Die künstliche Intelligenz (KI) ist dabei, der Automatisierung und Maschinensteuerung ihren Stempel aufzudrücken. Dennoch stehen viele Unternehmen vor der Frage, welche Anwendungen in absehbarer Zeit tatsächlich relevant werden und wie man schon heute die richtigen Weichen dafür stellt.
Wer heutzutage kundenspezifische Steuerungen entwickelt, entwickeln lässt oder auch nur anbietet, steht vor der Entscheidung, ob, wann und wie KI eingesetzt und in eigene Steuerungslösungen integriert werden soll. Naheliegend ist die Nutzung vor allem in Bereichen wie Prozess- und Energieoptimierung, Entscheidungsunterstützung (z.B. Qualitätskontrolle und Predictive Maintenance) sowie Text- bzw. Sprachverständnis. Gerade Sprachassistenten, die die Absichten des Bedienpersonals korrekt interpretieren können, haben das Potenzial, der KI in der Maschinenwelt zum Durchbruch zu verhelfen.
Dass sich die KI dennoch bis heute auf keinem dieser Gebiete breit durchgesetzt hat, liegt nicht nur an den – zumindest bislang – hohen Kosten und komplexen Projektabläufen, sondern auch an berechtigten Bedenken hinsichtlich (Bedien-)Sicherheit und Datenschutz. Letztere sind Themen, denen sich der geplante AI Act der EU annimmt. Das weltweit umfangreichste KI-Gesetz errichtet Leitplanken für die industrielle Automatisierung und verlangt von Unternehmen unter anderem:
• eine qualifizierte und verständliche Risikobewertung,
• die Erfüllung von Transparenz-, Dokumentations- und Informationspflichten,
• die Einrichtung von Governance-Systemen zur Kontrolle der KI und
• eine angemessene Schulung von Mitarbeitern.
Abseits derartiger regulatorischer Bedenken muss das für Maschinen-KI erforderliche Spezialwissen eintrainiert werden, und es müssen, abhängig vom konkreten Anwendungs-bereich, definierte Reaktions- und Latenzzeiten eingehalten werden. Dies beeinflusst entscheidend die Systemarchitektur – also die Ebene, auf der die KI ihre Algorithmen ausführen lässt. Und schließlich sind die Entwicklungszeiten und Innovationszyklen der KI viel kürzer als bei der zu steuernden Maschinenhardware. Eine Entkoppelung und damit die Möglichkeit von Retrofits ist also zwingend geboten.
Die Hürden auf dem Weg zu mehr KI in der Automatisierung sind jedoch nicht so hoch, wie man denken könnte. Was die Kostenseite betrifft, erlebt die KI derzeit zweifellos eine »Demokratisierung« durch die Verfügbarkeit von »automatisiertem Machine Learning« (AutoML) sowie - bezahlbaren - Plattformen, Entwicklungswerkzeugen und Vorgehensweisen für spezialisierte KI-Lösungen. Mächtige Large Language Models (LLM) wie ChatGPT sind zudem für KI-Entwickler preisgünstig nutzbar.
Für die regulatorische Ebene bietet das Konzept der Explainable AI (XAI) Antworten auf die Anforderungen des AI Act. Die »erklärbare« - eigentlich ihre Entscheidungen erklärende - KI setzt auf Methoden und Techniken, um die Funktionsweise und Entscheidungen von KI-Systemen anhand konkreter Kriterien und Daten transparent und verständlich zu machen und so die Akzeptanz und das Vertrauen in KI-basierte Systeme zu erhöhen. Bereits industriell angewandt wird XAI beispielsweise im Bereich Predictive Maintenance. Das KI-System präsentiert dabei den Anwendern grafisch »Confidence Levels« für seine Entscheidungsempfehlungen, inklusive Einblicke in die Datenbasis und die angewandten Kriterien. Je höher ein solches Level ist, desto höher ist die Sicherheit einer Empfehlung für eine Parameteranpassung.
Was bei Nutzung moderner Instrumente und Methoden schon heute möglich ist, illustriert eine KI-Anwendung, die die Sabo Mobile IT als Unternehmen der Amalthea-Gruppe im November vorgestellt hat: der SABOT, eine Plattform für die Entwicklung KI-unterstützter Sprachassistenten zur Maschinensteuerung über Dialoge in natürlicher menschlicher Sprechweise. SABOT kann somit vorhandene Maschinen und Anlagen via Retrofit mit einer zukunftsweisenden Human-Machine-Interface (HMI) erweitern und grundlegend modernisieren. Er läuft in modernen Controllern, eignet sich für den wirtschaftlichen Einsatz in Großanlagen ebenso wie in Massengeräten und bietet so die erforderliche Entkopplung vom Lebenszyklus der Maschine.
