Gefälschte Bauteile

Schutz vor Fälschungen

5. Oktober 2012, 15:36 Uhr | Von Dr.-Ing. Hartmut Poschmann
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Fortsetzung des Artikels von Teil 2

IHS – weltweite Dienstleistung gegen gefälschte Produkte

Die 1959 gegründete IHS (Englewood, Colorado, USA), in den 90er Jahren noch unter dem Namen „Information Handling Service“ auch in Europa bekannt gewesen, hat sich insbesondere seit der Jahrtausendwende zu einem riesigen Konzern und weltweit führenden Informationsanbieter für die globale Ökonomie, darunter für den globalen Elektronikmarkt entwickelt. Geboten wird längst nicht mehr nur der weltweite Verkauf von Normendokumenten quer durch die gesamte Wirtschaft oder von Datenbanken für Produktkataloge, sondern die Bereitstellung von komplexem Knowhow für die gesamte Industrie. Darunter fällt auch die Erarbeitung von Expertisen und Logistikketten [13].

Um das leisten zu können, hat IHS in den vergangenen Jahren weltweit zahlreiche Firmen übernommen, die in irgendeiner Form beispielsweise mit Marktanalysen und Trendermittlung zu tun haben – Beispiele für Übernahmen: iSuppli Corporation, IMS Research und Screen digest. Deshalb ist es nicht erstaunlich, dass sich IHS in den USA mit an die Spitze zur Bereitstellung von Informationen gegen Produktfälschung gestellt hat.

In der Rubrik „Combating Counterfeits with IHS“ der Internetseiten von IHS wird der Besucher zum Beispiel mit folgendem Leitspruch begrüßt: „Ihre Lieferkette ist unter Angriff und kann bereits infiltriert werden. Gefälschte oder Sub-Standard-Teile – elektronischer oder anderer Art – sind eine ernste und wachsende Bedrohung“.

Die IHS-Rubrik zu gefälschten Bauteilen teilt sich in sieben Unterrubriken auf: Overview, Events, Webcasts, White Papers, Downloads, Counterfeit Solutions, Complimentary Risk Analysis.

In „Downloads“ beispielsweise stehen verschiedene kurze Schriften bereit, in denen Leistungen von IHS zum Thema „gefälschte Bauteile“ vorgestellt werden. Beispiele:

In „Parts Management Solutions“ bietet sich IHS als Lieferant von Komponenten- und Lieferantendaten sowie dazugehöriger Arbeitstools an, die kritische Informationen und Einblick in jede Phase des Produktlebenszyklus geben.

In der Unterrubrik „Complimentary Risk Analysis“ haben interessierte Firmen die Möglichkeit, ihre Materiallisten (BOM, Bill of Materials) für bestimmte Elektronikprodukte von IHS bezüglich verdächtiger Bauteile prüfen zu lassen. Dazu kann in [13] mit dem Formular „Request a Complimentary Counterfeit Risk Analysis & BOM Assessment“ eine entsprechende Anfrage an das Unternehmen gestellt werden.

Seminare und Konferenzen

Das Thema Bauteilfälschungen ist mindestens seit 2010 verstärkt Gegenstand zahlreicher Fachveranstaltungen sowohl in den USA als auch in Europa. Sogar in Russland als großem Bauteilimporteur versucht man sich zu schützen und führt bereits seit 2008 entsprechende Workshops durch. Zum Teil wird dort ausländische Hilfe in Anspruch genommen, z.B. aus Israel.

Der IPC als auch ERAI (in Zusammenarbeit mit IHS) sorgen seit mehreren Jahren mit unterschiedlichen Aktivitäten dafür, dass das Thema „Gefälschte Bauteile“ in den USA stärker in das Bewusstsein der Elektronikfachleute gerückt wird. Dazu gehören Vorträge, Ganztagsworkshops, Webinars. So veranstaltete der IPC im März 2010 ein zweiteiliges Webinar mit folgenden Titeln [14]:

Teil 1: Counterfeit Electronics I: Strategies for Fighting Counterfeit Electronics

Teil 2: Counterfeit Electronics II: Technologies for Fighting Counterfeit Electronics

Auch zum IPC Electronics Industry Executive Summit „Ideas for a Bright Future in the New Electronics Industry“ 2010, zur APEX 2011 und APEX 2012 gab es entsprechende Vorträge. Sie können teilweise beim IPC kostenlos herunter geladen werden:

Assessing the Risk and Impact of Counterfeit Electronic Products [15]

Counterfeit Parts Prevention Using Import/Export Controls as a Tool in Risk Mitigation [16]

