Beim Thema Internet der Dinge (IoT) sprechen Sie von drei Wellen: Bei der ersten nutzen eine Vielzahl von Sensoren bestehende Netzwerke, über welche die Rohdaten zur Big-Data-Analyse in Rechenzentren geschickt werden. Bei der zweiten Welle werden intelligente Sensor-Nodes eingesetzt (Analog/MCU/HF), welche den Netzwerkverkehr reduzieren sollen und in der dritten Welle geht es um Services mit Security-Technologien – können Sie mir Ihre Vision auf das „Industrial Internet“ an Hand dieser Wellen beschreiben und inwieweit wird Renesas von dieser Entwicklung profitieren?
Die Signale aus den Sensoren in den Fabriken werden zur Bewertung einzelner Geräte und zur Bewertung der Funktionen von Geräten als Gruppe genutzt. Wir bezeichnen dies als erste der drei IoT-Wellen. Ein Beispiel für die zweite Phase ist unser firmeninternes Fabrikautomatisierungs-Ethernet. Hier können wir ein für unser Werk spezifisches, schnelles Task Switching mit besserer Leistungseffizienz als andere Unternehmen durchführen. So können beispielsweise sogar Sensoren zur Verbesserung der Produktivität und Sicherheit nachgerüstet werden, ohne die Gesamt-Produktivität zu beeinträchtigen. In der dritten Phase geht es um Sicherheitssysteme zum Schutz von Produktionsanlagen gegen Angriffe von außen ebenso wie um die Identifikationsschlüsselverwaltung dieser Systeme und um die Einbindung autonomer Sicherheitsfunktionen. In dieser Phase werden wir unseren Kunden auf unterschiedliche Weise Mehrwert bieten: Dabei geht es nicht nur um einfache Bausteine, sondern um die Bereitstellung von Hardware, Software und Beratung rund um Sicherheitstechnologien, Unterstützung durch Authentifizierung sowie Beratung in Bezug auf die Zusammenarbeit mit Kunden im Bereich funktionaler Sicherheit etc.
In Deutschland ist besonders die mittelständische Industrie sehr stark u.a. beim Thema Automotisierung. Welche konkreten Maßnahmen wollen Sie umsetzen, um hier Marktanteile zu gewinnen?
Wenn sich angemessene Preise in diesem Mittelklasse-Segment durchsetzen ließen (hier sind keine großen Entwicklungsinvestitionen möglich), könnte Renesas sicherlich Lösungen wie etwa einen Fabrikautomatisierungs-Master, ASSPs für Slave-Geräte und Unterstützung für das entsprechende Kommunikationsprotokoll entwickeln. Da sich mehrere Protokolle auf einer einzigen Hardware-Einheit implementieren lassen, sind passende Lösungen für die Kundenanforderungen vorstellbar.
Eine der am meisten diskutierten Themen ist die intelligente Fabrik (“Smart-Factory”), in Deutschland auch gerne unter dem Begriff Industrie 4.0. genannt. Welches sind die Erfolgsfaktoren für einen Halbleiter-Hersteller in diesem komplexen Umfeld?
Im Kern begründet sich der Erfolg von Industrie 4.0 auf Ethernet-Controllern, die außergewöhnlich hohe Echtzeit-Leistung bei zugleich niedrigem Stromverbrauch gewährleisten. Dank optimaler Hybridisierung von Hard- und Software ist die Arbeitsgeschwindigkeit des Renesas R-IN fünf- bis zehnmal so hoch im Vergleich zu den Modellen der Mitbewerber – was ebenso einen wichtigen Beitrag darstellt. Ein weiterer bedeutender Faktor ist die Sicherheitstechnik, an deren Entwicklung wir bei Chipkarten und anderen Geräten mitgearbeitet haben, sowie die Entwicklung von Industrieprodukten für funktionale Sicherheit in der Automobilelektronik.
Die größten Bremsklötze für Industrie 4.0. sind laut einer Studie "VDE-Trendreport" IT-Sicherheitsprobleme sowie fehlende Normen und Standards. Wären letztere nicht gerade auch für Renesas wichtig, um mit Ihren Chips nicht unzählige Protokolle und Schnittstellen unterstützen zu müssen?
Dem Thema Sicherheitsproblemen widmen wir besondere Aufmerksamkeit, da wir davon überzeugt sind, unsere Kompetenz in diesem Bereich zum Vorteil unserer Kunden nutzen zu können. Fraglos fehlen passende Normen. Standardisierung könnte dem Thema zum Durchbruch verhelfen. Um also das Maß an Sicherheit und die Standards zur Messung der Sicherheitsebenen zu verbessern, benötigen wir einen Verband, der die aktuelle Situation versteht.
