Bionische Elektroden

Lernen von Heuschrecken

16. Januar 2018, 8:00 Uhr | Isabelle Herold, ETH Zürich
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Vom Reinraum ins Schwimmbecken

Die Prototypen stellten die Entwickler in einem eigens entwickelten Fabrikationsverfahren im Reinraum her. Sie bestrichen eine Unterlage mit zwei verschiedenen Lacken und deckten sie mit einer präzis perforierten Maske zu. Dann bestrahlten sie das Ganze mit Licht, was den oberen, lichtempfindlichen Lack genau unter den perforierten Stellen lösbar machte.

Anschließend tauchten sie alles in eine Chemikalienlösung. Diese griff zuerst die lösbaren Stellen des oberen Lacks an und arbeitete sich dann weiter zum zweiten Lack. Dort stoppten die Forscher den Abbau zum exakt richtigen Zeitpunkt, so dass die gewünschte Gussform mit lauter umgekehrten Pilzköpfchen entstand. Im Abguss resultierte dann die speziell strukturierte, haftende Elektrodenoberfläche.

Um zu prüfen, ob die Elektroden auch bei starker Beanspruchung funktionieren, wurden sie an einer Schwimmerin getestet. Aufgrund des Wasserwiderstands und der kräftigen Bewegungen gilt Schwimmen als besonders schwierige Disziplin für die Leistungsüberwachung mittels Elektroden. Die Resultate überzeugten: Die Qualität der Signale, die die neuen Elektroden aufzeichneten, war deutlich besser als diejenige der Gel-Elektroden, die die Schwimmerin ebenfalls trug. Inzwischen hat bereits die Seerettung Zürich Interesse an den neuen Elektroden gezeigt und setzt sie im Rahmen einer laufenden Studie ein.

Nebst einer Elektrode für die Aufzeichnung von Herzstromkurven, den Elektrokardiogrammen (EKG), entwickelten die Forscher auch eine Elektrode für die Messung von Hirnströmen, die Elektroenzephalografie (EEG). Die Materialmischung ist für beide Elektrodentypen dieselbe; die Struktur jedoch verschieden: Die EEG-Elektroden brauchen die haftende Mikrostruktur nicht, da sie jeweils mit einer Kappe fixiert sind. Ihre Oberfläche ist stattdessen mit mehreren, zwei bis vier Millimeter hohen Noppen ausgestattet, wodurch Kontakt mit der Kopfhaut selbst durch dichtes Haar hindurch möglich wird. Somit werden Rasur und Gel hinfällig.

Next step: Industrialisierung

Dass solche Elektroden hohes Marktpotenzial haben, davon waren Séverine Chardonnens und Simon Bachmann, zwei der Autoren der Studie, von allem Anfang an überzeugt. Noch während ihres Masterstudiums begannen sie, die Idee für ein eigenes Unternehmen voranzutreiben. Mit Erfolg: Die beiden Nachwuchstalente wurden in die Förderprogramme von Venture Kick und KTI aufgenommen und gewannen in Start-up-Wettbewerben schon einiges an Startkapital.

Nach der Entwicklung der Elektrodenprototypen und der offiziellen Gründung von »IDUN Technologies« als ETH-Spin-off im November 2017, evaluieren Chardonnens und Bachmann nun, auf welche Anwendung sie sich vorerst konzentrieren wollen. Hierfür tauschen sie sich intensiv mit verschiedenen Industriepartnern und Forschungsgruppen aus. »Kommerzialisierung lohnt sich dort, wo die neuen Elektroden gegenüber bisherigen die größten Vorteile aufweisen«, so Bachmann. Potenzial sehe man bei der Langzeitüberwachung von Patienten, bei der Leistungskontrolle im Sport- oder im EEG-Markt.

Sobald die Frage der strategischen Ausrichtung geklärt ist, wird sich Chardonnens als Chefentwicklerin auf die Industrialisierung fokussieren, während sich Bachmann als Geschäftsführer primär auf die Akquise von Partnern und Kunden konzentriert. »Wenn alles wie geplant läuft, können wir bereits in diesem Jahr die ersten Elektroden verkaufen«, sagt Chardonnens. (me)

Literaturhinweis

Stauffer F, Thielen M, Sauter C, Chardonnens S, Bachmann S, Tybrandt K, Peters C, Hierold C, Vörös J. Skin conformal polymer electrodes for clinical ECG and EEG recordings. Advanced Healthcare Materials, doi: 10.1002/adhm.201700994

Das Gründungsteam von IDUN Technologies, Séverine Chardonnens und Simon Bachmann
Das Gründungsteam von IDUN Technologies, Séverine Chardonnens und Simon Bachmann
© ETH Zürich

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