Die Medizin ist zwar eine begehrte Branche für junge Unternehmen, aber auch keine einfache. Viele Produkte schaffen es nicht aus der Entwicklung raus. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Hurlebaus: Digital-Health-Start-ups sind meist sehr gut in der Entwicklung innovativer Technologien für die Lösung eines konkreten Problems, jedoch fehlt ihnen häufig die nötige Erfahrung im Gesundheitswesen. Im stark regulierten Gesundheitsmarkt scheitern deshalb trotz vielversprechender Entwicklungen viele Start-ups am langen und kostenintensiven Prozess bis zur Marktzulassung. Erschwerend kommt hinzu, dass die Situation in jedem Land anders ist und es keine einheitliche Vorgehensweise gibt.
Zusätzlich unterschätzen viele Unternehmen die Komplexität und die Notwendigkeit, validierte Lösungen zu entwickeln. Oft versuchen sie mit ihren Lösungen über den Wellness- und Fitnessmarkt in den regulierten Gesundheitsmarkt vorzustoßen. Das ist aber nicht möglich, wenn nicht von Anfang an die Datenqualität stimmt und die notwendige Dokumentation für eine Validierung stattfindet. In beiden Punkten kann den Start-ups eine Zusammenarbeit mit einem erfahrenen globalen Player aus dem Gesundheitsmarkt helfen.
Was sollten Gründer anders machen? Oder muss sich gar die Medizin den Start-ups anpassen?
Hurlebaus: Was erfolgreiche Start-ups im Gesundheitsbereich auszeichnet: Sie haben von Anfang an ein gemischtes Team oder zumindest ein sehr erfahrenes Advisory Board. Es braucht in jedem Fall medizinische Experten und idealerweise auch jemanden, der die Türen in die Welt der Gesundheitsversorgung und Krankenkassen öffnen kann. Das ist eine wichtige Voraussetzung dafür, Produkte zu entwickeln, die sich gut in den Praxisalltag der Gesundheitsversorgung integrieren lassen.
Gründer müssen im Detail verstehen, wie zum Beispiel ein Arzt arbeitet. Oft hat dieser nur wenige Minuten Zeit für einen Patienten, neue Lösungen müssen sich entsprechend einfach in seine Arbeitsroutine einbinden und erläutern lassen. Aspekte wie diese werden häufig zu spät berücksichtigt. Eine zentrale Rolle spielen, wie schon erwähnt, die Kosten, die vor allem in den Bereichen Diagnose und Früherkennung oft der Grund für das Scheitern sind; hier hinken wir noch stark hinter dem Venture-Capital-Markt in Ländern wie den USA her, wo es deutlich leichter ist, schnell und an größere Investitionssummen zu gelangen, die für eine Zulassung wichtig sind.
Wenn diese Hürden überwunden sind, welche Rolle werden junge Unternehmen wie FibriCheck oder Inveox in der Medizin dann einnehmen?
Hurlebaus: Es ist recht wahrscheinlich, dass solche Start-ups eine Kooperation mit einem der weltweit agierenden Unternehmen eingehen werden. Der Diagnostikmarkt ist relativ stark konsolidiert und wird immer globaler. So gibt es bereits heute Laborketten, die weltweit aktiv sind und an jedem Standort die gleichen Produkte nutzen wollen. Für Start-ups ist eine globale Expansion ohne einen großen Partner in vielen Fällen nicht möglich. Die innovativen Lösungen der Start-ups sorgen für einen medizinischen Nutzen und eine höhere Effizienz, die auch weltweit von Bedeutung sind.
FibriCheck ermöglicht die Diagnose von Herzrhythmusstörungen nur mit dem Smartphone. Weltweit sind 10 bis 20 Prozent dieser Patienten nicht diagnostiziert und haben damit ein deutlich höheres Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden. Wenn die App mithilfe globaler Unternehmen weltweit verfügbar ist, können potenziell tausende von Schlaganfällen verhindert werden. Von der Qualität der App waren übrigens nicht nur wir überzeugt; vor kurzem hat FibriCheck auch die FDA-Zulassung erhalten.
