Gibt es Anwendungsfälle, von denen man ursprünglich dachte, dass die Blockchain helfen könne, von denen man jetzt aber sagen kann »Hier kommt sie nicht in Frage«?
Plum: Insbesondere das regulatorische Gutachten der Dena-Multi-Stakeholder-Studie enthält einige neue Erkenntnisse, die vorher für die Energiewirtshaft nicht so klar waren. Konkret gehören dazu der Datenschutz bei Peer-to-Peer/B2C sowie Wettbewerb/Vertraulichkeit bei B2B-Anwendungsfällen. Auf technischer Seite sind ebenfalls einige Fragen offen: Wo schreitet die Technologieentwicklung langsamer voran als erwartet und wo hat man Technologien falsch eingeschätzt? Ein Beispiel für die erste Frage wäre, dass die rasante Weiterentwicklung klassischer IoT-Plattformen unterschätzt wurde. Ein Beispiel für die zweite Frage sind die immer noch nicht etablierten Skalierungserweiterungen in den Blockchain-Open-Source-Basistechnologien.
Können Sie Beispiele nennen, wo die Blockchain bereits erfolgreich im Energiesektor Einsatz findet oder demnächst finden wird?
Plum: Beispiele für den praktischen Einsatz sind nach wie vor das Projekt Brooklyn Microgrid oder der TAL.Markt der Stadtwerke Wuppertal. Im Rahmen einer Studie hat das Team Markt der BCI-E+ alle frei verfügbaren Informationen zu den aktuellen Blockchain-Pilotprojekten innerhalb der Energiewirtschaft analysiert. Das Ergebnis: Vor den insgesamt 35 identifizierten Projekten befasst sich die große Mehrzahl mit den Themen Erzeugung und Vertrieb.
Kulinna: Dies sind – Stand heute – jedoch meist Proof of Concepts und Pilotprojekte im sehr kleinen Rahmen. Regulatorische Vorgaben, die Verarbeitung in der nötigen Menge und Geschwindigkeit sowie offene Geschäftsmodelle sind aus unserer Sicht aber noch echte Herausforderungen. Dies leiten wir auch daran ab, dass von vielen Seiten sogenannte Reallabore gewünscht und gefordert werden.
Wo ergeben sich Ihrer Ansicht nach besonders große Chancen für den Einsatz der Blockchain im Energieumfeld?
Kulinna: Aktuelle Chancen für die Technologie sehen unsere aktiven Mitglieder insbesondere im Bereich des Lieferantenwechsels, wie mit unserer Pilotanwendung „BCI-E+ MaKoChain“ 2019 auf der E-world in Essen gezeigt haben, sowie im Gesellschafts- und Genossenschaftsrecht. Aktuell beschäftigen wir uns mit dem Austausch von Kommunikationsstammdaten für die Marktkommunikation. Dafür gibt es heute keine grundlegenden regulatorischen, technischen, ökonomischen Hindernisse. Und wir untersuchen weiter die mögliche Umsetzung dieser Geschäftsprozessverbesserung innerhalb der „BCI-E+ MaKoChain“.
Plum: Im Fokus unserer Arbeit stehen Anwendungsfälle, die eher gute Chancen auf eine Realisierung haben. Uns geht es eher um den Erfahrungsaustausch einiger ausgewählter Anwendungsbereiche.
Kristallisiert sich eine bevorzugte Technik heraus, beispielsweise Ethereum, Iota oder Hyperledger?
Kulinna: Ethereum, einschließlich der Enterprise-Variante Quorum, hat bisher die größte Entwickler-Gemeinschaft und war daher die erste Wahl für den Austausch zwischen den Teilnehmern der BCI-E+ und den Versorgungsunternehmen. In der Gruppe Technik besprechen wir die Anwendungsfälle generell mit der Prämisse, dass fast jede Blockchain-Technologie für die Anwendungsfälle infrage kommt. Wir tauschen uns bei Bedarf auch jeweils über die speziellen Anforderungen aus, wenn besondere Eigenschaften in der Blockchain-Technologie benötigt werden. Insgesamt sehen wir auf technologischer Seite noch viel Bewegung, sodass wir hier noch nicht eine Technologie bevorzugen wollen und eine der diskutierten Technologien aus dem Rennen nehmen würden.
Würde es sich dann um private Blockchains handeln?
Kulinna: Aufgrund der Anforderungen der Energiewirtschaft bezüglich der Haftung sowie einer deutlich ökologischeren Konsensfindung fokussieren wir uns in der BCI-E+ derzeit auf konsortiale Blockchains mit gemeinsamer, geteilter Entwicklung und geteiltem Betrieb. Die Prinzipien freier Software klingen sehr interessant – mit vollständig freiem Urheberrecht des gemeinschaftlich entwickelten Branchen-Codings und den sich daraus ergebenden Möglichkeiten, die Weiterentwicklung und davon unabhängig die Wartung frei beauftragen zu können.
Plum: Weitere Einschränkungen durch restriktives Urheberrecht sowie eine Verengung auf wenige Anbieter, wie heute im klassischen Unternehmenssoftwaremarkt, sind nicht unbedingt interessant für Energieversorger.