Je nach Applikation und Kundenanforderung nutzt SABOT drei Ebenen einzeln oder in Kombination: Public Cloud, Private Cloud und Edge Computing. Wo Large Language Models (LLM) benötigt werden, also etwa für Speech-to-Text- und Text-to-Speech-Funktionen (STT/TTS), setzt die Plattform auf ChatGPT – oder optional auf andere, auf den Bedarf der Industrie spezialisierte LLM. Aus Datenschutzgründen sorgt SABOT dafür, dass Spracheingaben grundsätzlich nicht zurückverfolgt werden können. Um Know-how-Schutz zu gewährleisten, wird schützenswertes Wissen - etwa zu einzelnen Maschinenmodellen - ausschließlich in »MyGPT« oder vergleichbaren Private-Cloud-Instanzen verarbeitet und gespeichert. Zusätzlich nutzt die modulare Architektur von SABOT die Edge-Ebene und kann Module flexibel auf den verschiedenen Ebenen betreiben. Dabei gilt es, bei jedem Projekt eine spezifische Balance zwischen diesen Ebenen, ihren jeweiligen Möglichkeiten sowie Vor- und Nachteilen, zu finden. Schließlich hängt diese Balance nicht zuletzt von der Hardware ab, die SABOT nutzen soll.
Für die Wahl der KI-Elektronik in der Ziel-Hardware (Controller, intelligentes Gateway, Edge-Device) sind die benötigte Performance, die Reaktions- und Latenzzeiten und natürlich die Zielkosten zu berücksichtigen. Infrage kommen CPUs mit integrierter KI-Engine, FPGAs, GPUs und DSPs oder auch eigenständige KI-CPUs. Zudem können sich die Algorithmen und die daraus abzuleitende Rechenperformance während des Lebenszyklus verändern. Deshalb verfolgt die Grossenbacher Systeme AG als Unternehmen der Amalthea-Gruppe den Weg, die KI über standardisierte Schnittstellen zu integrieren, um gegebenenfalls die KI-Engine anpassen zu können, ohne tiefgreifende Änderungen am Gesamtsystem vorzunehmen.
Um dies zu erreichen, setzt das Unternehmen auf Carrierboard/SoM-Design. Bei kleineren Anwendungen kann eine i.MX8-CPU mit möglichen KI-Optionen ausreichen. Sind die Leistungsgrenzen überschritten, lässt sich über eine PCI-Schnittstelle eine Kommunikation zu einem zweiten Board realisieren. Die daraus entstehende Flexibilität ist für die Wahl einer dezidierten KI-Engine nutzbar, ohne die ARM-CPU oder das Carrierboard anpassen zu müssen. So kann man einen zukunftssicher konzipierten Controller mit sehr viel zusätzlicher KI-Leistung und -Hardware ausstatten – bis hin zu spezialisierten Tensor-Prozessoren (TPU).
Grossenbacher Systeme passt die Entwicklung seiner Controller deshalb den Anforderungen der Kunden, des Markts und der KI-Anwendungen an. So hat das Unternehmen erst kürzlich eine neue Version des Universal Controllers (UC) vorgestellt. Er beruht auf einer i.MX8-CPU und hat eine Carrier-Board-/SoM-Architektur sowie ein integriertes Linux-Yocto-Betriebssystem. Dieses Hard- und Softwarekonzept sorgt dafür, dass der Universal Controller nicht nur die Aufgaben einer SPS übernehmen kann, sondern auch als IoT-Gateway und als Plattform für - mäßig anspruchsvolle - KI-Anwendungen auf der Edge-Ebene einsetzbar ist. Bei einem kundenspezifischen Controller hat Grossenbacher Systeme dagegen von vornherein eine Tensor Processing Unit (TPU) über eine geeignete Schnittstelle an Carrier-Board und ARM-CPU angebunden. Der Kunde hatte besonderen Wert auf Hochleistung beim Machine Learning gelegt und forderte massive »Computing Power« für die Datenverarbeitung in der Edge sowie den Abgleich mit der Cloud. Mit beiden Hardware-Varianten - mit TP oder ohne - sind die Anwender auf der sicheren Seite, was den Einsatz von KI-Anwendungen heute und morgen betrifft.
Das Fazit: Damit die KI in der Automatisierung ihr volles Potenzial ausschöpfen kann, sollte die Entwicklung von Hard- und Software speziell intelligenter Steuerungen Hand in Hand gehen und so eng wie möglich aufeinander abgestimmt sein. Mindestens ebenso wichtig ist zudem die Abstimmung zwischen den Hardware- und Software-Entwicklern einerseits und dem Kunden als OEM einer KI-basierten Maschinensteuerung andererseits. Von Vorteil ist hier die Unterstützung durch einen »Single Point of Contact«, wie ihn Sabo Mobile IT und Grossenbacher Systeme durch ihre enge Kooperation bieten können. Denn ein ganzheitlich agierendes Projektmanagement fördert die Umsetzung der Projektziele – von der KI-Hardware über die KI-Algorithmen bis hin zur AI-Act-konformen Informationsdarstellung mittels Explainable AI.
Der Autor:
Oliver Roth ist CEO der Amalthea-Gruppe, die sich mit der Hard- und Softwareseite innovativer KI-Lösungen befasst. Zur Amalthea-Gruppe gehören unter anderem die Unternehmen Sabo Mobile IT, Grossenbacher Systeme und comtac.