Wie können aus Ihrer Sicht die offenen Sicherheitsfragen bei der „Smart-Factory“ gelöst werden und was kann Renesas dazu beitragen? Ist die Kommunikation von Geräten über das Internet nicht geradezu eine Einladung für Industriespionage?
Einzelne Bausteine innerhalb eines Werks sind per Ethernet vernetzt. Letzteres muss jedoch nicht mit dem Internet verbunden sein. Tatsächlich ist dieses Netz auf Werksebene aber indirekt mit dem Internet verbunden. In einem solchen Fall wird mit großer Wahrscheinlichkeit ein normales Werkzeug (wie zum Beispiel ein PC) für die Datensicherheit genutzt. Auf der Systemebene des Werks kommt dann branchenspezifische IA-Sicherheitstechnik zum Einsatz. Hier werden die Hardware-Sicherheitsfunktionen auf Geräteebene genutzt, was jedoch einiges zu wünschen übrig lässt. Schon in allernächster Zeit werden Lösungen für diesen Bereich benötigt. Zur Absicherung dieser Hardware können wir dank unserer Expertise, u. a. im Bereich von Chipkarten und Karten für elektronische Mautsysteme, eine IP-Implementierung sowie Identifikationsschlüsselverwaltung anbieten.
Funktionale Sicherheit hat nach dem Auto auch Einzug in die Industrie gefunden, denken wir nur an die Maschinenrichtline. Muss und kann Renesas als Halbleiterhersteller dafür mehr als als Silizium liefern und wird eine etwaige Kundenunterstützung für die Zertifizierung adäquat bezahlt?
Angesichts zunehmender Anforderungen an die funktionale Sicherheit von Industrieprodukten bin ich davon überzeugt, dass wir auf der Basis unseres Know-hows und unserer Erfahrung mit Automotive-Produkten hier entsprechenden Support bieten. Dies gehört zu den Entwicklungsaktivitäten unseres Unternehmens, insbesondere auch weil der Einsatz unserer Universalprodukte bereits zum Standard für den Authentifizierungsbetrieb von Bausteinen geworden ist. Was die Supportdienste für die Geräte-Authentifizierung beim Kunden anbetrifft, halte ich eine Kostenbeteiligung für Unterstützungsdienste für möglich, insofern wir unsere Kunden davon überzeugen können.
Der Bereich “Smart Home” leidet unverkennbar darunter, dass es keine oder zuwenig Standards für einzelne Module gibt. Was kann Renesas tun, um diesen Zustand zu verbessern? Welche Wireless-Standards werden sich aus Ihrer Sicht durchsetzen?
Eine der möglichen Lösungen für HAN/HEMS ist WiSUN. Mit dieser Technologie können Sie die Vorteile eines Sub-GHz Betriebs nutzen. Außerdem ist unser Unternehmen als Förderer der Wi-SUN Alliance besonders gut für diesen Markt positioniert.
Alle Chip-Hersteller haben sich das Thema “Energieeffizienz” auf die Fahnen geschrieben. Welche Angebote kann Renesas den Kunden geben, die sie bei der Konkurrenz nicht finden?
Da wir Lösungen in Form von Plattformen und Kits anbieten, können sich unsere Kunden auf die Anwendungsentwicklung konzentrieren, ohne sich Gedanken über detaillierte halbleiterbezogene Konfigurationen, die Justierung von analogen Werten oder die Absorption von Unregelmäßigkeiten Gedanken machen zu müssen. Als Folge verkürzt sich die Time-to-Market für unsere Kunden erheblich. Basierend auf der 40-nm-eFlash-Technologie, die ausschließlich Renesas bereitstellt, liefern wir außerdem Bauteile mit niedriger Stromaufnahme bei gleichzeitig hoher Leistung.
Die öffentliche Wahrnehmung von Renesas im Bereich Analog und Leistungselektronik für Industrie-Applikationen ist im Vergleich zu den Mikrocontrollern gering – wie wollen Sie ST, Infineon & NXP Marktanteile abnehmen?
Anstelle einer Vertriebsstrategie die auf der Entwicklung von Universal-Bauteilen für mehrere Produkte basiert, spezialisieren wir uns bei Leistungshalbleitern auf Anwendungen, mit denen sich die Systemleistung und der lineare Durchsatz verbessern läßt. Dazu kombinieren wir die Leistungselektronik mit MCUs, die einen großen Marktanteil haben, oder mit Komponenten aus der Serie R-IN mit stark verbesserten Echtzeit-Kommunikationsfunktionen, und werden Lösungen auch weiter in Form von Kits anbieten. Beispielsweise bei Motorsteuerungen werden wir unsere verlustarmen IGBTs zusammen mit modernster Antriebssteuerungstechnik vermarkten, und so mit hohem Wirkungsgrad und geringer Stromaufnahme unseren Beitrag zum weltweiten Umweltschutz leisten.
