Allianzen mit direkten Wettbewerbern gelten eigentlich nur dann als unbedenklich, wenn das Kerngeschäft davon nicht berührt ist. Beim autonomen Fahren scheint diese Regel ihre Gültigkeit zu verlieren - aus einem guten Grund.
Eine klare Grenze zwischen Verbündeten und Konkurrenten zu ziehen ist in vielen Branchen schwierig geworden. Für dieses Phänomen gibt es sogar einen eigenen Begriff: „Coopetition“. Mit dem Kofferwort aus „Cooperation“ und „Competition“ lässt sich etwa das Verhältnis zwischen Google und Apple auf der einen Seite und der Automobilbranche auf der anderen Seite beschreiben. Die Zusammenarbeit mit den Silicon-Valley-Giganten garantiert den Autoherstellern zwar eine optimale Smartphone-Anbindung. Doch gleichzeitig fürchten die Hersteller die neue Konkurrenz, die ihre lukrativen Infotainment-Lösungen obsolet machen könnte – und zukünftig womöglich noch viel mehr.
Aber auch innerhalb der Automobilbranche wird eine Trennung zwischen Freund und Feind immer schwieriger. Markenübergreifende Allianzen wie der Digitalkartendienst Here oder die Schnelllade-Initiative Ionity gelten dabei noch als unkritisch, weil sie nicht das Kerngeschäft berühren. Anders sieht es etwa beim autonomen Fahren aus: Wer sich hier einen technologischen Vorsprung erarbeiten kann, hat einen echten Wettbewerbsvorteil. Trotzdem gibt es Anzeichen dafür, dass sogar in diesem sensiblen Bereich Kooperationen zwischen direkten Wettbewerbern entstehen könnten: Laut einem Bericht der Automotive News Europa sucht Volkswagen aktiv nach Partnern für eine Allianz beim hochautomatisierten Fahren – inklusive anderer Autohersteller.
In dem Artikel wird zwar nur eine anonyme Quelle bei VW zitiert, doch die erwähnten Argumente für eine solche Allianz sprechen für sich. Ihr oberstes Ziel ist nicht etwa die Bewältigung besonders anspruchsvoller technischer Hürden auf dem Weg zum autonomen Fahren, sondern vor allem die rechtliche Absicherung gegen hohe Regressforderungen nach einem Unfall. Spätestens nachdem ein Uber-Testfahrzeug eine Fußgängerin tödlich verletzt hat, ist die Branche alarmiert. Noch sind viele rechtliche Fragen offen und die gesetzlichen Rahmenbedingungen für eine reguläre Teilnahme autonomer Fahrzeuge im Straßenverkehr außerhalb des Testbetriebs nicht definiert. Ein Grundprinzip wird aber wohl erhalten bleiben: Um nicht haftbar gemacht zu werden, muss der Hersteller vor Gericht den Nachweis erbringen können, dass seine Fahrzeuge dem aktuellen technischen Standard entsprechen.
Jeder Automobilhersteller hat da für sich genommen schlechte Karten: Wie soll er gerade bei einer besonders innovativen individuellen Lösung begründen, dass sie einem aktuellen Standard entspricht – wenn der möglicherweise noch gar nicht definiert ist? Eine branchenübergreifende Kooperation bietet da den enormen Vorteil, dass sie Festlegungen vereinbaren kann, die nicht nur technische Kooperationen ermöglichen, sondern zugleich auch vor Gericht als der aktuell gültige Stand der Technik akzeptiert werden. Bleibt allerdings die spannende Frage, ob diese Aussicht schon reicht, um Wettbewerber in einem so umkämpften Technikfeld zu Partnern zu machen. Die Antwort wird wohl davon abhängen, ob sich Regelungen finden lassen, die den gesetzlichen Ansprüchen an einen gültigen Standard genügen und trotzdem noch genug Freiraum für eine echte Markendifferenzierung lassen.