Um eine gute User Experience und Usability zu erreichen, bedarf es eines strukturierten Prozesses. Deshalb sind die Usability-Experten schon bei der Initialisierung und Planung des Gesamtprojekts involviert. Sie entscheiden anhand von Projektzielen sowie dem zur Verfügung stehenden Zeit- und Kostenbudget mit darüber, welche Methoden zum Einsatz kommen und wie der Zeitplan gestaltet wird.
Hier empfiehlt sich ein Vorgehensmodell, das von Anfang an die Bereiche UX- und Software-Technologie mit einbezieht. Im Rahmen dieser Check-Phase werden in strukturierten Workshops verschiedene Aspekte des Systems beleuchtet – von Anforderungen über bestehende Software-Architekturen bis hin zu den Anwendern und deren Aufgaben.
Nach den Workshops schließt sich eine Analysephase an, in der neben technischen Anforderungen die Frage der Nutzer geklärt wird: Wo und wie arbeiten sie, was sind die konkreten Aufgaben und Ziele ihrer Tätigkeit, welche Skills sind vorhanden, aber auch Sprache, kulturelle Voraussetzungen oder bestehende Probleme sind Aspekte dieser Analyse. Was in klassischen Anforderungskatalogen nur schwer abzubilden ist, sind die alltäglichen Workflows der Anwender – gerade sie müssen genau analysiert werden, um eine intuitive Bedienbarkeit sicherzustellen.
Ebenso werden die Wünsche der Stakeholder abgefragt, die zum Teil über die eigentliche Anwendung hinausreichen – etwa, sich ein bestimmtes Image im Kundenkreis zu verschaffen. Unter Umständen ist der Kreis der Stakeholder sehr groß, sodass zwischen widerstrebenden Interessen vermittelt werden muss, um ein gemeinsames Ziel zu entwickeln.
Umsetzungsphase
Danach beginnt die Erstellung der Gestaltlösung, zunächst mit Wireframes und Low-Fidelity-Prototypen, um schon in einer frühen Phase erste Anwendertests beispielswese mit Klick-Dummys durchführen zu können.
Parallel startet ein Software-Team mit grundlegenden Vorbereitungen, die noch unabhängig sind von der Bedienoberfläche. Industrielle Anlagen werden im Gegensatz zu privaten Geräten über viele Jahre betrieben; deshalb kommt der Auswahl der Technologien und Frameworks eine entscheidende Bedeutung zu, damit die Lösung über viele Jahre wartbar und erweiterbar bleibt. Gerade bei beschränkten Hardware-Ressourcen können Performance-Probleme bei der Bedienung sonst zu schlechter UX führen. Dies ist bei der Erstellung der Software-Architektur von Beginn an zu berücksichtigen.
Im Verlauf des iterativen Entwicklungsprozesses werden zunächst die großen Linien festgelegt, dann immer mehr Details und Spezialfälle hinzugefügt, bis das Gesamtkonzept mit allen festgelegten Anforderungen steht, das von den Software-Entwicklern zügig umgesetzt werden kann.
Bleibt es den Programmierern überlassen, ein Bedienkonzept zu entwickeln, verlängert sich nicht nur die Projektzeit – im schlimmsten Fall geht die finale Lösung an den Anforderungen der Nutzer vorbei. Ein Beispiel: Die Software-Entwickler nahmen im Rahmen eines Projekts an einer Anwenderschulung teil. Sie sollten eine neue Bedienoberfläche für ein Messgerät erstellen und machten sich zunächst mit der bisherigen Software vertraut. Dabei zeigte sich das Problem: Die Programmierer kamen zwar mit der bisherigen Benutzeroberfläche sehr gut klar. Die eigentlichen Anwender, ausgebildete Elektriker, konnten die Geräte dagegen nicht fehlerfrei bedienen.
Best Practices kultiviert
Bei der Entwicklung individueller Lösungen und innovativer Konzepte können Software-Entwickler, UX- und UI-Designer meist auf langjährige Erfahrungen zurückgreifen. Die breite Branchenkompetenz ermöglicht es, Best Practices, innovative Ideen und Konzepte in andere Industriezweige zu übertragen und dort neuartige Ansätze zu finden.
Wenn das Ergebnis steht und alle Kundenwünsche erfüllt sind, dann vergisst der ein oder andere Auftraggeber doch wieder, in wie vielen Schritten dieses Ziel erreicht worden ist und ob »Form follows Function« nicht vielleicht doch ein Naturgesetz ist.
Michaela Wilhelm ist Head of Usability & Design und Digital Solutions bei in-tech.