Wegen Securityrisiken durch neue Technik

Maschinenverordnung ersetzt Maschinenrichtlinie

19. Dezember 2022, 9:22 Uhr | Torsten Gast, Carsten Gregorius
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Bild 1: Durch die neue EU-Maschinenverordnung ändert sich Einiges beim Thema Functional Safety.
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Noch im Jahr 2022 wird ein finaler Rechtstext der neuen EU-Maschinenverordnung erwartet, der die Maschinenrichtlinie 2006/42/EG runderneuert und innerhalb von drei Jahren von den Maschinenherstellern umgesetzt werden muss. Hierbei gilt es Einiges zu beachten.

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Torsten Gast, Phoenix Contact Deutschland
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Am 21. April 2021 überraschte die EU-Kommission die Anwender mit dem ersten Entwurf einer umfangreichen Überarbeitung der EU-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG. Statt kleinerer Anpassungen des New Legislative Framework (NFL) zu anderen EU-Verordnungen sieht die EU-Kommission einen deutlich höheren Änderungsbedarf (Bild 1). Noch 2022 wird ein finaler Rechtstext erwartet, dann beginnt die Übergangszeit von aktuell 36 Monaten bis zur Umstellung auf die neue EU-Maschinenverordnung. Doch reicht diese Zeitspanne zur Umsetzung der neuen Anforderungen aus? Und welche Anforderungen sind derzeit geplant? Das im Februar 2020 von der EU-Kommission veröffentlichte Weißbuch über künstliche Intelligenz war der Auslöser für die Überarbeitung der EU-Maschinenrichtlinie. Der Bericht, in dem die Auswirkungen der neuen Technologien und die damit verbundenen Herausforderungen für die Sicherheitsvorschriften der Europäischen Union analysiert wurden, stellte fest, dass die aktuellen Rechtsvorschriften zur Produktsicherheit einige Lücken aufweisen, die unter anderem in der EU-Maschinenrichtlinie geschlossen werden sollten. Die folgenden sechs Problemfelder wurden detektiert:

  • 1. Die Maschinenrichtlinie deckt neue Risiken, die aus aufstrebenden Technologien resultieren, nicht ausreichend ab.
  • 2. Wegen mangelnder Klarheit über den Anwendungsbereich und die Begriffsbestimmung sowie mögliche Sicherheitslücken bei traditionellen Technologien ergibt sich eine Rechtsunsicherheit. Vor allem sei hier die Begriffsbestimmung »unvollständige Maschinen« genannt.
  • 3. Die Bestimmungen für Hochrisikomaschinen sowie die Überarbeitung der mittlerweile 15 Jahre alten Liste von Hochrisikomaschinen sind unzureichend.
  • 4. Durch die umfassende Dokumentation auf Papierbasis entstehen monetäre und ökologische Kosten.
  • 5. Es treten Unstimmigkeiten mit anderen Rechtsvorschriften der Union im Hinblick auf die Produktsicherheit auf – Stichwort: neuer Rechtsrahmen (New Legislative Framework).
  • 6. Die Überführung in einzelstaatliches Recht zieht Divergenzen in der Auslegung nach sich (Bild 2).

Kostenersparnis durch Digitalisierung der Betriebsanleitung

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Carsten Gregorius, Phoenix Contact Electronics
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Im Entwurf der EU-Kommission findet sich ein (längst überfälliger) Ansatz für die Betriebsanleitungen: »Die Betriebsanleitung kann in digitaler Form zur Verfügung gestellt werden.« Dabei ist auf dem Maschinenprodukt und in einem Begleitpapier anzugeben, wo Anwender auf die (versionsgenaue) Betriebsanleitung zugreifen können. Zudem ist das Format so zu wählen, dass es Anwendern möglich ist, die Betriebsanleitung herunterzuladen und in ihrem Endgerät zu speichern. Ausnahmen wird es bei Maschinen geben, die für den B2B-Bereich vorgesehen sind. Außerdem muss den Maschinen ein Beiblatt mit den grundlegenden Sicherheits- und Schutzanforderungen beigelegt werden, etwa wie die Maschine zu transportieren und aufzustellen ist. Insgesamt erwartet die Maschinenhersteller eine wesentliche Vereinfachung und Kosteneinsparung bei der Erarbeitung und Bereitstellung der Betriebsanleitung.

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Bild 2: Von der EU-Maschinenrichtlinie zur EU-Maschinenverordnung
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Harmonisierte Normen verlieren Vermutungswirkung

Die Maschinenhersteller sind mit einer besonderen Aufgabe konfrontiert, wenn ab dem Stichtag nicht mehr die aktuelle EU-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG auf der EG-Konformitätserklärung genannt wird, sondern die neue EU-Maschinenverordnung. Dann verlieren alle bisherigen, nach der alten Richtlinie harmonisierten Normen ihre Vermutungswirkung. Sie bekommen nicht automatisch die Vermutungswirkung zur neuen Verordnung, weil es sich nicht nur um eine formale Umstellung auf die neue Verordnung handelt. Vielmehr führt Anhang III (bisher Anhang I), in dem die grundlegenden Gesundheits- und Schutzanforderungen definiert sind, mehrere Veränderungen auf. Aus diesem Grund müssen sämtliche Normen auf diese Veränderungen überprüft und unter Umständen angepasst werden.

Auf die Normengremien kommt also viel Arbeit zu, denn es gibt derzeit über 780 harmonisierte Normen. Für den Maschinenhersteller bedeutet dies, dass er entweder darauf vertraut, dass die jeweils anzuwendenden Normen ab dem Stichtag den neuen Anforderungen und folglich der Vermutungswirkung zur neuen Verordnung gerecht werden. Alternativ hat seine Maschine die grundlegenden Gesundheits- und Schutzanforderungen zu erfüllen. Dies ist sicherlich möglich, zieht jedoch einen gewissen Mehraufwand nach sich. Zumindest sollte sich der Maschinenhersteller im Vorfeld auf die Situation vorbereiten, damit er am Tag der Umstellung die Konformitätserklärung richtig ausstellt. Ansonsten muss er für genutzte Normen, die zu diesem Zeitpunkt nicht harmonisiert sind, einen anderen Nachweis zur Erreichung der grundlegenden Gesundheits- und Schutzanforderungen vorlegen.


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  2. Mehrstufiger Zugriffsschutz der Sicherheitseinrichtungen

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