Weltweit gibt es viel zu wenig Studenten der Elektrotechnik, um den Bedarf an Halbleitern bis 2020 decken zu können. Hochgerechnet müssten 2020 rund 450 Mrd. ICs produziert werden. Nicht das Ende von Moores Law oder die hohen Preis für neue Fabs sind der begrenzende Faktor. Es gibt schlicht zu wenig Ingenieure, die die neuen ICs designen könnten.
Die durchschnittliche Siliziumfläche eines ICs sinkt im Durchschnitt um 0,7 Prozent pro Jahr, die verarbeitete Wafer-Fläche steigt um 9 Prozent pro Jahr, also müssten zusätzlich jedes Jahr 10 (2012) bis 20 (2020) neue große Fabs gebaut werden. Geht man davon aus, dass die Zahl der weltweit produzierten ICs weiter mit 9 Prozent pro Jahr steigen, dann würden im Jahr 2020 rund 450 Mrd. Chips produziert. Ist diese Zahl realistisch?
Laut Dr. Ulrich Schäfer, Director Market Research von Bosch, gibt es drei mögliche Faktoren, die dazu führen könnten, dass diese Zahl nicht erreicht wird.
Moores Law
Erstens: Moores Law stößt an seihe physikalischen Grenzen. Bisher ist die physikalische Gate-Länge der Transistoren in Prozessoren um 14 Prozent pro Jahr gefallen auf heute 24 nm. Extrapoliert man den aus der Erfahrung gewonnen Wert bis 2020, so käme man dann bei 5 nm an. Das bedeutet ein Schichtdicke von unter 10 Atomen. Das wäre zwar eine sehr große technische Herausforderung, Ulrich Schäfer ist aber zuversichtlich, dass die technischen Schwierigkeiten in den Griff zu bekommen seien, zumal es neue Möglichkeiten gebe, beispielsweise mit Licht zu schalten.
Der Preis einer neuen Fab
Eine große neue Fab kostet heute 5 Mrd. Dollar und sie arbeitet wirtschaftlich, wenn sie ihren Preis pro Jahr als Umsatz hereinspielt. 5 Mrd. Dollar klingt gewaltig, der Preis einer neuen Fab ist aber gemessen am weltweiten Umsatz mit Halbleitern mit 1 Prozent seit 1970 erstaunlich konstant geblieben.
Allerdings ist die Zahl der IC-Hersteller seitdem kräftig gewachsen (das potenzielle Investitionsvolumen pro Hersteller also gesunken) und es gibt heute nur noch ganz wenig IC-Hersteller, die erstens über die neusten Prozesstechniken verfügen und zweitens über die finanziellen Möglichkeiten, solche Fabs zu bauen. Allen voran Intel und Samsung, dann wird die Luft aber schon dünn: Über 10 Mrd. Dollar Umsatz machen nur Toshiba und Texas Instruments, Renesas kommt auf 9,5 STM auf 8,5 und Hynix auf 8,3 Mrd. Dollar (alle Zahlen 2009). Daneben gibt es noch zwei bis drei Foundries, von denen die zwei größten – TSMC und UMC – in Taiwan sitzen. »Wir hängen also mit unserer gesamten Elektronik weltweit schon jetzt zu einem großen Teil von wenigen Firmen in Taiwan und China ab«, so Schäfer.
Doch zurück zu den Investitionen: Über die letzten Jahre haben die Hersteller im Durchschnitt alle zu wenig investiert. Statt wie es erforderlich gewesen wäre, 19 bis 22 Prozent vom Umsatz pro Jahr in den Ausbau zu stecken, lag die Quote über die letzten Jahre bei nur 16 Prozent. »Kein Wunder, dass es zu Allokationen kommt«, erklärt Schäfer. Nun dauert es rund zwei bis drei Jahre von Baubeginn bis zur Lieferung aus einer neuen Fab, selbst wenn die Shell steht, sind noch eineinhalb bis zwei Jahre erforderlich. »Auch wenn jetzt massiv in neue Fabs investiert würde, müssen wir über drei bis vier Jahre mit Lieferengpässen rechnen«, so Schäfer. Auch wenn es – da stimmt er mit Jürgen Weyer überein – in bestimmten Gebieten auch Lageraufbau gebe.
Und der Ausblick bis 2020: »Der Ausbau der Fabs stößt an die wirtschaftlichen Grenzen, einen starken limitierenden Faktor stellen sie aber bis 2020 meiner Ansicht nach nicht dar«, antwortet Schäfer.
Zu wenig Ingenieure
Das eigentliche Problem laut Schäfer: »Wir bekommen bei weitem nicht die Zahl der Ingenieure, die erforderlich wäre, um die neuen ICs und die für ihre Produktion erforderlichen Prozesstechniken zu entwickeln.« Das könnte einen gewaltigen Einschnitt bedeuten: »Seit 100 Jahren sind die elektrischen Geräte um 8 Prozent pro Jahr gewachsen, wenn die erforderliche Elektronik nicht zur Verfügung steht, wird diese Wachstumskurve dramatisch nach unten gehen.« Dazu macht Schäfer eine einfache Rechnung auf: 2001 arbeiteten in der Halbleiterindustrie 830.000 Mitarbeiter weltweit. 16 Prozent, also 131.000, davon sind im Bereich Forschung und Entwicklung tätig. 87.000 beschäftigen sich mit dem Design neuer ICs und der erforderlichen Prozesstechniken.
Für Europa ist der Bereich der Analogen und Mixed-Signal-ICs besonders interessant, die rund ein Drittel aller Halbleiter ausmachen (die restlichen zwei Drittel entfallen auf ICs mit Strukturgrößen unter 80 nm, die auf 300-mm-Wafern gefertigt werden).
Bezüglich der Prozesstechnik hinken diese Typen – auch »More Than Moore« genannt – den digitalen ICs um sieben bis acht Jahre hinterher. Das heißt aber auch: die Komplexität dieser ICs wächst weiter schnell. Gleichzeitig legen sie auch was die Stückzahlen betrifft überdurchschnittlich zu, mit einem Wachstum von 8 Prozent im durchschnitt pro Jahr rechnet Schäfer was einem Anstieg von 68 Mrd. Dollar 2007 (40 Mrd. Stück) auf 185 Mrd. Dollar (120 Mrd. Stück) 2020 entspricht. Wenn nun die Designs pro Jahr um 8 Prozent steigen, die Komplexität der ICs um 50 Prozent pro Jahr nach oben springt, so müsste der Bedarf an Analog- und Mixed-Signal-Entwicklern um 20 pro Jahr zunehmen. Nun gibt es sowieso relativ wenig Analog-Ingenieure. Sie stellen mit 13.000 weltweit nur rund 15 Prozent der 82.000 R&D-Ingenieure– und ihre Zahl müsste bis 2020 auf 165.000 wachsen.
In Deutschland ist die Zahl der Studienanfänger in der Elektrotechnik zwischen 1975 und 2010 um 1,5 Prozent pro Jahr gewachsen, die zahl der Absolventen um 1 Prozent pro Jahr. »Weil die reale Welt – und damit auch die Schnittstelle zu ihr – analog ist, sind erhebliche Auswirkungen auf die Gesamtentwicklung des Elektronikmarktes zu erwarten«, so die lapidare Schlussfolgerung von Ulrich Schäfer.