Die zunehmende Vernetzung der Anlagen und Produktionsumgebungen im IIoT und die Verschränkung von OT und IT bringen die herkömmlichen Netzwerke an ihre Grenzen. Durch den Umstieg auf TSN lassen sich diese Herausforderungen in den Griff bekommen.
Eine agile Produktion, die sich dynamisch auf veränderte Anforderungen einstellen kann, erfordert eine Kommunikation aller Teile der Anlagenautomatisierung mit anderen Systemen im Unternehmen. Das sorgt für rasch wachsende Netzwerkgrößen und Datenmengen im Industrial Internet of Things (IIoT). Time-Sensitive Networking (TSN) ist eine Erweiterung des Ethernet-Standards um Echtzeitfähigkeit. Das ermöglicht das Verschmelzen von IT und OT zu einem gemeinsamen Netzwerk. Immer mehr Produkte aus vertrauenswürdigen Quellen unterstützen den Standard und erleichtern so die Umsetzung der Konzepte von Industrie 4.0.
Im globalen Wettbewerb geht es darum, immer komplexere Produkte mit gleichbleibend hoher Qualität zu marktverträglichen Kosten zu produzieren, und das oft in kundenindividuellen Varianten. Dazu braucht es Smart Factories, die sich nach den Grundsätzen von Industrie 4.0 autonom auf veränderliche Produktionserfordernisse einstellen.
Deren vernetzte Produktionsanlagen müssen dazu nicht nur miteinander, sondern auch mit anderen Systemen im Unternehmen Anweisungen und Daten austauschen. Dieser Kommunikationsbedarf ist universell, er reicht vom Sensor und Aktor auf der Feldebene über die Steuerungen und darüber operierende Leitrechner bis in lokale und zentrale Rechenzentren und selbstverständlich auch in die Cloud. Alle diese Orte können Datenquellen und Ziele sein, nicht selten sind sie beides.
Durch die fortschreitende Miniaturisierung in der Mikroelektronik ist die vormals starre Einteilung in Steuerrechner und »dumme« Peripherie aufgebrochen. Da Sensoren und Aktoren immer häufiger mit eigenen Prozessoren ausgestattet sind, steigt die Anzahl intelligenter Netzwerkknoten auf der Feldebene rapide an. Wo welche Daten zu nützlichen Informationen verarbeitet werden, ist eine Frage der Gesamtsystemarchitektur. Diese muss sich nach technischen Gesichtspunkten ebenso richten wie nach wirtschaftlichen Kriterien. Zu diesen gehören etwa die laufenden Kosten einer Datenübertragung über öffentliche Netze wie das 5G-Netz.
Statt des bisher vorherrschenden zentralistisch-hierarchischen Informationsaustausches hat die strukturübergreifende Datenkommunikation bereits begonnen, die klassische Automatisierungspyramide aufzulösen. Und weil der erzielbare Gewinn an Produktivität, Prozessstabilität, Produktqualität und Energieeffizienz mit der Informationsqualität steigt, wachsen auch die zu übertragenden Datenmengen immer stärker an.
In der klassischen Informationstechnologie (IT) hat sich für den schnellen Austausch großer Datenmengen der Netzwerkstandard Ethernet durchgesetzt. Der weltweit führende Standard für das Vernetzen von Computern in Büroumgebungen bietet eine hohe Übertragungsbandbreite. Zudem ermöglicht die Protokollgruppe TCP/IP eine weltweit einheitliche Datenkommunikation über die Grenzen einzelner lokaler Netzwerke hinweg.
Angesichts ständig steigender Datenmengen in Maschinen und Anlagen war es naheliegend, Ethernet auch für industrielle Anwendungen der Operational IT (OT) nutzbar zu machen. Allerdings ist für die strenge Vertaktung von Bewegungsvorgängen in industriellen Anwendungen an vielen Stellen Echtzeitfähigkeit erforderlich. Um diese zu gewährleisten, ist bei der Datenübertragung ein berechenbares Zeitverhalten mindestens ebenso wichtig wie eine ausreichend hohe Datenrate.
Ethernet ermöglicht zwar die schnelle Übertragung großer Datenmengen, verfügt jedoch nicht von vornherein über ein deterministisches, also exakt vorherbestimmbares Zeitverhalten, wie es manche industrielle Anwendungen benötigen.
Die Fähigkeit zu einem deterministischen, harten Echtzeitverhalten entsteht erst durch eine einheitliche Zeitbasis für alle Netzwerkteilnehmer. Um ein vorhersehbares Echtzeitverhalten mit isochronen Zykluszeiten unter einer Millisekunde zu ermöglichen, schufen Hersteller von Automatisierungssystemen unter dem gemeinsamen Begriff Industrial Ethernet eine Fülle verschiedener eigener Echtzeit-Protokolle.
