Verbindungstechnik macht oft weniger als 5 Prozent des Systemwerts aus – verursacht aber die meisten Anlagenausfälle. Wie sich mit smarter Verbindung und gezieltem Schutz die Zuverlässigkeit elektronischer Systeme deutlich steigern lässt, erklärt Sven Höppner, Geschäftsführer von Werner Wirth.
Markt&Technik: Ihr Unternehmen verfolgt einen einzigartigen Ansatz und bringt Verbindungstechnik und Komponentenschutz zusammen. Warum wird das künftig wichtiger werden?
Sven Höppner: Die Anforderungen an die Verbindungstechnik waren schon immer hoch – und sie steigen weiter. Obwohl die Verbindungstechnik bei einem Wertanteil von oft unter 5 Prozent liegt, ist sie für rund 95 Prozent aller Anlagenausfälle verantwortlich. Zugleich dringt Elektronik heute in immer neue Anwendungsfelder vor – zum Beispiel in Textilien oder in die Agrartechnik –, wo sie extremen Umweltbedingungen standhalten muss. Genau hier zeigt sich, wie entscheidend eine zuverlässige Verbindungstechnik in Kombination mit effektivem Komponentenschutz ist. Wegen des Fachkräftemangels wird es für unsere Kunden gleichzeitig immer schwieriger, umfangreiches Spezial-Know-how im Bereich Electronic Packaging und Steckverbinder-Technologie in der eigenen Entwicklungsabteilung vorzuhalten. Zudem ist es nicht immer sinnvoll, dass jedes digitale Geschäftsmodell seine Hardware selbst produziert. Hier kann unser Unternehmen in jeder Phase des Produktlebenszyklus dem Kunden zur Seite stehen.
Können Sie an einem Beispiel erläutern, wie Sie elektromechanische Systeme zuverlässiger und besser machen?
Nehmen wir als Beispiel eine mechatronische Komponente: Die Applikation besteht aus einem Gehäuse mit integrierter Steckvorrichtung, in die eine elektronische Baugruppe montiert wird. Wir können die Konstruktion und Fertigung des Gehäuses, die Verkabelung und auf Wunsch auch die ESD-gerechte Montage der Elektronik übernehmen. Entscheidend ist, dass wir dabei das System ganzheitlich betrachten – auch unter Einbeziehung des Komponentenschutzes. Dabei beantworten wir alle zentralen Fragen: Ist ein Verguss im Gehäuse oder Insert Molding die bessere Schutzlösung? Welche Verbindungstechnik – Crimpen, Löten oder Schweißen – ist am zuverlässigsten? Wie sieht das optimale Dichtungskonzept beziehungsweise die Belackung der Leiterplatte aus? Und welche HF- oder EMV-Anforderungen sind zu erfüllen?
Für den Kunden heißt das: Er bekommt ein optimiertes System aus einer Hand. Dieses passt nicht nur genau zu seiner Applikation, sondern es fällt auch der sonst übliche Abstimmungsaufwand zwischen drei oder vier Lieferanten weg.
Ihr Unternehmen wurde vor über 60 Jahren als Industrievertretung gegründet. Sehen Sie sich heute als Entwicklungsbüro oder Systemlieferant?
Wir sehen uns ganz klar als Technologiepartner unserer Kunden! Werner Wirth ist kein reines Entwicklungsbüro. Der nachhaltige Verkauf von Produkten und Dienstleistungen aus unserem Portfolio ist immer das primäre Ziel. Bedingt durch die Veränderungen in den Märkten – geopolitisch und produktbezogen – und durch die Veränderungen im industriellen Umfeld in Deutschland, unter anderem durch Abwanderung der Produktion und Fachkräftemangel, beobachten wir einen steigenden Bedarf an Technologieanbietern. Diese sollten in der Lage sein, nicht nur vorgegebene Stücklisten abzuarbeiten oder Produkte nach Datenblattspezifikation zu liefern, sondern diese gemeinsam mit den Kunden nach Anforderungen der Applikation zu erstellen.
Genau hier setzen wir an. Durch unsere Technologiekompetenzen im Bereich Kabelkonfektionierung, Spritzguss, Vergusstechnik, Werkzeug- und Vorrichtungsbau – verbunden mit dem jahrzehntelang erworbenen Material- und Produkt-Know-how – können wir unseren Kunden im ganzen Projekt immer mehr bieten als die Konkurrenz im Einzelbereich – wie Hotmelt Molding, Leiterplatten-Belackung oder Kabelbaumfertigung.
In welchen Applikationen ist Ihr ganzheitlicher Ansatz zunehmend gefragt oder gar erforderlich?
Die fortschreitende Digitalisierung führt dazu, dass dezentral immer mehr Anwendungen für elektronische Komponenten entstehen. Hier ist nicht nur die bestückte Leiterplatte zu nennen, sondern jegliche Form von elektronischer Komponente. Megatrends wie IoT, Robotik, Renewable Energy und CO₂-freies Wirtschaften lassen eine Vielzahl von Applikationen entstehen, bei denen die Elektronik in Umgebungen zum Einsatz kommt, wo Komponentenschutz unerlässlich wird. Zunehmend autarke, nicht netzgebundene Anwendungen erhöhen die Anforderung nach hohen Strömen in direkter Anbindung an die Leiterplatte. Unsere aktuellen Schwerpunkte liegen in den Bereichen E-Bike-Motoren, Solartechnik, Maschinen- und Gerätebau sowie in ausgesuchten Automotive-Anwendungen.
