodurch unterscheidet sich eine Fertigung nach dem Fluss-Prinzip von der bisherigen Organisation?

Bernd Richter: Die alte Fertigung war geprägt durch die abschnittsweise losorientierte Produktion mit zum Teil mehrtägigen Unterbrechungen und Verzögerungen. Arbeitsschritte wie bestücken, löten, montieren, testen, verpacken usw. wurden für alle Boards im Block abgearbeitet mit mehr oder weniger großen zeitlichen Brüchen zwischen den Schritten. Häufige Auftrags- und Produktänderungen erschwerten die Planbarkeit und Ressourcensteuerung. Es wurde immer schwieriger, den Überblick zu behalten.

Elektronik: … und beim Fluss-Prinzip ist das anders?

Bernd Richter: Im neuen Fertigungsablauf erfolgen jetzt alle Tätigkeiten für jedes einzelne Board direkt nacheinander in einem verknüpften Prozess. Es geht um einen möglichst reibungslosen Produktionsfluss. Dafür durchläuft auch ein komplexes Board in einer Fertigungszelle alle für den Produktionsprozess benötigten Arbeitsschritte direkt nacheinander. Das Board wird bestückt, getestet und noch in der Fertigungszelle auf Fehler geprüft und anschließend zur Auslieferung bereitgestellt. Sämtliche Aufgaben werden komplett von einem Team durchgeführt.


  1. Elektronik-Produktion komplett neu organisiert
  2. Orientierung an einen tagtäglichen Verbesserungszyklus

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