Das Aufkommen neuer Schnittstellen wie CoaXPress, CameraLink HS und USB 3.0 bedeutet natürlich nicht, dass sich bei Ethernet technisch nichts bewege. Ganz im Gegenteil: 10GigE wird bereits als Bildverarbeitungs-Schnittstelle diskutiert, wobei die Wärmeentwicklung generell noch als Problem angesehen wird. Schon im Praxiseinsatz befindet sich jedoch die Link-Aggregation-Group-Technik, die es ermöglicht, zwei Gigabit-Ethernet-Verbindungen zu einer einzigen zusammenzufassen und so die Datenübertragungsrate auf 240 MByte/s netto zu verdoppeln. Zwei GigE-Schnittstellen werden damit zu einer virtuellen 2GigE-Schnittstelle.
»Die LAG-Technik wurde aus dem Netzwerkbereich übernommen, in dem auch eine Zusammenfassung von mehr als zwei Links zugelassen ist«, stellt Mirko Benz, Produktmanager bei Baumer Optronic, fest. »Damit steigen jedoch der Platzbedarf für weitere Anschlüsse, die Leistungsaufnahme sowie der Verkabelungsaufwand. Für Kameras ist die Nutzung von zwei Links eine einfache und kostengünstige Option zur Unterstützung schneller Bildsensoren. Wenn höhere Bandbreiten nötig sind, lassen sich andere Technologien wie CameraLink einsetzen.«
Paul Kozik, Product Marketing Manager bei Allied Vision Technologies Canada, betont, dass die Zusammenfassung von mehr als zwei GigE-Kanälen auch für die industrielle Bildverarbeitung in Frage käme: »Der LAG-Standard beschränkt sich nicht auf zwei GigE-Verbindungen; mehr Verbindungen wären theoretisch durchaus möglich«, sagt er. »Es müsste lediglich auf PC-Seite eine Ethernet-Karte installiert sein, die mit mehreren Ethernet-Anschlüssen LAG unterstützt. Die CPU-Belastung wäre allerdings höher.« Auf der Kameraseite sei die Anzahl der Ports durch die Größe der Kamera begrenzt. Außerdem erhöhe sich der Stromverbrauch der Kamera mit der Anzahl der gebündelten Verbindungen.
Schweizer erläutert einige Hintergründe zur LAG-Technik: »Werden zwei Ports ‚geteamt‘, so erscheint eine neue LAN-Verbindung mit einer Bandbreite von 2 GBit/s«, führt er aus. »Über diese LAN-Verbindung erfolgt die Kommunikation.« Die Kamera sende dabei Datenpakete parallel über die beiden Ports, und die Netzwerkkarte bündele die Pakete dann wieder. »Der Netzwerkkartenhersteller eröffnet die Möglichkeit des ‚Teamings‘; so gesehen wird LAG treiberseitig vom Hersteller der Netzwerkkarte realisiert«, fährt Schweizer fort. »Dabei lässt sich theoretisch eine beliebige Anzahl physikalischer Netzwerk-Ports teamen. Wie viele Ports geteamt werden, hängt von der benötigten Bandbreite ab.«
Angesichts der maximalen Datenraten der vierkanaligen Kodak-CCD-Chips ist LAG mit zwei GigE-Verbindungen laut Schweizer eine vernünftige technische Lösung: »Damit lassen sich die maximalen Datenraten der heutzutage verfügbaren leistungsfähigsten CCD-Sensoren komplett abdecken.«
Eins aber gibt Schweizer zu bedenken: »Beachten sollte man, dass die geteamten Ports die gleichen Chipsätze aufweisen«, sagt er. »Wir haben in internen Tests zwar auch nachgewiesen, dass unterschiedliche Chipsätze sich teamen lassen; in der Praxis sollte das aber nur ein Notbehelf sein.«
Benz gibt noch zusätzliche Details zur Funktionsweise der LAG-Technik: »Per LAG werden zwei Netzwerk-Ports zu einem logischen Übertragungskanal mit eigener IP-Adresse zusammengefasst«, führt er aus. »Wenn ein Bild aufgenommen ist, wird es in einzelne Datenpakete für die Übertragung per Netzwerk aufgeteilt. Die Pakete werden alternierend über beide Links übertragen.« Diese Vorgehensweise sei wichtig, um die Latenz für einzelne Bilder zu reduzieren. Die Paketnummer bestimme jeweils die Auswahl des physischen Übertragungskanals.