Wie flexibel und auch technologie-offen können Sie Ihre Kunden unterstützen?
Das ist eine wichtige Frage. Bei der Materialauswahl setzen wir nicht nur auf die Produkte aus dem eigenen Sortiment, sondern jeweils auf die technisch beste Produkttechnologie. Das gilt insbesondere für die fast grenzenlose Welt der Steckverbinder. Von Vorteil für unsere Kunden ist aber gleichermaßen auch die Skalierbarkeit der Fertigungstiefe. Unternehmen mit kleinen bis mittleren Stückzahlen lassen ihre Einheiten oft komplett bei uns fertigen. Kunden mit Großserien nutzen Werner Wirth eher für die Evaluations- und Musterphase, skalieren den Bedarf zum Beispiel einer Hotmelt-Umspritzung oder einer Leiterplatten-Belackung in der Lohndienstleistung und übernehmen dann gegebenenfalls diesen Fertigungsschritt in die eigene Produktion, wenn sich die entsprechenden Auslastungsgrade in der Fertigungsanlage ergeben.
Wie wichtig ist es dabei, dass Sie schon früh in die Projekte Ihrer Kunden einbezogen werden?
Je früher, desto größer ist der Benefit! Denn wenn Materialien, Komponenten und Produktionsverfahren bereits in großem Umfang festgelegt sind, wird gegebenenfalls mit einer Technologie die Schwäche eines konstruktiven Teilansatzes nur noch repariert – was am Ende zu einer höheren TCO (Total Cost of Ownership) pro hergestelltem Teil führt. Die Herausforderung ist es immer, alle technischen Lösungsmöglichkeiten mit den jeweils kaufmännischen Folgen der Entscheidungen abzugleichen. Einfach nur Preise von Komponenten, Materialien oder Verarbeitungsequipment zu vergleichen, ist zu kurz gesprungen. Ein teureres UV-härtendes Vergussmaterial kann einen einzigartigen technischen Vorteil bringen oder in der Verarbeitung die Zykluszeit drastisch verkürzen – und so in der Großserie ein Vielfaches seiner Materialmehrkosten einsparen. Es kommt immer auf die Einzelfallbetrachtung des Gesamtsystems an.
Neben technischem Wissen spielen auch Zuverlässigkeit und Lieferfähigkeit eine bedeutende Rolle. Welchen Einfluss hat das auf Ihr Geschäft?
Gerade international agierende Großkunden segmentieren zunehmend ihre Lieferketten. Die jüngsten geopolitischen Turbulenzen verstärken diesen Trend noch. Besonders im Defense-Markt wird erwartet, dass die Sourcing-Strategien weiter europäisiert werden. Bestehende und drohende Sanktionen sowie Zollschranken führen dazu, dass Lieferketten in Branchen wie Automobil, Industrieelektronik und Maschinenbau zunehmend regionalisiert werden. Sobald diese Regionalisierung abgeschlossen ist, dürften die Lieferketten auch dann stabil bleiben, wenn die ursprünglichen Verlagerungsgründe wegfallen. Für unsere Kunden gewinnt daher die Resilienz der Unternehmensarchitektur immer mehr an Bedeutung bei der Lieferantenauswahl. Die Werner Wirth Gruppe ist hier gut aufgestellt: Durch unsere globale Vernetzung zwischen Europa und Asien sowie die Regionalität unserer Fertigungseinheiten sind wir schnell anpassungsfähig. Ein Beispiel: Unsere Produktion in der Ukraine lief auch während des Krieges ununterbrochen weiter. Lediglich der Start neuer Fertigungsprojekte musste pausiert werden, da keine deutschen Mitarbeiter vor Ort in Dnipro arbeiten konnten.
Wie wirkt sich die aktuelle Marktlage auf Ihr Unternehmen aus – und welche strategischen Maßnahmen haben Sie daraus abgeleitet?
Die Performance der Werner Wirth Gruppe kann man derzeit als Seitwärtsbewegung beschreiben. Der Zusammenbruch der Lieferketten im Bereich E-Bike hat uns stark betroffen und Umsatzrückgänge verursacht. Dies hat uns aber auch zu Veränderungen in der Organisationsstruktur gezwungen, die stark auf die Performance einzahlen. Die konsequente Digitalisierung wurde durch den Kostendruck und seine Anpassungsfolgen eher getriggert als gestoppt, die Integration der einzelnen Gruppenmitglieder in diesem Zusammenhang deutlich erhöht. Im Vertrieb haben wir auch außerhalb des Marktsegments E-Bike sehr schöne Projekterfolge erzielen können, die ab 2026 ertragreiche Früchte bringen werden.
Und welche konkreten Erwartungen haben Sie an das Jahr 2025?
Insgesamt werden wir Ende 2025 zwar auf niedrigerem Umsatzniveau, aber deutlich leistungsfähiger und skalierbarer organisiert sein. Unser Managementfokus liegt nicht auf der Maximierung der Umsätze, sondern auf der Maximierung des Ertrags zur Eigenfinanzierung des Unternehmenswachstums. Diese Maxime gibt uns die Resilienz, solche Phasen wie die aktuelle Marktsituation zu meistern.
Die Fragen stellte Corinna Puhlmann-Hespen.