Wider das Wachstumsdogma

Wie Corona die Richtung ändern könnte

30. April 2020, 14:00 Uhr | Jan Petermann und David Hutzler, dpa
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Schneller, höher, weiter - nach diesem oft nicht hinterfragten Modus läuft die Wirtschaft. Die Corona-Pause ist schmerzhaft. Sie könnte aber auch erstmals seit langem den Raum für neue Ansätze öffnen. Realistische Alternative oder verantwortungslose Krisenromantik?

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Lockdown, Börsenschock, Hunderttausende in Kurzarbeit, Millionen in Existenznot: Die Viruskrise bringt nicht nur medizinisch, sondern auch wirtschaftlich und sozial enorme Probleme. Von positiven Effekten zu sprechen, mag da vermessen erscheinen. Doch manch einer sieht die Chance, gerade jetzt die Gelegenheit für ein Umsteuern zu ergreifen. »Wir werden durch einen äußeren Schock in einen Zustand gebracht, der so nie gekommen wäre«, sagt etwa Henning Vöpel, Chef des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts. Nach dem Motto: Wenn (fast) nichts mehr geht, lässt sich Neues denken und erproben. Vorstellungen von Ökonomie und Alltag könnten sich ändern.

1. Immer weiter wachsen - auf wessen Kosten?

Die Weltwirtschaft auf Sparflamme, erzwungen durch ein kleines, aber gefährliches Virus: Das schärft den Blick auf Mechanismen, die wir sonst kaum mehr infrage stellen. Müssen Umsätze und Gewinne von Firmen, müssen Leistungen von Volkswirtschaften unbedingt ständig zunehmen? Nein, meinen Kritiker wie etwa der Ökonom Niko Paech von der Uni Siegen. Sein Gegenmodell einer »Post-Wachstumsökonomie« mutet derzeit noch radikal an: Rückbau globaler Lieferketten, Schrumpfung der Industrie - stattdessen regionale Wertschöpfung, Sharing-Modelle und mehr Selbstversorgung.

»Auffällig sind nicht nur die ökologischen und sozialen Verwerfungen einzelner Industrien, sondern deren Kartenhaus-Charakter, das heißt die ökonomischen Risiken globaler Verflechtungen«, erklärt Paech. Gerate die internationale Autobranche ins Stocken, habe das negative Auswirkungen auf die Nachfrage auf anderen Märkten. Zudem würden nach seiner Einschätzung viele Menschen »nicht mehr zurück wollen in das Hamsterrad, das in der Prä-Corona-Phase für normal gehalten wurde«.

Doch so sinnvoll mehr Genügsamkeit teils erscheinen mag: Verzicht auf wirtschaftliche Stärke ist nicht immer die Lösung. »Ohne Wachstum ist es auch schwierig, Schrumpfen kann nicht das Ziel sein«, sagt der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher. »Dann haben wir Arbeitsplatz- und Wohlstandsverluste.« Sein Kollege Sebastian Dullien vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung meint: »Es ist wenig überzeugend zu sagen, die Krise zeige uns, dass wir einfach kein Wachstum mehr brauchen.«

2. Umwelt, Ressourcen, Klima

Befürworter eines sozial-ökologischen Wandels betonen, die Pandemie ermahne uns, die Umweltfolgen unseres Wirtschaftens zu drosseln. Der Eingriff in die natürlichen Reservoirs mancher Viren und Ökosysteme kann das Überspringen von Erregern aus dem Tierreich begünstigen. So geraten auch die Konsequenzen einer extensiven Landwirtschaft und globaler Handelsströme in den Fokus. Die Politökonomin Maja Göpel etwa entwirft Szenarien, wie man aus übermäßiger Ressourcennutzung aussteigen und Kreislaufsysteme aufbauen könnte, die ohne einen zu hohen Naturverbrauch auskommen.

Experten befassen sich mit der Zurechnung der gesellschaftlichen Kosten »negativer externer Effekte« an die Verursacher. Mit mahnenden Worten stehen Forscher und Klimaaktivisten nicht allein da. Bundestagspräsident und Ex-Finanzminister Wolfgang Schäuble sagte dem »Tagesspiegel«: »Noch immer ist nicht nur die Pandemie das größte Problem, sondern der Klimawandel, der Verlust an Artenvielfalt - all die Schäden, die wir Menschen und vor allem wir Europäer durch Übermaß der Natur antun.« Jedoch befürchtet die Klimabewegung auch, dass die Beschäftigung mit Corona das langfristig größere Problem von CO2-Emissionen und Erderwärmung wieder in den Hintergrund drängt.


  1. Wie Corona die Richtung ändern könnte
  2. .Markt, Staat und Gesellschaft
  3. Zufriedenheit, Profitstreben, Gewinner und Verlierer

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