Wie sieht sie nun aus, die neue Welt der Energiegenossenschaften? Dazu lohnt sich ein Blick zurück in die jüngere Vergangenheit der Nordhessischen Gemeinde Wolfhagen. 2006 hatte sie dem Energieversorger E.On das örtliche Stromnetz abgekauft. 2008 beschloss die Stadtverordnetenversammlung, den Wolfhagener Strom bis 2015 zu 100 Prozent aus regenerativen Energien zu erzeugen. 2010 gewann die 12.500-Einwohner-Gemeinde beim Wettbewerb »Energieeffiziente Stadt« des Bundesministeriums für Bildung und Forschung mit ihrem Konzept, dessen Name bis heute Programm ist: »Wolfhagen 100% EE - Entwicklung einer nachhaltigen Energieversorgung für die Stadt Wolfhagen«.
Bis 2030 soll sich die gesamte Wolfhagener Energieversorgung aus Solar-, Wind- und Biomassekraftanlagen versorgen. Herzstück des Konzeptes ist ein »Bürgerwindpark« mit fünf Windkraftanlagen, an dem Stromkunden der Stadtwerke Wolfhagen Anteile erwerben können. 2011 beschloss die Stadtversammlung, die Bürgerbeteiligung am Windpark über eine Beteiligung der EnergieGenossenschaftWolfhagen (BEG) an der Stadtwerke Wolfhagen GmbH zu finanzieren.
Von Beginn an stand der Gedanke Pate, dass technische Maßnahmen nicht ausreichen, das Ziel der hundertprozentigen regenerativen Stromversorgung zu erreichen. Ein »ganzheitlicher Transformationsprozess« sei nötig, der auf »allen gesellschaftlichen Ebenen einen Prozess des Umdenkens in Gang« setzen müsse, kurz: Die Bürger müssen mit ins Boot. Natürlich wurden technische und organisatorische Optionen nicht vergessen, wie energetische Gebäudesanierung, vernetzte Energieversorgung, Elektromobilität und der Bürgerwindpark. Neben der Wolfhagener Stadtverwaltung lieferten viele Projektpartner fachlichen Input für das Konzept, so das Kasseler Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP, das Kasseler Zentrum für Umweltbewusstes Bauen e.V., das Kasseler deENet e.V., der Wolfhagener ENERGIE 2000 e.V. und die Kasseler EYEDEXE GmbH.
Wolfhagens Bürgermeister Reinhard Schaake, ein Parteiloser, skizzierte am Rande der offiziellen Auftaktveranstaltung der »Energie-Offensive-Wolfhagen« am 17. November 2012 seine Zukunftsvision: 2022 werde man weit über 100 Prozent des Stromes produzieren, aus erneuerbaren Energien, den Wolfhagen selbst verbraucht. »Wir werden also Strom exportieren, in die Region, über verschiedene Technologien, Wind, Sonne, Biomasse, da bin ich sehr zuversichtlich. Wir werden komplett die gesamte Straßenbeleuchtung umgestellt haben, auf LED-Technologie. Wir werden E-Fahrzeuge haben, die dann umweltbewusst durch die Landschaft fahren, und es wird beim Gestalten des Wandels auch darum gehen, nicht nur das Thema Energie zu betrachten.«
Im März 2013 beschlossen die Wolfhagener Stadtverordneten, die im Gemeindebesitz befindlichen Stadtwerke für die Beteiligung einer Genossenschaft zu öffnen, der »BürgerEnergieGenossenschaft Wolfhagen eG (BEG)«, die sich im selben Monat gründete. Die BEG ist mit 25 Prozent an den Stadtwerken Wolfhagen beteiligt. Um den Kapitalanteil der Stadt in voller Höhe zu erhalten, stockt der Beitrag der BEG das Stammkapital der Stadtwerke Wolfhagen von 1 Million € auf 1,33 Millionen € auf. Die Erhöhung des Stammkapitals der Stadtwerke Wolfhagen fließt in Energieeffizienz und erneuerbare Energien. Mittlerweile haben 626 