Das Global Obsolence, Compliance and Counterfeit Risk Symposium während der ERAI Executive Conference (17./18.5.2012, Las Vegas, USA) stand ganz unter dem Eindruck der 2011 erneut gestiegenen Anzahl von bekanntgewordenen Bauteilfälschungen in der Elektronikindustrie der USA und der Umsetzung des US National Defense Authorization Act (NDAA) für das Geschäftsjahr 2012. Das Symposium machte deutlich, wie umfangreich die Spannbreite der Probleme ist, die mit der Produktpiraterie verbunden sind [17]:

  • Systeme und Verfahren zur Erkennung, Analyse, Einflussminderung und zur Kommunikation von Fälschungen
  • Prozesse zur Verringerung des Eindringens gefälschter Bauteile
  • Die gegenwärtige Definition des Begriffes „Fälschung“
  • Neue Anforderungen an das Personaltraining
  • Einkauf und Beschaffung
  • Ablösung und Konformität von Bauteilen sowie Risiken von Fälschungen
  • Bauteil-Identifikationsmethoden, um den Design-, Konformitäts- und Kostenkriterien zu entsprechen
  • Voraussage von Preisentwicklungen bei Bauteilen, Analyse- und Benchmark-Möglichkeiten
  • „Gesundheitsstatus” des Bauteilmarktes und Ausblick auf das Gesamtangebot und die Nachfrage bei Elektronikbauteilen
  • Rückverfolgbarkeit in der Zulieferkette (Transparenz)
  • Identifizieren vertrauenswürdiger Quellen
  • Vermeidung von Bezugsquellen mit fragwürdiger Sorgfalt
  • Erwartungen an Lieferanten bezüglich der Erkennung und Vermeidung von gefälschten Bauteilen beim Einkauf
  • Finanzielle Verpflichtungen im Schadensfall
  • Materialkontrolle (Produktkonfiszierung, Produktschieberei)
  • Systemmanagement und Korrekturaktivitäten
  • Neue Berichtsanforderungen

Das Symposium umriss auch die erforderlichen Maßnahmen zur Verringerung des Einflusses der Produktpiraterie in der Elektronikindustrie.

In Deutschland hat sich der VDMA-Infotag „Technologien gegen Produktpiraterie“ mit der Problematik der Produktfälschung befasst. Er fand am 24. April im Rahmen der Hannovermesse 2012 statt und wurde vom VDMA in Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Schreiner ProSecure organisiert.

Zwar stand dort der Maschinenbau im Vordergrund, doch besagt die VDMA-Umfrage zur Produktpiraterie 2012, dass das Fälschungsproblem im Maschinenbau – und damit auch bei Fertigungsausrüstungen für die Elektronikindustrie – ebenso massiv im Anwachsen begriffen ist wie bei den elektronischen Bauteilen. Die Ergebnisse der VDMA-Umfrage und die darauf basierende Studie Produktpiraterie 2012 sind unter [18] kostenlos herunterladbar.

Leider waren äquivalente aktuelle Umfrageergebnisse wie die des VDMA, jedoch auf die Problematik elektronischer Bauteile bezogen, aus deutscher Feder nicht ermittelbar. Es wäre zu wünschen, dass sich die fachlich zuständigen Behörden, Verbände, Marktforschungsinstitutionen und Distributionsfirmen stärker dieses Themas annehmen.

Das Schulungsangebot bezüglich der Erkennung und Vermeidung von Fälschungen bei elektronischen Bauteilen scheint in Deutschland ebenfalls nicht sonderlich groß zu sein. Zwar wurde beispielsweise 2011 während des zweitägigen Forums des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME) „Einkauf von Elektronik“ (7./8.2.2011, Würzburg) auch das Thema Fälschung mit behandelt, jedoch nur als ein Tagesordnungspunkt von vielen [19]. Auch aktuelle methodische Schulungsunterlagen zur Fälschungsproblematik, die speziell elektronische Bauteile in den Mittelpunkt stellen, sind nach den Rechercheerfahrungen des Autors in Deutschland unzureichend im Angebot.

Es ist zu hoffen, dass sich der Fachverband Bauelemente Distribution (FBDi) dieser Thematik stärker annimmt. Man sollte dabei immer davon ausgehen, dass die wachsende Internationalisierung und Beschleunigung der Elektronikindustrie eher zu einem Ausweiten des Fälschungssektors als zu einer Abnahme führen wird.


  1. Schutz vor Fälschungen
  2. Maßnahmen in der EU gegen Bauteilfälschung
  3. IHS – weltweite Dienstleistung gegen gefälschte Produkte
  4. Normen gegen Produktpiraterie
  5. Links und Quellen

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