Die darauf basierenden Feldbussysteme ermöglichen zusätzlich zur schnellen Übertragung großer Datenmengen den Transport sicherheitsgerichteter Daten auf denselben Leitungen per Black-Channel-Technik. Allerdings weichen sie mehr oder weniger stark vom Ethernet-Standard ab und sind weder miteinander noch mit umgebenden Netzwerken kompatibel.
Mit dem Ethernet-Standard Time Sensitive Networking (TSN) schuf das Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE) eine Erweiterung des Ethernet-Standards um die Echtzeitfähigkeit. Der Standard IEEE 802.1 TSN regelt das Übertragungsverhalten von Datenpaketen per Zeitsynchronisation über eine einheitliche Zeitbasis und bietet Möglichkeiten für die Disposition des Datenversandes (Traffic-Scheduling) sowie die automatisierte Systemkonfiguration. Das erfüllt eine der Voraussetzungen für die universelle Vernetzung sämtlicher computerbasierter Systeme.
Die andere ist ein offenes und zugleich echtzeitfähiges Kommunikationsprotokoll, denn jede Übersetzung bedeutet Aufwand und die Gefahr von Informationsverlust. Das Ende der Sprachverwirrung zwischen Systemen unterschiedlicher Hersteller wurde im November 2018 eingeläutet. Auf der Messe SPS erfolgte die Vorstellung von OPC UA over TSN als universelle, echtzeitfähige Kommunikationsplattform bis zur Sensorebene.
Mittlerweile auf OPC UA FX (für Field eXchange) umbenannt, ermöglicht diese die Überwindung der bisherigen Kompatibilitätsmängel mit einem einzigen, weltweit einheitlichen Standard. Alle namhaften Hardwarehersteller unterstützen diesen, denn er ist die Grundlage für sämtliche Anwendungen im IIoT und der Schlüssel zur Verschmelzung von IT und OT zu einem gemeinsamen Netzwerk. Mehr zur Technik hinter TSN und der neuen Weltsprache OPC UA FX finden Sie auch online in einem Whitepaper von Kontron zu diesem Thema.
TSN setzt sich rasch als einheitlicher Standard für die Echtzeit-Datenkommunikation durch. Dazu trägt auch bei, dass im Zuge der Neudefinition von Ethernet bedeutende Performance-Steigerungen erfolgten. Die Technologie ermöglicht Netzwerke mit mehreren 10.000 Knoten. Diese können bis zu 18-mal schneller kommunizieren als mit allen bisherigen Protokollen und lassen sich darüber hinaus sehr einfach verwalten und konfigurieren. Das ermöglicht z. B. Kombinationen aus digitaler Bildverarbeitung und synchroner Antriebstechnik in harter Echtzeit mit recht kostengünstiger Hardware direkt vor Ort.
Da sich auch Endgeräte ohne TSN-Fähigkeit problemlos über TSN-Netzwerke betreiben lassen, kann davon ausgegangen werden, dass Ethernet-Installationen über kurz oder lang standardmäßig TSN-Funktionalitäten unterstützen werden. Das eliminiert den heute noch hohen Aufwand zum Überwinden der Kompatibilitätsgrenzen als Hürde für das Integrieren zeitkritischer Anlagenteile in das Internet der Dinge. Damit kann es gelingen, die Ideen von Industrie 4.0 Wirklichkeit werden zu lassen. Zudem bringt ein deterministisches Zeitverhalten der Datenkommunikation auch außerhalb von Produktionsmaschinen und -anlagen in vielen Anwendungen große Vorteile.
Als eines der global führenden Unternehmen ist der österreichische Hersteller Kontron in Europa Marktführer bei Embedded-Produkten für das IIoT. Als einer der Vorreiter in Sachen TSN brachte das Unternehmen bereits im April 2018 ein Starterkit für Time Sensitive Networking auf den Markt. Dessen reichhaltige Softwareumgebung unterstützt Programmierer und Anwender vor allem bei der im Vergleich zu Standard-Ethernet erheblich komplexeren Netzwerkkonfiguration. Zusätzlich enthält das Starterkit passende Hardware mit TSN-tauglichen Schnittstellen für realitätsnahe Tests. All dies erleichtert Systemherstellern den Einstieg in die Technologie.
Zu den ersten TSN-tauglichen Kontron-Produkten gehörte eine PCIe-Steckkarte zur Bereitstellung von bis zu vier externen TSN-Kanälen. Diese können einfach, paarweise redundant oder in einer Ringkonfiguration genutzt werden. Dadurch unterstützen sie den Aufbau Topologie-unabhängiger TSN-Netzwerke. Die schnelle Kommunikationslogik implementierte Kontron mittels FPGA, um durch Nachladen neuerer Versionen schnell und einfach auf Änderungen bei den damals noch nicht völlig ausformulierten Standards reagieren zu können. Das kompakte SMARC-sAL28-Modul bietet bis zu fünf Gigabit-Ethernet-Anschlüsse sowie einen integrierten TSN-Switch. Damit eignet es sich hervorragend vor allem für die Datenkonzentration als Edge-Gerät.
