Zu den Produkten: Sind die EOL-Produkte von Rochester denn immer Originalteile?
Lipp: Das ist eine Frage, die von den Kunden oft gestellt wird. Ja, es sind entweder Originalteile vom Originalhersteller oder von Rochester gefertigte Teile original qualifiziert nach Herstellerprozessen.
Morris: Rochester übernimmt die Bestände abgekündigter Halbleiter – End-of-Life-Halbleiter – von den Vertragspartnern. Trifft der Originalhersteller die Entscheidung, Produkte oder ganze Produktlinien nicht mehr auf Lager zu halten, dann übernehmen wir diese Ware für den Kunden. Es gibt außerdem Fälle, in denen wir auch strategische Käufe bei den Herstellern tätigen. Wir lagern diese Teile und bedienen den Markt weiterhin. Die Bevorratung umfasst in vielen Fällen aber nicht nur fertige Produkte, sondern auch Wafer und Dies. Es besteht zum Teil auch eine mögliche Wiederaufnahme der Halbleiterfertigung in Silicon Foundries unter Verwendung der Original-Masken, der Testprogramme und aller weiteren notwendigen Qualitätssicherungsmaßnahmen und Produktionsmittel.
Worin bestehen die spezifischen Herausforderungen des EOL-Managements für den Kunden aus Ihrer Sicht?
Morris: Bis ein Endprodukt vom Kunden entwickelt und qualifiziert ist, vergehen oft mehrere Jahre. Dann läuft das Produkt selbst einige Jahre am Markt. Somit sind Fälle, in denen eine Komponentenversorgung von 20 Jahren erforderlich ist, nicht selten. Daher ist es sehr wichtig, Komponenten mit einer langfristigen Verfügbarkeit einzudesignen bzw. die End-of-Life-Strategie des Komponentenherstellers mit zu berücksichtigen.
Herr Morris, über welchen Zeitraum halten Sie EOL-Produkte vor?
Morris: Das kommt darauf an. Wir haben auch Komponenten auf Lager, die seit 20 Jahren EOL sind. Wir unterstützen Kunden, z.B. in Europa, die sehr kritische Endprodukte produzieren, über einen langen Zeitraum und teils gibt es sogar auch nur einen Kunden für ein Produkt.
Wie sieht es dann nach so langer Zeit mit dem Date Code der Produkte aus – wie stellen Sie sicher, dass der nicht zu alt ist?
Morris: Wir haben ein sehr strenges Qualitätsmanagementsystem, und daher werden die Komponenten während ihrer Lebensphase bei Rochester sehr sorgsam gepflegt. Sie werden während des Kommissionierungs- und Verpackungsprozesses streng kontrolliert, um sicherzustellen, dass unsere Kunden die hohe Qualität der Waren erhalten, die sie von Rochester erwarten.
Theoretisch können die Kunden nach EOL der Originalteile auch Ersatzkomponenten – Substitute – für ihre Endprodukte verwenden. Herr Morris, warum ist das aus Ihrer Sicht gefährlich?
Morris: Ein Substitut kann in Form, Fit & Function ein ähnliches Teil sein. Aber speziell für Bereiche, die einer Qualifizierung unterliegen, muss dann auch das Produkt neu getestet und qualifiziert werden. Und es besteht die Gefahr, dass gefälschte Komponenten gekauft werden. Die Produktnummer mag vielleicht gleich sein, aber das heißt nicht, dass im Produkt das richtige Stück Silizium verbaut ist.
Noch einmal zusammengefasst: Wo genau liegen die Unterschiede zwischen einem Substitut und einem Rochester-Teil?
Ein Rochester-Teil ist immer zu 100 Prozent ein Herstellerprodukt. Es kommt, wie gesagt, entweder vom Hersteller oder wird von uns zu 100 Prozent nach Herstellervorgaben hergestellt, inklusive identischer Testprozesse. Beide Varianten geben dem Kunden die Sicherheit, dass die Produkte bezüglich „Fit, Form & Function“ keinerlei Risiko bergen.
Substitute oder Ersatzkomponenten kommen nicht von uns! Einige Firmen kaufen solche Komponenten auf dem freien Markt und testen diese dann auf dem Board, und nicht selten führt dies am Ende zu einem negativen Ergebnis, das am Ende nicht funktioniert.
