Mit integrierter Pneumatik-Steuerung

Kompakter Dreh-Hub-Aktor für die Sensormontage

16. August 2023, 17:59 Uhr | Kay Winterfeld
Die Elektronikfertigung erfordert präzise, kompakte, robuste und fortschrittliche Lösungen.
© Steinmeyer Mechatronik

Der mechatronische Dreh-Hub-Aktor des Dresdner Positionierspezialisten Steinmeyer Mechatronik zeichnet sich durch Performance, Anwenderfreundlichkeit und Kompaktheit aus. Eine Geschichte über integrierte Elektronik, kompromissloses Innovationsdenken und die Kraft des Scheiterns.

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Mechatronik ist die Verschmelzung von Mechanik, Elektronik und Informatik und gilt als Schlüsseltechnologie für die Entwicklung zukunftsweisender Innovationen. Soweit die Theorie. Doch wie sieht die Praxis aus? »Den meisten gelingt es nicht, die historische, organisatorische und gedankliche Trennung von Mechanik und Elektronik zu überwinden. Zwar werden Buzzwords wie Mechatronik, Smart Devices, Internet of Things, Industrie 4.0 und Agilität gerne in den Mund genommen, doch in der Realität herrschen oft noch die alten Paradigmen vor«, sagt Elger Matthes, Leiter Entwicklung und Produktmanagement bei Steinmeyer Mechatronik, und ergänzt: »Bei Mechatronik geht es um Integration, nicht um Kombination. Erst wenn alle Komponenten miteinander verschmelzen und in einem Gehäuse untergebracht sind, kann von einer mechatronischen Lösung gesprochen werden.« Gerade bei Bewegungssystemen scheint diese Hürde vielen jedoch zu hoch zu sein. Selbst Unternehmen, die sich Mechatronik auf die Fahnen schreiben, können dies oft nicht umsetzen. Das Resultat: Die Produkte sind nicht wirklich innovativ, zu komplex, zu groß, zu schwer, zu teuer, mäßig zuverlässig und kompliziert zu bedienen.

Der Dresdner Positioniersystem-Hersteller Steinmeyer Mechatronik entwickelt mechatronische Konzepte, zuletzt einen Dreh-Hub-Aktor mit integrierter Pneumatik-Steuerung. »Der Dreh-Hub-Aktor ist eine echte Innovation, die Maßstäbe hinsichtlich Performance, Anwenderfreundlichkeit und Kompaktheit setzt«, erläutert Elger Matthes. Erreicht wurde dies durch eine dezentrale Steuerungslösung mit integrierter Elektronik, Einfachheit von Konstruktion und Bedienung sowie smarte Plug-and-Play-Technologie.

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Die Applikationsanforderungen hatten es in sich

Der neue Dreh-Hub-Aktor von Steinmeyer Mechatronik mit integrierter Pneumatik-Steuerung zeichnet sich durch Performance, Anwenderfreundlichkeit und Kompaktheit aus.
Der neue Dreh-Hub-Aktor von Steinmeyer Mechatronik mit integrierter Pneumatik-Steuerung zeichnet sich durch Performance, Anwenderfreundlichkeit und Kompaktheit aus.
© Steinmeyer Mechatronik

Doch von vorne: Für die Montage von Radarsensoren in Fahrerassistenzsystemen von Automobilen benötigte ein Kunde eine Lösung für folgenden Prozess: Entnahme des Sensors aus der automatischen Magazinzuführung, Erfassung in der Lage und gegebenenfalls Korrektur, Aufsetzen auf die Sensorbaugruppe mit kontrollierter Andruckkraft und Fügen. Die Anforderungen hatten es in sich: weniger als eine Sekunde Zeit für die Ausführung der Bewegung, 24/7-Betrieb, mindestens ein Jahr Lebensdauer, Inspektion maximal jedes halbe Jahr. Außerdem wünschte der Kunde eine aufwandsarme Einbindung in seine vorhandene Automatisierungsumgebung mit EtherCAT sowie das Aufrufen vordefinierter Standardabläufe und Funktionen. »Schnell war klar, dass eine klassische Lösung mit käuflichen Komponenten weder in den Bauraum noch in das geplante Budget passen würde – immerhin reden wir von 31 Millionen Positionierungen im Jahr. Auch stellten die hohe Dynamik sowie die als nicht realisierbar empfundene Lebenserwartung eine große Herausforderung dar«, blickt Elger Matthes zurück.

Von der Entwicklung über die Fertigung und Montage bis hin zur Testabteilung arbeiten bei Steinmeyer Mechatronik alle Abteilungen am Standort Dresden unter einem Dach eng zusammen. So lassen sich Synergien optimal nutzen und spezifische Kundenanforderungen schnell und unkompliziert realisieren.

