Das große Ganze im Blick

AUTOSAR-Systemsicht konsequent umsetzen

28. Oktober 2016, 10:39 Uhr | Von Marcelino Varas
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Ein Austauschformat, maximale Flexibilität

Der AUTOSAR-Entwicklungsprozess läuft in der Regel in zwei Hauptphasen ab: Das System-Design findet gewöhnlich beim Automobilhersteller statt; das Subsystem Design – auch als Komponenten-Design bezeichnet – wird normalerweise an einen oder mehrere Entwicklungspartner oder Zulieferer vergeben. Das System-Design ist verbindliche Vorgabe des OEM zur Umsetzung aller Fahrzeugfunktionen und wird in funktionale Subsysteme aufgelöst. Für die Entwicklung und das Design eines Subsystems zeichnet ein Tier One verantwortlich; die Integration der Subsysteme und die Systemtests finden wieder beim OEM statt. Umfänge und funktionale Details der Subsysteme werden von OEM zu OEM unterschiedlich festgelegt, manchmal sogar unterschiedlich von Projekt zu Projekt beim gleichen Automobilhersteller. Ihr Inhalt ist letztlich immer standardisiert und eindeutig in den Deliverables festgelegt und wird in dieser Form über die AUTOSAR-Schnittstelle ausgetauscht. Das betrifft nicht nur die Kommunikation mit einem Zulieferer, sondern wird auch für die Verständigung innerhalb einer Organisation genutzt: Abteilungen und Teams tauschen auf diesem Weg beliebige Teile des Systems; Designs werden dann verfeinert oder in einer Konfiguration oder einem Programm-Code verarbeitet.

AUTOSAR – Entwickeln nach Vorschrift?

Möchte der Entwickler die AUTOSAR-Systemsicht konsequent umsetzen, stellt sich die Frage: Wird im AUTOSAR-Standard ein bestimmter Entwicklungsprozess vorgeschrieben? Die Antwort ist eindeutig nein – AUTOSAR beschreibt lediglich typische Bausteine, aus denen ein Entwicklungsprozess zusammengesetzt werden kann. Ziel von AUTOSAR ist ein standardisierter Datenaustausch zwischen Organisationen: Am Austauschpunkt wird nur der jeweils nötige Design-Zuschnitt des Systems übergeben, mit dem dann nahtlos typische Aufgaben aus der Fahrzeugentwicklung erfolgen (Bild 6).

Typischer Design- und Entwicklungsprozess mit Bausteinen der AUTOSAR-Methodik
Bild 6. Typischer Design- und Entwicklungsprozess mit Bausteinen der AUTOSAR-Methodik.
© Vector Informatik

Beispiel dafür ist der Extrakt einer „Software Component Description“ aus dem „Overall VFB System“: Er wird für eine modellbasierte Entwicklung und Simulation oder in Code-Generatoren verwendet. Aus der „System Description“ lässt sich wiederum ein „System Extract“ erstellen. Er beinhaltet ein Subsystem mit einem oder mehreren Steuergeräten, der Beschreibung der darauf laufenden Software-Komponenten und der Kommunikationskonfiguration für die Schnittstelle zum Bussystem. Der „System Extract“ ist sowohl für die interne Verwendung – wie Simulationen oder Tests des Subsystems – geeignet als auch für die Weitergabe an Dritte.

Für die Kommunikation zwischen OEM und Zulieferer wird häufig auch die „ECU System Description“ verwendet: Sie enthält die Software-Architektur in ihrer ursprünglichen Struktur und beschreibt ein Steuergerät vollständig mit allen Konfigurationsaspekten. Der ebenfalls gebräuchliche „ECU Extract“ dagegen beschreibt ein Steuergerät nur mit atomaren Software-Komponenten – die Konfiguration des Steuergeräts wird dann direkt aus ihm abgeleitet. Alle Formate bleiben dabei immer Teilmengen oder Ableitungen der Systembeschreibung. Diese agiert als zentrale und einzige Datenbasis für alle AUTOSAR-Prozessschritte; sie manifestiert sozusagen die AUTOSAR-Systemsicht.

Ein Standard – heute und in Zukunft

Vor mehr als zehn Jahren ins Leben gerufen, ist AUTOSAR heute ein Standard in der Automobilindustrie, der Entwicklungsprozesse maßgeblich prägt. Er ist dabei nie statisch verharrt, sondern stand Erweiterungen und technischen Entwicklungen immer offen gegenüber – prominente Beispiele dafür sind die Integration von IP-Technik und Ethernet in AUTOSAR 4. Doch was bringt die Zukunft und ist AUTOSAR bereit dafür? Bereits heute fallen für die nächste Fahrzeuggeneration Begriffe wie Autonomes Fahren oder Car2X: Fahrzeuge werden sich mit unterschiedlichen Autonomiegraden steuern lassen; das Fahrzeug kommuniziert aus Sicherheits- und Komfortgründen verstärkt mit seiner Umgebung, wird immer weiter mit Diensten und seiner Umwelt vernetzt. Eins ist klar: Die Komplexität der benötigten elektronischen Systeme und das transportierte Datenvolumen werden weiter rapide ansteigen. Um sie zu kontrollieren, wird es immer wichtiger, im Entwicklungsprozess stets das ganze System im Blick zu haben.

Das gelingt mit der konsequenten Umsetzung der AUTOSAR-Methodik für aktuelle Fahrzeuge bereits heute – und um die sich abzeichnende Digitalisierung der Automobilindustrie technisch zu meistern, bringt AUTOSAR die Adaptive Platform ins Spiel. Das AUTOSAR-Konsortium arbeitet seit Anfang 2015 an dieser neuen Plattform, deren technische Ziele folgende Punkte enthalten:

  • Die dynamische Anpassung von Systemen im laufenden Betrieb.
  • Der dynamische Start von Anwendungen und Diensten (Services) – auch von vorher nicht bekannten, externen Clients.
  • Die Festlegung von Kommunikationspfaden erst während des Systemstarts oder zur konkreten Laufzeit einer Anwendung oder Dienstes.
  • Die Absicherung der Kommunikation im Fahrzeug und mit Teilnehmern aus der Umwelt (Cyber Security).

Methodisch muss die Adaptive Platform außerdem sicherstellen, dass klassische Steuergeräte mit adaptiven Steuergeräten ebenso interagieren können wie mit Steuergeräten, die nicht nach dem AUTOSAR-Standard entwickelt wurden. Sie müssen sich dazu zusammen in einem System darstellen lassen.
Mit diesen Zielen findet ein Paradigmenwechsel im Systemkonzept von AUTOSAR statt: Um Service-orientierte Software-Architekturen zu entwickeln, in denen unterschiedliche Teilnehmer Dienste dynamisch abonnieren, ist eine andere Art der Systembeschreibung nötig. Die notwendige, Service-orientierte Denkweise im System-Design hat sich bereits in den letzten AUTOSAR-Versionen angedeutet: Mit der Einführung von Scalable Service-oriented Middleware Over IP (SOME/IP) in AUTOSAR 4 wurde der Grundstein dafür gelegt. Die Adaptive Platform wird diese Entwicklung fortsetzen und damit das Systemdenken stärken und weiter etablieren. Sie wird Entwicklern von Fahrzeugelektroniksystemen noch besser helfen, das große Ganze im Auge zu behalten. Das war schon immer ein großer Vorteil der Entwicklung nach der AUTOSAR-Methodik. Und wird es auch in Zukunft bleiben.

Der Autor


  1. AUTOSAR-Systemsicht konsequent umsetzen
  2. Ein Austauschformat, maximale Flexibilität

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