Im Jahr 2018 war Rochester einer der wenigen Lieferanten, die auch während der Verknappung Verfügbarkeit bieten konnten. Inwieweit sind die Lagerbestände bei Rochester allokiert bzw. frei verfügbar?
Morris: Wir haben Verträge mit all unseren Herstellern auf unserer Linecard und haben 15 Milliarden Einzelkomponenten auf Lager, die alle frei und direkt verfügbar sind. Ein Teil ist über Kundenvereinbarungen allokiert. Und wir haben auch die Möglichkeit, Produkte für unsere Kunden zu produzieren. Das hängt dann von individuellen Vereinbarungen ab.
Dazu muss man wissen: Rochester hat ja nicht nur die EOL-Produkte im Angebot, sondern auch regulär erhältliche Standardprodukte. Wie kommt dieses Angebot bei den Kunden an?
Lipp: Die Standardprodukte, die Rochester bevorratet, sind für uns aus Vertriebssicht sehr erfolgreich, sogar mehr als die EOL-Produkte.
Logistikseitig verspricht Bürklin Elektronik eine Lieferzeit von fünf Tagen für Rochester-Produkte, die direkt aus deren Zentrallager in Massachusetts kommen. Können Sie das auch in für die Lieferkette schwierigen Zeiten wie derzeit halten oder muss dann mehr vor Ort bei Bürklin Elektronik in Oberhaching bevorratet werden?
Morris: Unser Warenhaus ist auch in den aktuell schwierigen Zeiten komplett funktionsfähig, und wir gehen unserem normalen Arbeitsablauf nach. Auch die Logistik nach Europa funktioniert reibungslos.
Lipp: Wir waren im letzten Jahr durch keinerlei Verwerfungen gezwungen, das Modell zu ändern; die Fünf-Tage-Belieferung hat immer gut funktioniert. Es war daher nicht nötig, die Lagerhaltung in Oberhaching signifikant zu erhöhen.
Welche Industriezweige aus dem Bürklin-Elektronik-Kundenkreis sind besonders am Rochester-Angebot interessiert?
Lipp: Am Anfang lag der große Fokus auf Aerospace, auch die typischen EMS-Firmen hatten wir im Blick. Die EMS setzen allerdings gerne auf Redesign Services und weniger darauf, EOL-Komponenten weiterhin einzusetzen.
Darüber hinaus haben wir Kunden aus der Bahntechnik und Transportation sowie Konstruktions-Equipment für Automotive als interessante Zielgruppe identifiziert. Wir sehen aber inzwischen auch die Medizinindustrie als großen Markt für die Rochester-Services.
Wenn die Kunden Rochester-Produkte über Bürklin Elektronik erwerben, besteht dann eine Mindestbestellmenge, Herr Lipp?
Lipp: Nein, es gibt bei Bürklin Elektronik keine Mindestbestellmenge. Rochester hat einen Mindestbestellwert für unsere Bestellungen, aber die Vereinzelung für unsere Distributionskunden ist unsere Serviceleistung.
Die Rochester-Produkte sind zumeist teurer als der ursprüngliche Preis vom Hersteller. Nehmen die Kunden das in Kauf?
Morris: Die Frage nach dem Preis wird natürlich gestellt, aber es wird gut angenommen. Die meisten Kunden verstehen den Mehrwert unseres Geschäftsmodells.
Wie geht es weiter – was sind die nächsten Ziele für Ihre Partnerschaft?
Morris: Partnerschaften sind für uns sehr wichtig, nicht nur mit Herstellern, sondern auch mit unserem Channel, denn wir sehen wie gesagt den Channel als eine Erweiterung unseres Vertriebsteams. Es ist eine herausfordernde Zeit für alle, und umso wichtiger ist es, unser Profil in der Region zu schärfen, sodass die Kunden verstehen, wer wir sind und was wir alles können.
Lipp: Definitiv mehr Sales. Einer unserer Treiber ist die Kundenbasis, weil wir viele Kunden aus den Bereichen haben, die lange Verfügbarkeiten brauchen. Die große Herausforderung für 2020 lautet nun für unsere Sales-Mannschaft, unseren neuen Vertriebsansatz an unsere Kundenbasis heranzutragen und das Rochester-Modell und den Mehrwert verständlich zu erläutern. – Ich sehe jedenfalls noch viel Potenzial in dieser Partnerschaft!