FPGAs und SoCs mit integrierter programmierbarer Logik sind auch in der Industrie z.B. in der Automatisierung auf dem Vormarsch. Befürchten Sie, dass Ihr MCU/MPU-Geschäft darunter immer stärker leiden wird?
Es ist richtig, dass FPGAs die Dominanz von MCUs geschmälert haben. Es ist jedoch ebenfalls richtig, dass MCUs Dank ihrer höheren Rechenleistung den FPGAs Marktanteile abnehmen. Ich erwarte daher in unmittelbarer Zukunft keine bedeutenden Auswirkungen. Andererseits verfügt Renesas im Bereich der rekonfigurierbaren programmierbaren Logik über die DRP-Technologie (Dynamic Reconfigurable Processing), die wir bereits erfolgreich in der Bildverarbeitung nutzen. Dieses Logik-Design ist jetzt C-basiert und deshalb einmalig. Ich bin überzeugt davon, dass die Bedeutung dieser Technologie angesichts der Fortschritte bei der Verifizierung der Abläufe per ‘upper language‘ bei unseren Kunden noch zunehmen wird.
Die Entwicklung auf Mikrocontrollern mit ihrer komplexen Peripherie wird immer aufwändiger, eine Lösung wäre die Nutzung von MPUs – mit MMU - und einem Linux-basierenden Betriebssystem. Was sind Ihrer Ansicht nach heute die größten Hindernisse für einen breiteren MPU-Einsatz als heute und denken Sie, dass MPUs langfristig MCUs ablösen werden?
Da bei bestimmten Anwendungen manche Methoden besser funktionieren als andere, bin ich davon überzeugt, dass nicht die gesamte Palette der MCUs abgelöst werden wird. So sind beispielsweise die Kosten einer DRAM-Schnittstelle und eines DRAM für die Ausführung von Linux nur für bestimmte Anwendungen akzeptabel. Unsere RZ-Serie enthält einen auf dem Chip integrierten RAM mit bis zu 10 MB Umfang und eignet sich dank seiner ARM (Cortex-A9) CPU bestens für Mensch-Maschine-Schnittstellen. Würde man auf diesem Baustein Linux verwenden, so würden alle Vorteile von den zusätzlichen Kosten aufgewogen werden.
Mit Ausnahme von Microchip und Renesas setzen mittlerweile alle anderen Hersteller der Top-10-MCU-Hersteller auf die ARM-Architektur. Viele Entwickler wollen, wie z.B. die von uns durchgeführte Mikrocontroller-Studie zeigt, aus unterschiedlichen Gründen auf ARM wechseln. Renesas ist für MPUs, ASICs und andere Chips bereits ARM-Lizenznehmer – wird es neben RX und RL78 zukünftig auch Cortex-M-Chips von Renesas geben?
Das ist definitiv möglich, weil Cortex-M für manche Anwendungen die beste Wahl ist. So beruht der im Jahre 2013 vorgestellte Baustein R-IN32M3-CL/EC auf einem Cortex-M3. Wir arbeiten bereits an der Entwicklung für einen Nachfolger. Die Kommunikationsleistung dieser Produkte ist mehr als fünfmal so hoch als bei ähnlichen Bausteinen auf Cortex-M3-Basis. Auch für viele andere Anwendungen nutzen wir ARM-Cores und bis heute haben wir insgesamt mehr als 800 Millionen Einheiten ausgeliefert.
Ende letzten Jahres hat ARM eine neue ARMv8-R genannte 64-bit-Mikroarchitektur vorgestellt, welche die Vorteile der Applikationsprozessoren mit denen der echtzeitfähigen Cortex-R-Linie verbindet. Sehen Sie diese auch für das industrielle Umfeld als interessant an und planen Sie ggf. Produkte mit ARMv8-R-Cores zu entwickeln?
Der Cortex-R eignet sich mit seinen hervorragenden Echtzeit-Fähigkeiten gut für industrielle Bausteine. In der Vergangenheit haben wir aus den Cores der ARMv7-Architektur die besten ARM-Cores für jeden Einsatz ausgewählt und unseren Kunden angeboten (wir haben –M, -R und –A Cores verwendet). Wir sind daher auch in Bezug auf die neue ARMv8-Architektur an –M, -R und –A-Cores interessiert und werden diese nach Bedarf einsetzen.
Herr Yokota, vielen Dank für Ihre Zeit.