Auch die bisher einzigartige Lösung von Inveox für das Pathologielabor würde weltweit einen Mehrwert schaffen. Die Automatisierung der Vorbehandlung von Gewebeproben erhöht nicht nur die Effizienz, sondern reduziert auch die manuelle Arbeit mit gesundheitlich bedenklichen Stoffen im Labor. Gleichzeitig verringert sich die Fehlerrate, denn ein Barcode-System verhindert die Verwechslung von Laborproben.
Ein Start-up lebt jedoch nicht nur von seinem Produkt, sondern auch von seinen Gründern. Welche Eigenschaften sollten diese Ihrer Meinung nach mitbringen und was macht für Sie die perfekte »Innovation« aus?
Hurlebaus: Gründer haben oft eine klare Vision bei der Entwicklung ihrer Produkte vor Augen, beispielsweise die einfache Diagnose einer Krankheit. Oft haben sie auch schon eine konkrete technische Idee. Erfolgreiche Gründer bringen meiner Meinung nach darüber hinaus noch eines mit: ein hohes Maß an Flexibilität. Sie nutzen alle Möglichkeiten, ihr Konzept zu hinterfragen, dazu zu lernen und das Produkt zu perfektionieren.
Ich sehe an dieser Stelle auch einen wesentlichen Unterschied zwischen Europa und den USA. Im Silicon Valley redet jeder offen über seine Ideen und Konzepte. Dadurch finden die Gründer schnell die richtigen Förderer und Partner. In Europa hingegen haben viele Gründer Angst, offen über ihre Ideen zu sprechen und am Ende als Verlierer dazustehen, wenn sie damit nicht erfolgreich sind. Für mich ist die perfekte Innovation ein Produkt, das ein großes Problem löst oder einen klaren Mehrwert für den Nutzer bietet– sei es der Arzt oder der Patient. Sie muss am Markt verfügbar sein und angenommen werden. Erst dadurch wird eine Erfindung oder technische Lösung zu einer echten Innovation.
Gerade in der Medizin sind Start-ups auf Unterstützung von Unternehmen wie Roche angewiesen. In welcher Rolle sehen Sie sich für die Gründer?
Hurlebaus: Für uns ist es wichtig, dass im Digital Health Accelerator jeder seine Stärken voll ausspielen kann, um innerhalb der gegebenen Zeit gemeinsam vielversprechende Ideen und Technologien (weiter) zu entwickeln und zu validieren. Wir verstehen uns dabei als Partner, der auf Augenhöhe mit den Start-ups zusammenarbeitet. Die »Co-Creation« spielt eine entscheidende Rolle. Unsere Mitarbeiter arbeiten »hands-on« mit den Start-ups im Accelerator und bringen ihr Know-how zu Themen wie Market Access, Design, Produktion und Validierung von mobilen Geräten ein. Wie der deutsche Diagnostikmarkt funktioniert, konnten Roche-Mentoren den Start-ups beispielsweise ganz praxisnah anhand gemeinsamer Kundenbesuche vermitteln.
Laut aktueller Bitkom-Umfrage fühlen sich die meisten Start-ups in Deutschland von der Politik im Stich gelassen – sowohl finanziell als auch was den unternehmerischen Freiraum angeht. Können Sie das verstehen? Wenn ja, was sollte die Regierung ändern?
Hurlebaus: Wir beobachten in der Start-up-Szene durchaus eine positive Entwicklung. Die Zahl der deutschen Start-ups ist in den letzten Jahren erfreulich gestiegen, insbesondere im Bereich der digitalen Lösungen sehen wir viele gute Ideen und mutige junge Gründer, die diese Ideen umsetzen. Dennoch ist es wichtig, dass sich die Politik auch weiterhin dafür einsetzt, dass sich die Rahmenbedingungen für Start-ups in Deutschland verbessern, um den Gründergeist weiter zu fördern.