BEG-Mitglieder 5145 Anteile gezeichnet und dadurch ein Geschäftsguthaben von 2.572.500,- € aufgebracht. Wilfried Steinbock, Vorsitzender der Gründungsgruppe der Energie-Genossenschaft, erklärt zur Rolle der BEG in den Stadtwerken: »Wir haben als Genossenschaft zwei Stimmen im Aufsichtsrat der Stadtwerke. Somit können wir bei der Preisgestaltung mitreden und haben Einfluss auf die Geschäftspolitik. Durch den vorgesehenen Energiebeirat planen und gestalten wir Energieeffizienz-Maßnahmen vor Ort direkt mit.«
Maximal 40 Anteile à 500 € kann jeder Bürger, der Mitgenosse werden will, an der BEG erwerben, die mit maximal 6 Prozent verzinst werden, sofern es die Ertragslage der Wolfhagener Stadtwerke zulässt. In der Genossenschaftsversammlung hat jedes Mitglied jedoch nur eine Stimme, egal ob es 500 € oder 20.000 € investiert hat. Mitglied in der BEG kann nur werden, wer auch Stromkunde der Stadtwerke Wolfhagen ist, gemäß dem Grundsatz, dass die BEG die Demokratisierung der Energieversorgung stärken und nicht Investitionsvehikel für renditesuchende Investoren aus ganz Deutschland sein soll. Mehr als 600 Stromkunden der Stadtwerke Wolfhagen haben sich bereits entschlossen, Mitgenosse in der BEG zu werden. Diese profitieren auch von den Projekten des »Fachbeirates Energieeffizienz« der BEG, wie dem verbilligten Bezug von LEDs und Thermografieaufnahmen zur energetischen Bestandsaufnahme von Wohnhäusern.
Das Wolfhagener Modell bietet in vielerlei Hinsicht Vorteile für den lokalen Energieversorger und seine örtlichen Stromkunden. Die Kundengewinnung und -bindung wird verbessert, der Absatzmarkt des Versorgers zusätzlich abgesichert. Die Loyalität und das Vertrauen der Stromkunden übersetzt sich monetär in eine verbesserte finanzielle Ausstattung der Stadtwerke, die über die Dividende für BEG-Genossen wiederum an die Stromkunden zurückfließt. Der gewonnene finanzielle Spielraum wird in örtlichen, dezentralen und regenerativen Energieprojekten genutzt, die die regionale Wertschöpfung steigern und die Identifikation der Bürger mit ihrer Region verbessern.
Diese Synergien bleiben auch bundesweit nicht unbemerkt und bescherten den Stadtwerken Wolfhagen auf dem Stadtwerke-Kongress 2013 in Berlin den zweiten Platz beim Wettbewerb »Die Umsetzung der Energiewende vor Ort«. Also Ende gut - alles gut? Endlich ein Bürgerbeteiligungsmodell, das die Widersprüche der Energiewende entschärft und die Konfliktpotentiale zwischen Stromversorgern und -kunden beseitigt? Es scheint sie zu verlagern, aber nicht zu beseitigen. Manche Bürger finden eine Windkraftanlage in der Nachbarschaft nicht besser, nur weil sie jetzt »den Bürgern« statt »dem Konzern« gehört.
Kürzlich sei die Petition »Windkraft Ja, aber« mit 15.000 Unterschriften Vertretern der hessischen Landesregierung überreicht worden, informiert die Bürgerinitiative »Keine Windkraft in unseren Wäldern« aus Wolfhagen. Sie möchte den BEG-Bürgerwindpark mit seinen vier Windkraftanlagen des Typs Enercon E-101 (Nabenhöhe 135 m) und einer Leistung von 12 MW am geplanten Standort verhindern, denn die »sich bereits auf Ebene der Flächennutzungsplanung abzeichnenden Verstöße gegen das Bundesnaturschutzgesetz, insbesondere § 44 BNatSchG, schließen aus unserer Sicht eine Nutzung des Rödeser Berges als Windparkstandort aus.«