Zusätzlich stattet Kontron immer mehr Produkte im Standard mit TSN-Fähigkeit aus, so zum Beispiel die aktuellen Box-PCs, Rackmount-Server, Workstations und Panel-PCs sowie COM-Express-Module, Motherboards und 3,5-Zoll-SBCs (SBC: Single-Board-Computer). Erleichtert wird das durch die Integration der TSN-Funktionalität in Halbleitern zahlreicher Hersteller, etwa der Intel-Core-Prozessoren bis zur aktuell 14. Generation. Diese unterstützen im Standard die Intel-Technologie Time Coordinated Computing (TCC) zur Schaffung der Voraussetzungen für TSN.
So bietet etwa das für das COM-HPC-Client-Modul COMh-ccAS mit Intel-Core-S-Prozessoren der 12. Generation die Power für vielseitige Anwendungen in Bereichen wie Networking, Automation, Messtechnik, Medizintechnik, die eine intensive Grafik- und Rechenleistung fordern. Ebenso bietet das industrietaugliche COM-HPC/Client-Modul (Size A) COMh-caRP mit der 13. Generation Intel-Core-Prozessoren, bis zu 64 GB DDR5-RAM und Ethernet bis zu 2,5 Gbit/s mit TSN-Support.
TSN ist jedoch bei Kontron keineswegs auf Produkte mit Intel-Prozessoren beschränkt. So integriert das auflötbare System-on-Module (SoM) OSM-S i.MX8M Plus auf nur 30 mm × 30 mm einen leistungsstarken Quad-Arm-Prozessor i.MX8M Plus mit 1,6 GHz-Quad-Core- sowie einen AI-Prozessor, 64 GB eMMC und 4 GB LPDDR4-RAM sowie zweimal GbE-LAN, von denen einer mit TSN-Funktionalität ausgestattet ist. Vom kleinsten Modul über Embedded-Box-PCs und Panel-PCs bis zu den Industrial-Rackmount-Systemen der KISS-V4-ADL-Familie und der KWS-Workstation am anderen Ende des Spektrums deckt das Kontron-Portfolio an industrietauglicher Rechnerhardware mit erweitertem Temperaturbereich und TSN-Fähigkeit sämtliche Bedarfsfälle ab. Darüber hinaus bietet Kontron kundenspezifische Entwicklungen und Varianten an und kann Kunden über Kontron AIS bei der Umsetzung konkreter Automatisierungsprojekte unterstützen.
Komplexe Lösungen, die im robusten Industrieumfeld zum Einsatz kommen, verlangen ein perfektes Zusammenspiel von Hardware, Software und Konnektivität mit den Produktionssystemen. Nur so kann die erfolgreiche Umsetzung der digitalen Transformation in der produzierenden Industrie funktionieren. Deshalb sind nicht zuletzt industrielle Switches wesentliche Bausteine für erfolgreiche Anwendungen im Bereich von Industrie 4.0 und IIoT.
Im Produktportfolio von Kontron finden sich deshalb neben Boards, Modules und Systemen für die Industrie auch passende industrielle Ethernet-Switches. Beim KSwitch D10 MMT handelt es sich um ebenso leistungsstarke wie kostengünstige gemanagte TSN-Switches für Fast- und Gigabit-Netze mit acht Ports. Das industrietaugliche Gerät hat ein hochwertiges Metallgehäuse und ist daher unempfindlich gegen Umwelteinflüsse. Es kann bei Temperaturen von –40 bis +75 °C eingesetzt werden und unterstützt einen erweiterten Versorgungsspannungsbereich von 12 bis 58 V DC. KSwitch D10 MMT bietet neben sechs Fast und Gigabit-Ethernet-Ports mit RJ45 zusätzlich zwei Ports mit RJ45 sowie SFP-Fiber-Interfaces bis 2,5 Gbit/s bei vollem TSN-Feature-Set und Management entsprechend IEEE 802.1 TSN.
Durch die vollständige Integration von TSN in die Hardware einschließlich der Switches erleichtert Kontron Anwendern das Realisieren konvergenter Ethernet-basierter Netzwerke, auf denen parallel zum regulären IT-Datenverkehr auch zeitsynchronisierte, deterministische Kommunikation abläuft. Damit wird echtes IIoT bzw. Industrie 4.0 basierend auf allgemeingültigen Ethernet-Protokollstandards möglich. (lb)