Nicht zuletzt braucht es innovationsfreundliche und patientenorientierte regulatorische Rahmenbedingungen für die Entwicklung und den Einsatz digitaler Lösungen in der Praxis. Einen weiteren wesentlichen Beitrag kann die Politik leisten, indem sie die gesetzlichen Rahmenbedingungen vereinheitlicht, zum Beispiel was die Speicherung von Daten oder die Etablierung telemedizinischer Lösungen angeht.
Können Sie das konkretisieren?
Hurlebaus: Aus unserer Sicht geht Bayern hier mit gutem Beispiel voran, wie der »MedTech.Dialog.Bayern« zeigt. Das Projekt wurde 2017 vom Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Energie und Technologie in Kooperation mit dem Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege zur Förderung digitaler Gesundheitsinnovationen ins Leben gerufen. In diesem Rahmen arbeiteten Vertreter von Unternehmen, Wissenschaft, Forschung, Klinischer Anwendung und Politik zusammen, um Chancen sowie Herausforderungen der Digitalisierung zu erörtern und mögliche Lösungs- oder Unterstützungsansätze seitens der Politik zu erarbeiten.
Im Zuge dieses Projekts wurden unter Mitwirken von Roche Handlungsempfehlungen für die Regierung definiert, zum Beispiel, dass Start-ups – von der Formulierung ihres Geschäftsmodells über die Markteinführung ihres Produkts bis hin zum Thema Kostenerstattung – Unterstützung erhalten. Außerdem sollen digitale Innovationen auf einer sogenannten »Teststrecke« geprüft werden, um einen leichteren und schnelleren Nachweis des medizinischen und ökonomischen Nutzens zu ermöglichen.
Nicht alle großen Unternehmen wollen Start-ups unterstützen. Können Sie das verstehen – und woran könnte es liegen?
Hurlebaus: Nicht alle Unternehmen sehen sich als Innovationstreiber. Wir beschäftigen uns seit mehreren Jahren damit, wie wir Innovationen im Bereich der Digitalisierung vorantreiben können. Wir wollen innovative Lösungen für das Gesundheitswesen entwickeln, die für den Patienten einen klaren Mehrwert bieten. Meiner Meinung nach sind dafür gerade im digitalen Bereich verstärkt Kooperationen mit externen Partnern nötig. Allerdings sind Start-ups hier nur ein Element. Auch Kooperation mit Institutionen wie Krankenhäusern, Patientenorganisationen, Universitäten usw. sind von zentraler Bedeutung auf dem Weg in die personalisierte Medizin.
Nicht selten knirscht aus auch mal gewaltig zwischen beiden Parteien. Klaffen am Ende die Unternehmenskulturen womöglich doch zu weit auseinander oder sehen Sie dafür andere Gründe?
Hurlebaus: Hier sehe ich einen Vorteil in der europäischen und speziell der deutschen Kultur, in der die Menschen häufig eher sachlich und technisch orientiert sind. Ich bin der Meinung, wenn wir die gleiche Vision und das gleiche Ziel verfolgen, können wir über eine sachliche Diskussion einen Weg finden, der uns gemeinsam weiterbringt. Der Vorteil einer regulierten Wirtschaft ist, dass es klare Vorgaben gibt und damit der Weg zum Markt bereits vorgegeben ist. Es ist zudem wichtig, dass sowohl etablierte Unternehmen als auch Start-ups die Bereitschaft mitbringen, voneinander zu lernen. Nur so kann die Zusammenarbeit wirklich funktionieren.
Vielen Dank für das Gespräch!
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| Dieser Beitrag stammt aus der Medizin+elektronik Nr. 1 vom 04.02.2019. Hier geht’s zur vollständigen Ausgabe. |