Beim Empfang werden die Pakete Benz zufolge von der Netzwerkkarte in eine Warteschlange eingefügt und dem Betriebssystem signalisiert. Die System-Software (Treiber, Netzwerk-Stack) übernehme dann die Pakete und stelle die Daten der Applikation bereit. »Aus Effizienzgründen werden meist mehrere Pakete je Netzwerk-Port gemeinsam bearbeitet, wodurch auch die ursprüngliche Reihenfolge geändert werden kann«, erklärt er. »Damit beim Erkennen von Lücken nicht unnötigerweise sofort Pakete neu angefordert werden, ist die Protokollverarbeitung anzupassen. Hierfür sind beispielsweise größere Timeouts erforderlich.« Nachdem die gewünschte Reihenfolge wiederhergestellt und das Bild komplett empfangen sei, werde die Bildauswertung dann wie gewohnt fortgesetzt.
Kozik betont das quasi nahtlose Zusammenwirken von Kamera und Host-PC bei LAG: »Die LAG-Einstellungen werden automatisch von der Kamera-Hardware vorgenommen«, führt er aus. »Die Kamera ‚Prosilica GX‘ von AVT beispielsweise lässt sich sowohl mit einem als auch mit zwei Kabeln betreiben. Auf Host-PC-Seite übernimmt der Treiber der LAG-kompatiblen Ethernet-Karte die Zusammenfassung der beiden Verbindungen.« Das ganze Verfahren sei transparent für die Bildverarbeitungsanwendung: Für sie gebe es keinen Unterschied zur konventionellen GigE-Schnittstelle, weil LAG aus mehreren Verbindungen eine einzelne simuliere.
Um eine besonders bandbreitenstarke Schnittstelle zu bekommen, läge die Idee nahe, die GigE-Weiterentwicklung 10GigE mit der LAG-Technik zu verbinden. Hierbei stellt sich jedoch die Frage, ob dies überhaupt sinnvoll bzw. technisch möglich ist. Benz bezweifelt dies: »Mit 10GigE lässt sich die große Mehrheit der heute verfügbaren Sensoren ausnutzen«, sagt er. »Prinzipiell könnten auch mehrere 10GigE-Links kombiniert werden. Aus heutiger Sicht besteht dafür jedoch keine Veranlassung.« Kozik hegt ebenfalls Zweifel: »Es handelt sich um zwei unterschiedliche Technologien«, führt er aus. »LAG kombiniert konventionelle GigE-Anschlüsse. Auf Treiberseite werden einfach Datenpakete verwaltet und neu organisiert.« 10GigE dagegen beruhe auf einer komplett anderen Hardware, die für GigE Vision adaptiert werde.
Was die Vorteile und Marktchancen der LAG-Technik anbelangt, sind die befragten Experten positiv gestimmt: »Dual-GigE-Systeme auf LAG-Basis verwenden bekannte Netzwerkkomponenten und stellen einen einfachen Upgrade-Pfad dar, um die Performance zu verdoppeln«, stellt Benz fest. »LAG ist eine etablierte Technologie und befindet sich auch in Kameras bereits im Einsatz. Diese Kameras konkurrieren primär mit CameraLink Base, da die Bandbreite vergleichbar ist. Weil LAG aber keinen Framegrabber erfordert, lassen sich die Systemkosten senken.« Weitere Vorteile seien die einfachere Handhabung und die hohe Reichweite. Daraus ergebe sich ein erhebliches Marktpotential.
Optimistisch zeigt sich auch Schweizer: »Dual GigE setzt auf einer seit langem etablierten Technologie auf und liefert selbst für die schnellsten verfügbaren CCD-Sensoren eine ausreichende Bandbreite«, sagt er. »Nur bei High-Speed-CMOS-Sensoren reicht die Bandbreite von Dual GigE nicht aus, dort werden 10GigE, CameraLink HS oder CoaxPress zum Einsatz kommen.« Kozik vertritt eine ähnliche Position: »LAG ist eine sehr praktische Lösung, um die Bandbreite einer Anwendung zu erweitern, ohne den Host-PC und die gesamte Systemarchitektur anfassen zu müssen«, führt er aus. »Um mit CameraLink HS oder CoaXPress vergleichbare Durchsätze zu erreichen, müssten LAG-Kameras allerdings größer werden. Dies würde auch mehr Strom auf Kameraseite und mehr CPU-Last auf PC-Seite bedeuten.«