Automotive Ethernet hat sich längst als zukunftsweisende Übertragungstechnik für Fahrzeugnetzwerke durchgesetzt, ebenso wie der AEC als internationaler Branchentreffpunkt in München. Was beim zehnjährigen Jubiläum besonders viel Spaß machte – und wo aktuell noch die Schmerzpunkte liegen.
Haben wir schon Spaß? Mit dieser etwas ungewöhnlichen Frage – bezogen auf die 10-Mbit/s-Variante von Automotive Ethernet (10BASE-T1S) – begann der zehnte Automotive Ethernet Congress (AEC) am 5. März 2024 in München. Die Antwort am Ende eines Workshops von Intrepid und onsemi mit vielen Praxistipps lautete „Ja“. Allerdings mit einer klaren Einschränkung: Spaßig werde es erst „nach viel Schmerz und Leid“. Das gilt zum einen in technischer Hinsicht: So ähnele etwa das Bemühen, die PLCA-Latenz (PHY Level Collision Avoidance) in den Griff zu bekommen, dem Versuch, „mit zwei Händen drei Basketbälle unter Wasser zu halten“. Zum anderen ist 10BASE-T1S zwar ein zukunftsträchtiger Standard gerade in Hinblick auf die Entwicklung hin zu einem zentralisierten Fahrzeugnetzwerk auf Ethernet-Basis. Doch aktuell seien die Kosten für einen echten Durchbruch noch zu hoch. Das gängige Missverständnis, ein 10BASE-T1S-PHY sei auf höchsten acht Knoten und eine maximale Kabellänge von 25 Metern beschränkt sei, konnte der Workshop indes klären: Tatsächlich handelt es sich dabei nur um die Mindestvorgaben, die je nach Netzwerkstruktur und -ausstattung deutlich übertroffen werden können.
Ein ähnlich gemischtes Bild zeichnete sich beim auch zweiten Training am Auftakttag des AEC zum Thema MACsec (Media Access Control Security) ab: Dem Sicherheitsstandard werden glänzende Zukunftsaussichten attestiert, aber auch noch reichlich Handlungs- und Schulungsbedarf in der Gegenwart. So geht Dr. Lars Völker von Technica Engineering zwar davon aus, dass „MACsec zukünftig wahrscheinlich auf allen Ethernet-Verbindungen genutzt werden wird“. Doch beim Workshop zeigte sich auch, dass bei der konkreten Anwendung zahlreiche technische Details zu beachten sind. Zudem fehlt etwa bei der Schlüsselbereitstellung noch eine spezielle Automotive-Variante zum MACsec Key Agreement (MKA) für 10BASE-T1S-Busse. Immerhin wird dieses Thema von der OPEN Alliance bereits adressiert.
Der von Volvo unterstützte und moderierte AEC 2024 war insgesamt einerseits von Erfolgsgeschichten und hohen Erwartungen an die Zukunft geprägt, aber andererseits auch von vielen offenen Frage und einem großen Bedürfnis nach mehr Zusammenarbeit und gegenseitiger Unterstützung. Entsprechend hoch war der Andrang: Mit über 1.200 Teilnehmer, Referenten und Aussteller an drei Veranstaltungstagen gab es zum zehnjährigen Jubiläum einen neuen Besucherrekord.
Volvo geht bei der Weiterentwicklung des Fahrzeugnetzwerks in zwei Schritten vor, wie Dr. Martin Hiller in seiner Keynote erläuterte: Nach einer Zentralisierung der Rechenstrukturen ohne große Veränderung der mechatronischen Elemente soll die Einführung einer Zonen-Architektur mit Einbindung auch der Mechatronik folgen. Ethernet ist für Hiller nicht nur eine Übertragungstechnik, sondern ein ganz eigenes System für sich. Deshalb gibt es bei Volvo ein spezielles Team, das sich ausschließlich um dieses Thema kümmert. Auch wenn man bei Volvo von Automotive Ethernet grundsätzlich überzeugt ist, präsentierte Hiller zum Abschluss noch eine „Wunschliste“ für die Zukunft, u.a. schnellere Wake-up-Zeiten, einen verbesserten Low-Power-Mode und signifikant höhere Bandweiten.
