Das Projekt Gaia-X soll eine europäische Dateninfrastruktur schaffen. Welchen Status hat es erreicht, was sind die nächsten Schritte und wie schätzen Sie die Erfolgsaussichten ein?
Im Kern ist das Ziel von Gaia-X, den vertrauensvollen Datenaustausch – vor allem zwischen Unternehmen – auf eine standardisierte Basis zu stellen, eine Infrastruktur dafür bereitzustellen und damit die gemeinsame Datennutzung zu erleichtern oder überhaupt erst zu ermöglichen. Sicherlich sind nicht alle Erwartungen an die Geschwindigkeit der Umsetzung erfüllt worden, aber es entstehen immer mehr Bausteine, die auch im praktischen Einsatz tauglich sind, wie beispielsweise im deutsch-österreichischen Gaia-X-Leuchtturmprojekt EuProGigant gezeigt wird, im dem sich Maschinenbauer aus beiden Ländern vernetzen.
Gaia-X hat auch Initiativen wie Catena-X inspiriert. Mit Manufacturing-X entsteht ein weiteres großes Vernetzungsvorhaben, für das auf Gaia-X zurückgegriffen wird. Es bedarf genau solcher Praxisbeispiele in möglichst vielen Branchen, um den Mehrwert einer gemeinsamen Dateninfrastruktur zu zeigen. Das Forschungsprojekt iECO setzt die Konzepte unter anderem in der Bauwirtschaft um – eine Branche, die bei den ersten Überlegungen zu Gaia-X nicht im Fokus stand, die aber vom leichteren Datenaustausch signifikant profitieren kann.
Inwieweit nutzen produzierende Unternehmen derzeit die gewonnenen Daten? Mit welchen Maßnahmen können sie die Nutzung der Daten optimieren?
Die Datennutzung innerhalb von Unternehmen nimmt stark zu. Während anfänglich Daten eher zufallsgesteuert gesammelt und nicht zielgerichtet verwertet wurden, finden nun in immer mehr Bereichen Auswertungen statt, die nicht nur ein Echtzeitbild des Unternehmens schaffen, sondern beispielsweise durch den Einsatz künstlicher Intelligenz Energieeinsparungen ermöglichen, ein neues Niveau der Flexibilität in die Produktion bringen, die Ressourceneffizienz steigern und auch neue Fertigungsverfahren ermöglichen.
Hier ist sicherlich noch nicht das gesamte Potenzial ausgeschöpft. Ein Hemmnis bei der Umsetzung stellt die Knappheit der erforderlichen Data-Scientists dar. Einen Ausweg können hier die Low-Code-Ansätze sein, die immer stärkere Verbreitung finden und Branchenexperten ohne einschlägiges Know-how in die Lage versetzen, zumindest eine gewisse Stufe der Datennutzung ohne die Heranziehung von Data-Scientists zu realisieren. In dieselbe Richtung gehen auf Zeitreihen ausgerichtete Visualisierungswerkzeuge, die Ähnlichkeitssuchen auf Zeitverläufen, Abhängigkeitsanalysen und ähnliche fortgeschrittene Funktionalität anbieten.
Wie weit ist die Monetarisierung der gewonnenen Daten fortgeschritten?
Die Monetarisierung von Daten hat bisher deutlich weniger Reife erreicht als die Nutzung, wie die jüngste Expertise des Forschungsbeirats Industrie 4.0 zeigt. Monetarisierung kann dabei in verschiedenen Richtungen gedacht werden. Zum einen lassen sich natürlich Daten selbst handeln. Hier besteht für Unternehmen allerdings oft die Unsicherheit, wie viele Informationen, die dem Markt oder den Wettbewerbern nicht zugänglich gemacht werden sollen, aus den Daten extrahierbar sind.
Zudem ist unklar, wie der monetäre Wert von Daten festzulegen ist. Weil Daten kontextgebunden sind, gibt es, im Unterschied zu anderen Commodities, keinen Spotmarkt für sie. Datenintermediäre, wie sie im europäischen Data Governance Act definiert sind, können bei diesen beiden Aspekten helfen, indem sie eine vertrauenswürdige Handelsplattform etablieren. Allerdings ist die Finanzierung dieser Intermediäre auch sicherzustellen. Es steht zu hoffen, dass in den bereits genannten Vernetzungsprojekten Beispiele für einen funktionierenden Datenhandel entstehen.
Gibt es rechtliche Hindernisse, die einer Monetarisierung der Daten entgegenstehen?
Ja, rechtliche Unsicherheiten dürfen an dieser Stelle nicht verschwiegen werden. Solange die Auslegung der Datenschutzgrundverordnung nicht einheitliche verlässliche Grundsätze definiert, wann Daten einen Personenbezug haben – manche Datenschützer sehen diesen auch schon bei Sensordaten aus Maschinen – und wann eine Anonymisierung als rechtssicher anerkannt wird, ist ein Datenhandel auch rechtlich risikobehaftet. Zudem bleibt abzuwarten, welche Folgen der sich zurzeit in Vorbereitung befindliche Data Act der EU mit seinen weitreichenden Datenbereitstellungs-Verpflichtungen für die Datenmonetarisierung bringen wird.
Inwieweit haben sich die vielbeschworenen neuen Geschäftsmodelle auf Datenbasis bisher verbreitet?
Vielversprechend und teilweise auch schon in der Praxis zu finden ist der Ansatz, auf der Basis von Daten neue Angebote bis hin zu einem neuen Geschäftsmodell zu schaffen. Wenn ein Unternehmen jederzeit den Zustand seiner Produkte kennt, die bei Kunden im Einsatz sind, werden neue Servicegarantien möglich. Servicetechniker können idealerweise schon vor Ort sein, bevor eine Maschine ausfällt, und haben dann alle benötigten Ersatzteile dabei. Es werden aber auch neue Vertriebsmodelle möglich, bei denen Geräte nicht mehr verkauft werden, sondern den Kunden zur Nutzung bereitgestellt und nach tatsächlicher Nutzungshäufigkeit oder auch nach Auslastung oder Lastprofile abgerechnet (Pay per Use, Pay per X).
Diese Option für neue Geschäftsmodelle wird allerdings bei vielen Unternehmen noch nicht genutzt. Schließlich kann ein Produkt auch während der Nutzung (gegen Zahlung) neue Funktionen bekommen, die sich für den jeweiligen Kunden auf Basis seiner Nutzung des Produkts anbieten. Warum sollte das Beispiel Tesla nicht auf andere Branchen übertragbar sein?