Erneuerbare Energien, E-Mobility, Smart Grid – all diese Schlagworte jagen durch die Medien, seitdem die Politik die Energiewende ausgerufen hat. Eines steht fest: Das Elektrizitätsnetz muss im Zuge der Energiewende umgebaut werden. Hochtemperatur-Supraleiter (HTS) können dabei eine wichtige Rolle spielen.
»Ohne Supraleiter keine Energiewende?«, fragte Dr. Werner Prusseit, Vorsitzender des Vorstandes des Industrieverbands ivSupra, auf dem Fachkongress ZIEHL III in Bonn. Seine Antwort: »Wenn wir Energie intelligent erzeugen, verteilen und nutzen wollen, dann kommen wir um die Supraleitung nicht herum. Sie wird einen wichtigen Beitrag dazu leisten, Smart Grids aufzubauen.«
1.000 A/mm² sind bereits möglich
Optimistisch stimmt ihn vor allem, dass die Hersteller der Supraleiter und der auf den Supraleitern basierenden Geräte schnell Fortschritte erzielen. Die Technik hat sich fortentwickelt, jetzt setzen die Hersteller auf Bandleiter der zweiten Generation, die gegenüber der ersten Generation (Pulver im Silberrohr) deutliche Kostenvorteile versprechen. Heute erreichen HT-Supraleiterdrähte Stromdichten von 1000 A/mm². Auf der vergangenen ZIEHL-II-Konferenz 2010 hatte die Stromdichte noch um den Faktor 4 bis 5 darunter gelegen. Außerdem hat sich das Verhalten der HT-Supraleiter in äußeren Magnetfeldern deutlich verbessert, so dass sie sich heute gut für den Einsatz in rotierenden Maschinen eignen.
HTS-Strombegrenzer übernehmen die Führung
Wahrscheinlich werden es die Strombegrenzer auf Basis von HTS sein, die den kommerziellen Durchbruch als erste schaffen und die Nachfrage für den Bedarf der Supraleiter anheizen. Sie finden nicht nur in Mittelspannungsnetzen Einsatz, sondern demnächst auch in Hochspannungsnetzen. Und sie werden ein entscheidendes Element bilden, um Smart Grids effizient aufbauen zu können.
Laut Prof. Mathias Noe, Direktor des Instituts für technische Physik am Karlsruhe Institute of Technology (KIT), könnten HTS-Strombegrenzer aus wirtschaftlicher Sicht im Mittelspannungsnetz einige 100.000 Euro pro Jahr einsparen, im Hochspannungsnetz sogar bis zu einigen Mio. Euro.
HTS-Kabel ermöglichen neue Netzstrukturen
Dasselbe gilt für die Energieübertragung auf Basis von Supraleitern. In Städten können HTS-Kabel die 110-kV-Leitungen ersetzen. Sie sparen wertvollen Platz in dicht bebauten Gebieten, machen Umspannwerke teilweise überflüssig und erlauben es, eine ganz neue Netzstruktur aufzubauen. Und ebenfalls sehr wichtig: Sie tragen dazu bei, das Netz zu stabilisieren und es intelligenter zu machen – so intelligent, dass es mit der Einspeisung fluktuierender Energien aus Wind und Sonne besser zurecht kommt und künftig auch Elektroautos laden und gleichzeitig als dezentralen Speicher nutzen kann. Das führt zur Lastumkehr, also dazu, dass die Energie in eine ursprünglich nicht vorgesehene Richtung fließt. Sicherlich müssen Smart Grids auch über eine umfangreiche Kommunikationsstruktur verfügen, aber ohne dass sich auf der Energieübertragungsebene einiges Neues tut, bringt auch die beste Kommunikationsinfrastruktur nicht viel.
Was derzeit im Bereich der Energieübertragung über HTS möglich ist, zeigt das Projekt AmpaCity: In Essen verlegen die Projektpartner ein 1 km langes dreiphasiges 10-kV-HTS-Kabel – das bisher längste der Welt – zwischen zwei Umspannwerken mitten in der City und ersetzen damit eine bestehende 110-kV-Leitung. Sehr interessant an diesem Projekt: Es kommen zusätzlich HTS-Strombegrenzer (Superconductive Fault Current Limiter, SFCL) zum Einsatz.
Fallen die Vorteile in der Übertragung von Wechselstrom über HTS-Kabel nur bei hoher Auslastung ins Gewicht, so verbessern HTS-Kabel für die Gleichstromübertragung die Effizienz auch schon bei geringer Auslastung. Sie könnten deshalb künftig in der Anbindung von Wind- und Photovoltaik-Kraftwerken eine Rolle spielen.