Energiewende im Mittelpunkt der Hannover Messe

»Es fehlt der Masterplan!«

7. Mai 2012, 10:52 Uhr | Heinz Arnold
Prof. Jochen Kreusel, VDE: »In Deutschland treiben die Naturgesetze die Entwicklung, China aber auch andere europäischen Länder versuchen, die geeigneten Rahmenbedingungen vorab zu setzen.«
© VDE

Wie die Energiewende in Deutschland zum Erfolg geführt werden kann, war eine der großen Fragen auf der Hannover Messe. Endgültig beantwortet ist sie noch nicht, dennoch zeigt sich die Industrie höchst optimistisch, von dem Umbau profitieren und dem Standort Deutschland neue Impulse geben zu können.

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»Die Kompetenz in Deutschland ist vorhanden, um ein Smart Grid aufzubauen, sie ist sogar größer als in anderen Ländern. Das Smart Grid eröffnet wichtige Standort-Chancen für Deutschland und die deutsche Elektroindustrie«, sagt Dr. Joachim Schneider, stellvertretende VDE-Präsident und Mitglied des Vorstandes von RWE Deutschland.

Ähnlich sieht dies Ralf Christian, Vorsitzender des Fachverbandes Energietechnik und Mitglied des ZVEI-Vorstandes: »Es gehen viele Impulse von der Energiewende aus sie kann sich als großer Wettbewerbsvorteil für uns erweisen. Sie ist eine große Chance für die Elektrotechnik, wir sind optimistisch.«

Allerdings fehlt noch etwas: der Masterplan. Bisher gibt es in Deutschland - etwa über die E-Energy-Projekte gute Ansätze und die Beteiligten habend daraus viel gelernt. Nun kommt es aber darauf an, die Erkenntnisse umzusetzen. Bisher wurden eher unsystematisch hier und da Versuche unternommen. Die Rahmenbedingungen wurden nur angepasst, wenn es dringend erforderlich war. Prof. Jochen Kreusel, VDE-Präsidiumsmitglied und Vorsitzender der Energietechnischen Gesellschaft im VDE sowie Leiter Smart Grids von ABB, formuliert es so: »In Deutschland treiben die Naturgesetze die Entwicklung, China aber auch andere europäischen Länder versuchen, die geeigneten Rahmenbedingungen vorab zu setzen.«

Einen Blick über den Tellerrand zu werfen und zu schauen, was in anderen Ländern vor sich geht, wäre also durchaus lohnend. In den USA passiert derzeit viel. Zwar geht es in den USA in erster Linie nicht darum, Erneuerbare Energien zu integrieren, sondern das marode Netz überhaupt am Laufen zu halten. Doch die Maßnahmen, die dazu erforderlich sind, sehen ganz ähnlich aus, wie die, die in Europa für die Integration von Wind- und PV-Energie nötig sind. »Die Versorger in den USA versuchen jetzt mit neuen Konzepten über die Runden zu kommen, beispielsweise über Netzführung, Lastmanagement und virtuelle Kraftwerke. Wir müssen uns das genau ansehen, vielleicht können wir einige Ansätze auf Europa übertragen. Diese Systeme sind in den USA schon aus der Pilotphase heraus und arbeiten in der Praxis. Das sollte für Europa doch sehr interessant sein«, so Kreusel.

Auch Detlef Schumann von IBM hat in seinem Vortrag »Wer macht das Smart Grid-Rennen?« im Rahmen des Smart Grid Forums auf der Hannover Messe darauf hingewiesen, dass andere Länder schon durchaus weiter sind als Deutschland: »Japan, Dänemark und Australien haben einen Vorsprung von teilweise acht Jahren, das ist signifikant.«

Wer das Smart-Grid-Rennen macht, ist also noch nicht entschieden. Und ob die Energiewende in Deutschland gelingt und der Industrie hierzulande wirklich hilft, ist offen.

Was wäre also zu tun? »Der Ausbau der Netze und die IT-Sicherheit müssen höchste Priorität haben, eine konzertierte Smart-Grid-Initiative wäre wünschenswert«, erklärt Schneider. »Schnelligkeit ist dabei entscheidend, sie muss Vorrang vor konzeptioneller Enge haben.«

»Die Weichen müssen jetzt gestellt werden, nur dann kann das Smart Grid zu einer deutschen Erfolgsgeschichte werden, nur dann kann Deutschland weltweit die Smart-Grid-Pilotrolle übernehmen«, sagt Prof. Kreusel.

Wer meine, dass aus Erneuerbaren Energien auf der einen Seite und Smart Metering auf der anderen Seite schon irgendwie ein Smart Grid entstehe, dürfte sich täuschen. »Netzprobleme löst man im Netz und nicht an dessen Rand mit Zählern«, so Kreusel.

Was die Experten aber am meisten stört: Die Systemauswirkungen der einzelnen Komponenten und Funktionen, die aus dem vorhandenen Netz ein Smart Grid machen sollen, sind noch viel zu wenig beachtet worden, es mangelt an vielen Stellen an den entsprechenden Regulierungen. Ob es um Tarife geht oder die entscheidende Frage, ob die Netzbetreiber oder der Markt das System steuern soll, ob es darum geht, wer künftig welche Aufgaben übernimmt, wie die Anreizsysteme aussehen sollen - all das ist bisher ungeklärt. »Bürokratische Hemmnisse müssen abgebaut werden, Anreizsysteme und Planungssicherheit müssen  geschaffen werden, das muss über die nächsten drei Jahre geschehen«, meint Ralf Christian vom ZVEI. Dr. Martin Schumacher, Stellvertretender Vorsitzender des Fachverbandes Energietechnik des ZVEI, mahnt die Anreize für die Netzbetreiber an, darüber müssten die Impulse kommen: »Derzeit halten wir aber den Status Quo statt in die neue Energiewelt aufzubrechen.« Rechtliche Unklarheiten, Haftungsrisiken und häufige Änderungen der Förderpolitik seien Gift für Investitionen. »2012 ist das Jahr der Entscheidungen über Wohl und Wehe der Energiewende«, so sein Fazit.


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