Durch alle Antworten der Experten zieht sich für 2017/18 der massiv steigende Bedarf an Leistungshalbleitern im Automotove-Bereich. »Die riesigen Automotive-Bedarfe an Sensorik, Controllern und MOSFETs nehmen dem Industriemarkt Kapazitäten weg«, stellt Grasshoff nüchtern fest. Einer der Gründe für diesen Boom ist die 48-V-Hybridtechnik für Leistungen bis 20 kW. »Das ist eine relativ kostengünstige Technologie, um den CO2-Ausstoß von Neufahrzeugen um bis zu 22 Prozent zu reduzieren«, versichert der Semikron-Manager. »Bis 2025 soll die Anzahl der 48-V-/Mild-Hybridfahrzeuge ein Volumen von rund 15 Millionen Fahrzeugen erreichen“, erläutert Hans Adlkofer, Vice President Automotive Systems der Automotive Division von Infineon Technologies. Infineon geht davon aus, dass dabei Leistungshalbleiter im Wert von rund 75 Dollar pro Fahrzeug notwendig sind. »Bei Hybridfahrzeugen und Plug-in-Hybriden steigt dieser Wert dann bereits auf rund 250 Dollar«, fährt Adlkofer fort, »und bei reinen Elektrofahrzeugen, die ausschließlich mit Batterie betrieben werden, sind es dann sogar 380 Dollar pro Fahrzeug«. Fazit: Durch den Übergang vom Verbrennungsmotor zum Hybridfahrzeug, steigt der Leistungshalbleiteranteil pro Fahrzeug um den Faktor 15.
Speidel weist darauf hin, dass sich die 48-V-Bordnetz-Fahrzeuge bereits als sehr erfolgreich erwiesen haben und viele Automobilhersteller weltweit bereits neue Modelle angekündigt haben. Darüber hinaus gibt es erste Hinweise auf EVs auf Basis von 48 V. So hat Valeo auf der CES in Las Vegas eine neue Antriebstechnik für ein vollelektrisches 48-V-Prototypenfahrzeug, das Robo-Taxi, vorgestellt. »Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen sind DC/DC-Converter von 1,8 bis 3,5 kW neben dem Starter-Generator mit 15 kW für unsere neuen 80- bis 100-V-MOSFETs das Fokusdesign«, versichert Speidel. 48 V ist derzeit der große Trend in der Automobilbranche. Das sieht auch André so: »Diese Technologie wird in Zukunft voraussichtlich in einem Drittel der elektrifizierten Autos zum Einsatz kommen. Ein Ausblick, der für Leistungskomponenten viele Möglichkeiten bietet«, ist sich der Rohm-Semiconductor-Manager sicher. »Das größte Wachstumspotenzial für Leistungshalbleiter geht derzeit eindeutig von der Elektromobilität aus«, pflichtet auch Dr. Lampalzer bei. »Das gilt insbesondere für den Automobilbereich mit seinen typischerweise großen Stückzahlen; darüber hinaus werden in Zukunft aber auch Antriebe im Bereich Luft- und Schifffahrt erschlossen werden. Das alles sind komplett neue Einsatzgebiete für Leistungshalbleiter und ermöglichen daher einen großen Zuwachs!«
Weiter uneins zeigt sich die Branche bei der Diskussion, ob die Automobilhersteller vor dem Hintergrund ihrer schwindenden Wertschöpfung angesichts der E-Mobility-Entwicklung nicht vielleicht in die Halbleiter- und speziell die Leistungshalbleiter-Fertigung einsteigen könnten. Dr. Wittorf sieht dazu derzeit nur wenige Automobilhersteller in der Lage. Klausner weist darauf hin, »dass Automobilhersteller bereits seit den 1970er-Jahren für ihren eigenen Bedarf Halbleiter produziert haben«. Für Dr. Lampalzer lässt sich das zukünftige Zusammenspiel zwischen Automobilherstellern und Zulieferern im Bereich E-Mobility in der derzeitigen Phase der Markteinführung noch nicht abschätzen. »In die Wafer-Fertigung werden die Automobilhersteller sicher nicht einsteigen«, sagt Grasshoff, »dazu sind die Volumina zu klein; vorstellbar ist aber eine Wertschöpfungsverlagerung hin zu den OEMs im Bereich Inverter und Integration von Chips, vor allem im MOSFET-Bereich«. Speidel weist darauf hin, dass es mit der Gründung des Unternehmens EV durch Mazda, Denso und Toyota ja bereits ein Beispiel gäbe, wie Basisstrukturen und Plattformentwicklungen für E-Fahrzeuge entwickelt werden könnten.
Bleibt noch die Sache mit der aktuellen Wafer-Knappheit. »Ausgelöst durch den sehr starken Bedarf an Speicher-Chips, die auf 300 mm gefertigt werden, hat die Knappheit bei 300-mm-Wafern auch zu einer Knappheit bei 200-mm-Wafern geführt«, schildert Dr. Wittorf die Entwicklung. »Verstärkt wurde dieser Effekt noch einmal durch die zusätzlichen hohen Bedarfe in der Leistungselektronik.« Nach Einschätzung von Grasshoff werden derzeit die Fertigungskapazitäten bei Leistungshalbleitern auf MOSFETs fokussiert, »weil sich dort im Vergleich zu IGBTs eine höhere Wertschöpfung realisieren lässt«.
»Bei Ingots und Wafern gibt es derzeit definitiv einen großen Engpass bei den Zulieferfirmen«, pflichtet André bei, »glücklicherweise produziert Rohm in gewissem Umfang eigene Ingots. Um die Marktnachfrage nach 8- und 12-Zoll-Wafern zu befriedigen, planen wir eine Erhöhung unserer Produktionskapazität«. Und was tut man, wenn man keine eigenen Wafer produzieren kann? »Wir setzen die uns zur Verfügung stehenden Wafer dort ein, wo es für uns am sinnvollsten ist«, meint Scharfen, »dabei richten wir uns nach den Bedürfnissen unserer Kunden und versuchen, diese optimal zu bedienen«.