Produktions-Feinplanungs-Software mit KI

Pailot: »Feinplanung hat den besten Return on Invest«

14. Oktober 2024, 9:00 Uhr | Andreas Knoll
Dr. Christian Scherrer, Pailot: »Feinplanung ermöglicht den meisten Mehrwert.«
© Pailot

Künstliche Intelligenz eröffnet in der Industrie viele Möglichkeiten. Einige davon deckt Pailot mit einer Software-Lösung ab, die zwischen ERP- und MES-System angesiedelt ist und die Produktions-Feinplanung übernimmt. Dr. Christian Scherrer, Co-Founder von Pailot, erläutert die Hintergründe.

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Was kann KI in der Produktions-Feinplanung leisten? Wie ist Ihr Unternehmen auf das Thema Feinplanung gekommen?

Dr. Christian Scherrer: Pailot (www.pailot.com) ist aus dem Forschungszentrum Informatik (FZI) des Karlsruher Institut für Technologie (KIT) hervorgegangen. Unser Geschäftsführer Rico Knapper war Leiter des Bereichs »Künstliche Intelligenz«. Er hat sich dort mit vielen produzierenden Unternehmen beschäftigt, und auf Basis dieser Projekte hat er die Firma anacision GmbH gegründet, die KI in vielen erfolgreichen Projekten zur Optimierung der Produktion eingeführt hat. Zu diesen Projekten gehörten Anwendungen im Bereich Predictive Maintenance und Predictive Quality sowie die systematischen Auswertungen von Maschinen- und Betriebsdaten bis hin zur Erschaffung von IoT-Platform-Lösungen.

Durch viele Projekte und Gespräche mit produzierenden Unternehmen stellten wir fest, dass es wichtig ist, den gesamten Produktions- und Planungsprozess von A bis Z zu betrachten und das übliche Silodenken zu vermeiden.

So kam die Feinplanung ins Spiel, die alle Aspekte berücksichtigt: Alle vorliegenden Fertigungsaufträge werden optimal auf die vorhandenen Anlagen und Maschinen nach vorgegebenen Restriktionen und unter Berücksichtigung von Ressourcenknappheit verteilt. Und wenn eine Maschine ausfällt, wird neu geplant. Oder wenn ein Mitarbeiter nicht zur Verfügung steht, können wir in Sekundenschnelle umplanen. Das führt dann dazu, dass die wertvollen Ressourcen der Produktion besser genutzt werden, um günstiger, schneller und zuverlässiger produzieren zu können.

Wir entschieden uns dafür, eine Lösung für Feinplanung zu entwickeln, weil das der natürliche erste Schritt hin zu einer KI-basierten Produktion ist und unsere Kunden zukunftsfähig macht. Aus allen Projekten, die wir in der Vergangenheit durchgeführt haben, hatte unsere Lösung den besten ROI (Return on Invest) für unsere Kunden.

Das klingt sehr umfassend. Geht es nicht über Feinplanung im eigentlichen Sinne hinaus?

Ja, der Begriff Feinplanung klingt eigentlich sehr einfach: man nimmt alle Aufträge und sortiert sie optimal. Aber der Prozess in der Produktion sieht oft anders aus. Man erstellt einen Plan – und dann passiert es, dass die Maschine stehenbleibt. Oder der Vertrieb kommt und sagt: »Könnten wir einen bestimmten Auftrag vorziehen?«.

Die mathematische Komplexität dahinter ist enorm: Wenn ich drei Produktionslinien habe und zehn verschiedene Produkte, die auf jeder Linie gefertigt werden können, dann gibt es eine Vielzahl an möglichen Plänen, in welcher Reihenfolge wir die Aufträge abarbeiten. Diese Vielzahl an Kombinationen ist so komplex, dass kein Mensch, egal wie erfahren, sie optimal lösen könnte – und schon gar nicht in einer solch kurzen Zeit.

Unsere Algorithmen hingegen können diese riesige Informationsmenge in Sekundenschnelle verarbeiten und den optimalen Plan bieten. Dabei berücksichtigen sie alle Eventualitäten und Anforderungen, wie Maschinenstillstände oder kurzfristige Änderungen durch den Vertrieb. So geht unsere Feinplanung tatsächlich über die herkömmliche Vorstellung hinaus und bietet eine umfassende, dynamische Lösung, die sich jederzeit an die aktuellen Gegebenheiten anpassen lässt.