Einfachheit ist Schwerstarbeit

Der Dreh-Hub-Aktor erlaubt eine feinfühlige und sehr schnelle kombinierte Dreh- und Linearbewegung.
Der Dreh-Hub-Aktor erlaubt eine feinfühlige und sehr schnelle kombinierte Dreh- und Linearbewegung. Ein Anwendungsbeispiel ist die Montage von Radarsensoren in Fahrerassistenzsystemen von Automobilen.
© Steinmeyer Mechatronik

Auch beim Dreh-Hub-Aktor zogen alle an einem Strang und entwickelten ein Lösungskonzept, das auf größtmögliche Einfachheit abzielt. Die Idee war, wesentlich mehr Aufwand in die Integration von Funktionen sowie die Abschaffung von Überflüssigem zu investieren und die damit verbundenen höheren Entwicklungskosten in Kauf zu nehmen. Durch die optimale Anpassung an die Kundenanforderungen würden sich diese Mühen schnell über das Mehr an Robustheit sowie verringerte Fertigungskosten, komfortable Installation und leichte Wartung in der Serie in Gewinnfaktoren umkehren.

Für das Einschwenken der Radarsensoren vom Magazin auf den Sensorträger fiel die Wahl auf einen marktüblichen Drehtisch aus dem Katalog – so weit so unspektakulär. Der Clou steckt im neu zu entwickelnden Dreh-Hub-Aktor für die Entnahme aus dem Magazin, die Korrektur der Lage durch Drehung der Achse senkrecht zur Montagefläche entsprechend den Korrekturdaten von einer Kamera sowie das Absetzen auf dem Träger vor dem Laserlöten. Auch die Steuerung der Druckluft zum Betätigen des Greifers sollte übernommen sowie die Kraft beim Aufsetzen geregelt werden.

Höhen und Tiefen: Nicht alles hat auf Anhieb geklappt

Entnahme des Sensors aus der automatischen Magazinzuführung
Entnahme des Sensors aus der automatischen Magazinzuführung
© Steinmeyer Mechatronik

Der ursprüngliche Ansatz war sehr ambitioniert und umfasste unter anderem mehrere Innovationen zur Kombination von Drehung und Linearbewegung wie eine Luftlagerung, einen vollintegrierten Direktantrieb und ein 2D-Feedbacksystem. Nicht alles konnte in der Kürze der Zeit und im vorgegebenen Budgetrahmen wie geplant umgesetzt werden. »Das Antriebskonzept überraschte mit Nichtlinearitäten, ebenso das Messsystem, und die Götter der elektromagnetischen Verträglichkeit waren auch nicht spontan auf unserer Seite – trotz rauchender Lötkolben und etlicher Stoßgebete zu nächtlicher Stunde«, erinnert sich Elger Matthes. »Da half nur testen und systematisch nachbessern.« So musste das Elektronikboard in Teilen neu geroutet werden, um eine robuste Kommunikation unter allen Bedingungen der Industrienorm zu gewährleisten. Auch für die Mechanik war ein zweiter Anlauf notwendig. Dabei wurde beharrlich gefragt: Geht das auch einfacher? »Wenn man sich diese Frage immer wieder stellt und konsequent nachbessert, kommt man am Ende zu einem robusteren, besseren, schnelleren und preisgünstigeren System«, betont Elger Matthes. Nichtsdestotrotz mussten ein paar Abstriche gemacht werden. So wurde das Antriebskonzept zu einem etwas weniger Innovativem vereinfacht und besteht nun – neben dem erfolgreich realisierten und patentierten Feedbacksystem – aus einem selbstentwickelten Linearmotor mit einem käuflichen Rotationsantrieb sowie kostengünstig verfügbaren Dreh- und Linearlagerelementen.

Ungeachtet dessen ist der neue Dreh-Hub-Aktor ein geeignetes Beispiel für aktuelle Mechatronik. Dank der integrierten Elektronik ist die Plug-and-Play-Lösung kompakt, leistungsstark und servicefreundlich. Das Feldbus-Interface macht sie für jede Automatisierungsumgebung einsetzbar, und Features für Predictive-Maintenance-Strategien sorgen für eine prozesssichere, zukunftssichere Produktion.

