Während die Fahrzeugantriebe derzeit eine Revolution durch die zunehmende Elektrifizierung erfahren, macht der Wandel der Zeit auch vor den Infotainment-Systemen keinen Halt. Insbesondere der Einzug des Internet ins Fahrzeug hat massive Auswirkungen auf die Architekturen zukünftiger Infotainment-Systeme sowie die dahinter stehenden Entwicklungsprozesse.
Studien zeigen, dass aus der Maxime „Always On“ der 2000er-Jahre allmählich ein „Always in Touch“ wird. Dieser Trend bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Erwartungen der Endverbraucher an neue Fahrzeug-/Infotainment-Generationen und zwingt die Fahrzeughersteller zum Handeln. Funktionen, die der Endverbraucher bisher aus Hochglanzprospekten hochpreisiger Infotainment-Systeme für Premiumfahrzeuge kannte, trägt er heute für wesentlich weniger Geld in seiner Hosentasche. Der Boom der Smartphones hat aus vielen Funktionen, wie der Individualisierbarkeit der Geräte durch Apps und der Möglichkeit zur ständigen Verfügbarkeit des Internets, eine entsprechende Erwartungshaltung beim Endverbraucher entstehen lassen. Die Herausforderung liegt hierbei für die OEMs in den stark divergierenden Produktlebenszyklen mit fest im Fahrzeug verbauten Infotainment-Systemen auf der einen Seite und mobilen Endgeräten auf der anderen Seite. Um die veränderten Kundenerwartungen künftig erfüllen und vor allem neue Kaufanreize schaffen zu können, müssen die OEMs einen Weg finden, die Innovationszyklen beider Welten näher zusammenzuführen. Auf Seiten der Hardware erfolgen erste Bemühungen in diese Richtung durch die modulare Auslegung neuer Infotainment-Systeme. Die Trennung von lang- und kurzlebigen Hardware-Komponenten soll es künftig ermöglichen, die Produktlebenszyklen von Fahrzeug und Infotainment – zumindest teilweise – zu entkoppeln.
Neben solchen Hardware-Änderungen wird aber auch die Software bzw. die Qualität der Software-Entwicklungsprozesse innerhalb der Wertschöpfungskette eines OEMs zu einem wettbewerbsrelevanten Faktor, um Innovationen zügig und qualitativ ausgereift auf den Markt bringen zu können. Klassisch geprägte Software-Entwicklungsprozesse im Infotainment-Bereich sahen bislang so aus, dass der OEM die Konzeptbildung, die Spezifikation sowie die spätere Abnahme und das Testen des fertigen Infotainment-Systems übernahm. Entwickelt und implementiert wurden die Systeme beim Zulieferer (Bild 1).
Zukünftig wird die Grenze zwischen OEM und Zulieferer wahrscheinlich fließender gestaltet und projektspezifischen Anpassungen unterliegen. Gezieltes Insourcing und der Aufbau eigener Kompetenzen im Bereich der Software-Entwicklung führen zu einer Wertschöpfungsverschiebung in Richtung der OEMs und zu einem Aufbrechen starrer Zulieferer/OEM-Kombinationen.
Um dem Zwang zu einer Verkürzung der Time to Market Rechnung tragen zu können, ist aber zusätzlich auch eine Optimierung der Prozessabläufe notwendig. Der Bereich Infotainment-Entwicklung ist überaus vielschichtig und komplex, was sich unter anderem in der Anzahl der involvierten Akteure und Rollen widerspiegelt. In den Phasen der Konzeptbildung und der Spezifikation sind z.B. auf Seiten der OEMs nicht nur Ingenieure, sondern auch Geisteswissenschaftler, Ergonomen und Designer beteiligt. Ohne geeignete Austauschformate und durchgängige Werkzeugketten kommt es bei den auf papierbasierten Austauschdokumenten fußenden Entwicklungsprozessen immer wieder zu Medienbrüchen – sowohl innerhalb des Unternehmens als auch über die Unternehmensgrenzen hinweg. Eine nähere Betrachtung und Analyse der aktuellen Entwicklungsprozesse zeigt ein enormes Optimierungspotential auf, das durch die Abkehr von firmenspezifischen Insellösungen bestehend aus Sonderformaten und Spezialwerkzeugen hin zu durchgängigen Werkzeugketten und einheitlichen Datenformaten für den effizienten Austausch von Entwicklungsartefakten zwischen den Prozessteilnehmern erschlossen werden kann.