Starteam ist ein global agierendes Unternehmen mit Wurzeln in Deutschland.
Starteam ist ein global agierendes Unternehmen mit Wurzeln in Deutschland.
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Was macht in diesem Prozess die KI? Was könnte eine Feinplanungssoftware ohne KI – wo macht die KI den Unterschied?

Die KI macht einen entscheidenden Unterschied in der schnellen Verarbeitung großer Datenmengen. Unsere KI fungiert dabei nicht nur als ein einzelner Planer, sondern als Millionen von Planern, die parallel arbeiten. Jeder dieser virtuellen Planer berechnet seinen eigenen Plan und kommuniziert dann in Millisekundenschnelle mit den anderen. In diesen »Gesprächen« finden sie gemeinsam heraus, welcher Plan der optimale ist.

Eine Feinplanungssoftware ohne KI könnte zwar auch Pläne erstellen, würde jedoch deutlich länger brauchen, um die Vielzahl an möglichen Kombinationen zu analysieren und den besten Plan zu ermitteln. Zudem wäre sie weniger flexibel bei der Anpassung an unvorhergesehene Ereignisse, wie Maschinenstillstände oder kurzfristige Änderungen in der Auftragspriorität.

Der Unterschied liegt also in der Effizienz und Geschwindigkeit der KI. Sie kann enorme Datenmengen in Sekundenbruchteilen verarbeiten und sofort auf Veränderungen reagieren. Dadurch ermöglicht sie eine Feinplanung, die nicht nur schnell, sondern auch hochgradig optimiert und flexibel ist. Dies führt zu einer erheblichen Verbesserung der Produktionsabläufe und einer optimalen Nutzung aller Ressourcen.

Ist das dann eine Art von Machine Learning?

Wir arbeiten mit einem genetischen Algorithmus, der verschiedene Arten von Daten verarbeiten kann, etwa Rüstzeiten, Maschinendaten, Belegungspläne oder Personal Skills. Der Algorithmus ist sehr mächtig und schafft es beispielsweise sogar, über mechanische Fertigungsschritte inklusive einer komplexen Abfolge von Montageprozessen hinweg voll integriert zu planen.

Der genetische Algorithmus nutzt dabei Prinzipien der Evolution, um optimale Lösungen zu finden. Er generiert eine Vielzahl möglicher Pläne, bewertet deren Qualität und kombiniert die besten Ansätze, um immer bessere Pläne zu entwickeln. Durch diesen iterativen Prozess wird kontinuierlich optimiert, bis ein optimaler Plan gefunden ist. Dies ermöglicht eine hochpräzise Feinplanung, die sowohl die technischen als auch die menschlichen Aspekte der Produktion berücksichtigt.

Ihre Feinplanungssoftware kann viele verschiedene Daten einbeziehen und lernt dann praktisch aus dem ständigen Umgang mit den Daten?

Unsere Feinplanungssoftware ist in der Lage, eine Vielzahl unterschiedlicher Datenquellen zu integrieren und daraus zu lernen. Sie verarbeitet kontinuierlich Maschinendaten, Personaldaten und andere relevante Informationen und passt sich durch ständigen Umgang mit diesen Daten an.

Starteam hat sich vom Leiterplattenhändler zum Leiterplattenhersteller entwickelt.
Starteam hat sich vom Leiterplattenhändler zum Leiterplattenhersteller entwickelt.
© Starteam

Wie ordnet sich Ihre Feinplanungssoftware ein in verschiedene Produktionssoftware-Arten wie ERP, PLM und MES? In welchem Verhältnis steht sie dazu, und welche Rolle spielt sie in diesem Kontext?

Wir ordnen uns zwischen ERP und MES ein. Unsere Feinplanungssoftware verwendet die Fertigungsaufträge, die im ERP erstellt werden, und berücksichtigt Planungsaufträge. Allerdings erstellt das ERP diese Aufträge meist gegen unbegrenzte Kapazitäten oder unter lediglich rudimentärer Berücksichtigung von Kapazitäten. Hier kommen wir ins Spiel: Wir nehmen diese Aufträge und berücksichtigen die tatsächlich vorhandenen Kapazitäten.

Das bedeutet, wir berücksichtigen, wie viele Maschinen für einen Fertigungsauftrag verfügbar sind, auf wie vielen bzw. welchen Maschinen das Produkt gefertigt werden kann, welche Mitarbeiter die Maschinen bedienen können, und wie viele Rüster oder Reinigungskräfte bereitstehen. All diese Aspekte fließen in unsere Planung ein. Auf Basis dieser umfassenden Analyse erzeugen wir einen optimierten Plan, der dann an das MES geliefert wird.