Noch mehr ins Detail geht Patrice Ancel bei der Vorstellung von BMWs Ethernet-Strategie. So soll 2025 der erste Einsatz von 10BASE-T1S in Serienfahrzeugen erfolgen, die Einführung von ASA-ML ist für 2027 geplant und 2029 soll das Setup auf sechs Kameras erweitert werden. BMWs Einstieg in die Zonen-Architektur beginnt mit der für 2025 angekündigten „Neue Klasse“, für 2029 ist ein Update mit optimierten Zonen, mehr Ethernet-Knoten und weiter standardisierten Software-Plattformen geplant. MACsec soll ab 2025 für alle neuen Modelle verfügbar sein.
Laut Dr. Kirsten Matheus ist BMW nicht der erste OEM, der ASA-ML in der Serienproduktion einsetzt – allerdings der erste, der dies Entscheidung auch öffentlich macht. Schwerpunkt ihrer Keynote war das neue „ISAAC“-Standardisierungsprojekt vom IEEE 802.3, das eine asymmetrische High-Speed-Kommunikation über Ethernet ermöglichen soll. Noch ist allerding nicht entschieden, ob dafür eine der bestehenden Technologien weiterentwickelt werden soll oder ob eine vollständige Neuentwicklung sinnvoller wäre. Matheus beendet ihre Keynote mit der Einladung an alle Interessierten, sich an diesem Projekt zu beteiligen – und befindet sich damit in guter Gesellschaft.
So fordern etwa Gangolf Feiter (Concepts & Services Consulting) und Philip Meyer-Roessler (ZF) in ihrem Vortrag die OPEN Alliance zu einer Zusammenarbeit mit der ISO im Bereich einer sicheren High-Speed-Kommunikation etwa für Lkws, Baumaschinen und Agrar-, Forst- oder Minenfahrzeuge auf. Chirag Malkan von Rockwell Automation wiederum hebt die gemeinsamen Interessen von Automotive- und Industrial-Anwendern hervor. Konkret habe etwa 10BASE-T1S seine Nützlichkeit für die Automatisierung unter Beweis gestellt. Umgekehrt könnte der Automotive-Bereich etwa von Erfahrungen der ODVA mit Single Pair Ethernet im Schaltschrankbau profitieren. Entsprechend sollte es auch eine Kooperation bei internationalen Standards geben.
Um eine spezielle Form der Zusammenarbeit ging es beim parallel zum Vortragsprogramm laufenden Plugfest: Hier konnten unterschiedlichste Halbleiterhersteller und Tool-Anbieter die Interoperabilität ihre MACsec-Lösungen in Hinsicht auf das MACsey Key Agreement erproben. Mit einem sehr zufriedenstellenden Resultat, wie Ionel Ghita (Keysight) berichtete. Bis auf wenige Ausnahmen funktionierte die Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Anbietern einwandfrei. Spätestens bis zum nächsten Plugfest sollen dann auch die noch bestehenden Probleme gelöst sein.
Zum breit gefächerten Themenspektrum des AEC 2024 gehörten zudem Schwerpunkte u.a. zu Middleware & Software Oriented Architecture, Use Cases, Security, PHY & Cable Harness, TSN sowie Validation & Testing. Dort ging es dann etwa um die Frage, ob bzw. warum SOME/IP auch für die nächsten zehn Jahre noch die richtige Middleware ist (Technica, Renault), um ausgefeilte Lichtkonzepte mit über Ethernet angesteuerten Mikro-Pixel-LEDs (Volkswagen, Universität Hannover) oder um die nächste Generation von Radarsensoren in einer Zonenarchitektur (Volvo, NXP). Über konkrete Produkte und Lösungen konnten sich die AEC-Besucher zudem in der begleitenden Ausstellung informieren, an der sich weit über 40 Unternehmen beteiligten.
Auch wenn die konkrete Umsetzung von Automotive-Ethernet-Projekten sicherlich nicht ausschließlich Glücksgefühle auszulösen vermag – die Teilnehmer des zehnten Automotive Ethernet Congress hatten auf jeden Fall erkennbar ihren Spaß an einer gelungenen Veranstaltung.