Integrierte Elektronik macht den Unterschied

Erfassung in der Lage und gegebenenfalls Korrektur
Erfassung in der Lage und gegebenenfalls Korrektur
© Steinmeyer Mechatronik

Die gesamte Embedded-Control-Elektronik ist auf einer einzigen Leiterplatte untergebracht – zwei 19-Zoll-Racks landeten so auf der Fläche einer halben Postkarte. Schaltungsdesign und Platinenlayout der Leiterplatten hat der Positionierspezialist inhouse erstellt. »Nur mit Eigenentwicklungen lassen sich wirklich kompakte Lösungen realisieren. Auch sind die Kundenanforderungen – speziell was das Kommunikationsprotokoll angeht – häufig so detailliert, dass man sie mit einer käuflichen Komponente gar nicht abdecken kann«, macht Elger Matthes deutlich. Als Mikrocontroller nutzt Steinmeyer Mechatronik einen Baustein von STMicroelectronics, der alle geforderten Kommunikationsschnittstellen mitbringt. Beim Motion Controller kommen zwei TMC4671 von Trinamic zum Einsatz. Ausschlaggebend waren die guten Regeleigenschaften sowie die Möglichkeit der Nutzung verschiedener Motortypen (Schrittmotoren und bürstenlose DC-Motoren).

Hochkomplexe Technik intuitiv bedienen

Aufsetzen auf die Sensorbaugruppe mit kontrollierter Andruckkraft
Aufsetzen auf die Sensorbaugruppe mit kontrollierter Andruckkraft
© Steinmeyer Mechatronik

Ein eigens entworfenes Application Programming Interface (API) stellt eine einfache Ansteuerung und Integration sicher. Dank Vorkonfigurierung benötigt der Kunde zum Aufrufen der unterschiedlichen Funktionen nur wenige Befehle. Der Gerätestatus lässt sich periodisch (Streaming) oder auf Anfrage (Polling) an den Steuerrechner zurückmelden, auch können die Positionsdaten aller Einheiten gleichzeitig mit bis zu 2 kHz kontinuierlich neben den sonst notwendigen Informationen über den Bus übermittelt werden. Mehr als 100 Aktoren lassen sich an einem Bussystem betreiben. Die Verkabelung ist dabei auf die Busleitung und eine durchgeschleifte Stromversorgung beschränkt.

Fehler vermessen und elektronisch korrigieren

Klassische Trennung zwischen Mechatronik und Elektronik (linkes Bild) versus integrierte Elektronik (rechtes Bild)
Klassische Trennung zwischen Mechatronik und Elektronik (linkes Bild) versus integrierte Elektronik (rechtes Bild)
© Steinmeyer Mechatronik

Die Verbindung von Elektronik und Mechanik in einer Einheit eröffnet neue Möglichkeiten. Hier zeigt sich vor allem ein Vorteil einer Lösung mit integrierter Elektronik: Fehler und Nichtlinearitäten werden nach der Montage in-situ vom System selbst durch Vergleich mit einem externen Normal vermessen. So sind alle gelieferten Systeme in den Genauigkeitsparametern nach außen identisch gut. Die Fehlerinformation ist intern gespeichert und wird vom Motion Controller beim Ansteuern mit beachtet. Die Linearisierung des Messsystems mittels der internen Elektronik wirkt sich positiv auf die Wirtschaftlichkeit aus und erleichtert im Servicefall den Austausch. Dank der dadurch geschaffenen Plug-and-Play-Fähigkeit ist ein schneller, unkomplizierter Wechsel des Dreh-Hub-Aktors sichergestellt.

Prozessüberwachung für eine optimierte Wartung

Zum Leistungsspektrum von Steinmeyer Mechatronik gehört auch ein hausinterner Prototypenbau.
Steinmeyer Mechatronik unterstützt seine Kunden von der Idee bis zur Serienfertigung. Zum umfassenden Leistungsspektrum gehört auch ein hausinterner Prototypenbau.
© Steinmeyer Mechatronik

Die Integration der Steuerung in die Positioniereinheit ermöglicht zudem moderne Konzepte zur Zustandsüberwachung. So lassen sich durch das Überwachen bestimmter Parameter – wie maximale Geschwindigkeit beim Initialisieren (Selbstdiagnose) oder Schleppfehler im Betrieb – Fehler oder Verschleiß früh erkennen und so durch rechtzeitiges Eingreifen Maschinenstillstandzeiten vermeiden. Hilfreich sind außerdem Funktionen wie ein Betriebsstundenzähler und ein nicht verlöschender Fehlerspeicher. Durch die Anbindung via EtherCAT oder CAN lassen sich Updates mit Verbesserungen in der Programmierung oder Parametrierung weltweit problemlos einspielen – günstig für Fernwartung und Ferndiagnose.

Die nicht umgesetzten Ideen – wie der vollintegrierte Motor und die hochinnovative Luftlagerung zur Kombination von Drehung und Linearbewegung – sind für zukünftige Produktgenerationen nicht verloren. Mit den entsprechenden Ressourcen lässt sich ein noch kompakterer und dynamischerer Dreh-Hub-Aktor mit dann praktisch unbegrenzter Lebensdauer entwickeln.

 

Der Autor:

Kay Winterfeld ist Leiter Elektronikentwicklung bei Steinmeyer Mechatronik.


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