Unsere Feinplanungssoftware kann auch ohne MES und PLM funktionieren, aber das ERP ist unerlässlich, weil es die Fertigungsaufträge bereitstellt. Ohne ERP gäbe es keine Fertigungsaufträge und keine Disposition, daher ist das ERP für uns Pflicht. Unsere Software übernimmt dann die Feinplanung dieser Aufträge unter Berücksichtigung der realen Kapazitäten und liefert so einen optimalen Produktionsplan, der die Effizienz und Flexibilität der Fertigung erheblich steigert.

Ist es für Ihre Software egal, welches ERP-System ein Unternehmen einsetzt, oder ist sie an bestimmte ERP-Systeme gebunden?

Wir sind ERP-unabhängig. Im Laufe der Zeit haben wir viele verschiedene ERP-Systeme kennengelernt und die Anbindungen erfolgreich vorgenommen. Unsere Software ist mit jedem ERP-System auf dem Markt nutzbar. Wir kennen die Datenstrukturen der meisten ERPs und wandeln diese mit unserem eigenen Adapter um. Wir haben sogar schon fertige Adapter für einige gängige ERP-Systeme.

Wir nehmen die Daten von jedem ERP, können aber auch Excel-Dateien verarbeiten, falls dort zusätzliche Informationen wie Mitarbeiter-Skills enthalten sind. Diese Flexibilität ist ein großer Vorteil unserer Software.

Es mag überraschend klingen, aber Excel ist vielerorts immer noch das Planungstool Nr. 1 in der Produktion. Fast jedes Unternehmen verwendet Excel in der Planung – einige mehr, andere weniger. Interessanterweise nutzen sogar Unternehmen, die bereits eine Planungslösung haben, Excel häufig noch für den letzten Schritt. Während die Elektronikbranche etwas moderner ist, bleibt Excel in anderen Branchen wie dem Maschinenbau definitiv das führende Planungstool. Unsere Software integriert sich nahtlos sowohl mit ERP-Systemen als auch mit Excel, um die bestmögliche Feinplanung zu gewährleisten.

Wo ist Ihre Software angesiedelt: in der Cloud, an der Edge oder in einem Hochleistungs-SoC von Nvidia?

Wir bieten eine Cloud-basierte Lösung an. Die Daten werden über Schnittstellen zu uns geliefert, wobei das Unternehmen, das mit uns plant, entscheidet, wann es den Port öffnet und die Daten sendet. Nachdem unser Algorithmus die Daten verarbeitet hat, werden die Pläne in der Cloud abgelegt. Das Unternehmen entscheidet dann selbst, wann es seine Daten abruft. Es gibt also keinen dauerhaft offenen Port; die Unternehmen entscheiden aktiv, wann sie Daten hochladen, etwas berechnen lassen und die Ergebnisse abrufen möchten.

Wie oft das geschieht, bleibt den Unternehmen überlassen. Einige unserer Kunden planen einmal pro Woche, andere rufen ihre Pläne alle fünf oder zehn Minuten ab, also nach jedem Produktionsdurchlauf. Diese Flexibilität ist ein großer Vorteil unserer Lösung.

Wir sehen die Cloud-basierte Lösung als Vorteil, weil wir die Verantwortung für die Server übernehmen. Wir sorgen dafür, dass der Algorithmus rund um die Uhr verfügbar ist. Bei Updates sind wir dafür zuständig, diese an alle Systeme anzupassen, sodass alle Kunden gleichzeitig von den Verbesserungen profitieren. Daher sind wir überzeugt, dass eine Cloud-basierte Lösung für uns und unsere Kunden die beste Option ist.

Haben Sie dafür eine eigene Cloud oder arbeiten Sie mit einem externen Cloud-Anbieter zusammen?

Wir nutzen einen der großen drei Cloud-Provider. Die Daten liegen in Deutschland. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Sicherheitsstandards der großen Cloud-Provider in der Regel weitaus größer sind als das kleine oder mittelständische Unternehmen selbst bewerkstelligen können.

Leiterplattenfertigung bei Starteam
Leiterplattenfertigung bei Starteam
© Starteam

Welches Geschäftsmodell verfolgen Sie: Software as a Service oder ein Abomodell?

Wir verfolgen ein Software-as-a-Service-Modell (SaaS). Das bedeutet, der Kunde zahlt einen festen Betrag pro Jahr und kann die Software dann nach Bedarf nutzen. Unsere Verträge sind Jahresverträge. Wir bevorzugen es grundsätzlich, unsere Lösung mit einer kurzen Einführungsphase direkt live mit echten Kundendaten zu nehmen, anstatt erst einen Proof of Concept durchzuführen. Daher bieten wir den Kunden an, gleich einen Vertrag mit monatlicher Kündigungsmöglichkeit abzuschließen und die Software an ihren Daten auszuprobieren. Dafür ist das Onboarding dann sogar schon inkludiert. Die Kunden sollen aktiv mitwirken, was den Umgang mit ihren Daten und den Anwendungsprozess betrifft.

Dieses Modell ermöglicht es den Planern, schnell zu lernen, wie sie die Software nutzen und integrieren können, und trägt zur Akzeptanz der Software bei. Unsere SaaS-Verträge sind flexibel und schnell kündbar, sodass das Risiko für die Unternehmen minimal ist. Der eigene Aufwand für die Unternehmen ist gering, weil unsere Lösung cloud-basiert ist und die Unternehmen ihre Daten in dem Format bereitstellen können, das sie ohnehin schon verwenden. Die notwendige Anpassung ist also minimal, und die Unternehmen müssen lediglich sicherstellen, dass die Daten für uns verfügbar sind.

Sprechen Sie hauptsächlich Kunden aus bestimmten Branchen an oder ist Ihre Software branchenunabhängig?

Letztlich ist unsere Lösung branchenunabhängig, es geht eher um die Art der Fertigung. Momentan haben wir zwei Schwerpunktbranchen: die Elektronikbranche und die Metallverarbeitung.

In der Elektronikbranche haben wir uns ein großes Wissen angeeignet, besonders durch die Zusammenarbeit mit unserem Partnerunternehmen Starteam, einem global agierenden Leiterplattenhersteller. Wir planen die gesamte Produktion in deren Werk in Jiangyou, China. Dank der umfassenden Kooperation mit Starteam konnten wir viele Prozesse bis ins letzte Detail analysieren und uns viel Elektronikwissen aneignen. Mitarbeiter von Starteam standen uns intensiv zur Verfügung, und unser Team war vor Ort, um sich ein umfassendes Bild zu machen.

Die Metallverarbeitung ist ebenfalls ein Schwerpunkt, weil sie artverwandt zur Elektronikfertigung ist, besonders bei den Bestückern der Leiterplatten, die Starteam herstellt. Durch den Zugang zu den Kunden von Starteam konnten wir auch Bestücker und metallverarbeitende Unternehmen als Kunden gewinnen.

Unsere Wurzeln liegen ursprünglich im Maschinenbau. Der Drehmaschinenhersteller EMAG war einer der ersten Kunden, und wir haben sogar gleich mehrere Use Cases beim großen Sensorhersteller Sick AG.

Unsere Fokusbranchen sind also Elektronik und Metallverarbeitung. Grundsätzlich gilt: Wenn es sich um diskrete Fertigung mit hoher Produktvielfalt handelt, dann ist unsere Lösung die richtige Wahl.

Hat Starteam auch Anteile an Ihrem Unternehmen?

Der CEO von Starteam, Daniel Jacob, hat persönlich in unser Unternehmen investiert. Er selbst hält Anteile, aber nicht Starteam als Unternehmen. Das bedeutet, wir bleiben unabhängig, sind aber in enger Partnerschaft verbunden. Daniel Jacob sieht großes Potenzial in unserer Lösung und nutzt seine Position bei Starteam, um uns als eine Art Booster voranzubringen.

Ist Starteam also ein deutsch-chinesisches Unternehmen?

Ja, Starteam ist ursprünglich ein deutsches Unternehmen aus Karlsruhe, hat aber inzwischen sein Headquarter in Hongkong. Starteam begann als Leiterplattenhändler, hat sich dann aber rasend schnell zum produzierenden Leiterplattenhersteller weiterentwickelt, ein Werk in China eröffnet und eine beeindruckende digitale Transformation an den Tag gelegt. Vor etwa eineinhalb Jahren haben sie zudem eine smarte Fabrik in Thailand errichtet, und aktuell entsteht ein kleines Werk in Italien. So hat sich Starteam zu einem global agierenden Unternehmen mit Wurzeln in Deutschland entwickelt, das nun in mehreren Ländern Produktionsstätten betreibt.

Auf welchen Messen werden Sie in nächster Zeit ausstellen?

Wir werden auf der electronica als Mitaussteller bei Starteam präsent sein. Wir haben ein besonderes Highlight gemeinsam mit Starteam geplant, was wir auf dem Messestand zeigen. Mehr wollen wir im Moment nicht verraten, aber es wird großartig.

Das Interview führte Andreas Knoll.


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